: Der Garten Eden als Cruising Area
Palästinensische Stricher in Tel Aviv, schwule Pärchen auf häuslicher Tauchstation in Jerusalem: Beim Festival „Traum und Trauma“ werden Dokumentarfilme gezeigt, die den Konflikt in Nahost aus der Perspektive von verboten Liebenden zeigen
VON AVNER SHAPIRA
In der Genesis taucht das Wort „gan“ immer nur in einer Verbindung auf: „gan eden“ – die treffende Übersetzung dafür wäre ganz einfach „Paradies“. Für Nino und Dudu, die Helden des Dokumentarfilms „Gan – Garden“, ist der Ort, an dem sie ihre Nächte verbringen, alles andere als ein Garten Eden – Engel haben sie hier noch keine landen sehen: Die beiden palästinensischen Jugendlichen arbeiten als Stricher, in einem Park mitten in Tel Aviv.
Ein Jahr lang sind die israelischen Filmemacher Ruthie Shatz und Adi Barash den beiden Jungs gefolgt, hinein in ihren von der Intifada geprägten Alltag. „Im Park gibt es keine Freunde“, sagt Dudu ganz zu Beginn. „Unser einziger Freund ist das Geld.“ Frisch von der Leber weg, ehrlich und humorvoll erzählen die beiden von ihren lüsternen israelischen Kunden, von ihren Familien im Westjordanland, von palästinensischen Polizisten, israelischen Geheimdienstlern und ihren Kollegen im Park. Der Film zeigt den Überlebenskampf der Teenager, die illegal Geld verdienen, sich prostituieren, Drogen verkaufen und ständig im Clinch liegen mit den israelischen Sicherheitsbehörden.
Shatz und Barash gelingt neben dem Blick auf eine niederschmetternde Realität auch ein aufregendes Porträt ihrer beiden Helden. In einer todkomischen Szene macht Nino Jassir Arafat nach und bedankt sich mit Arafats Stimme bei Jitzhak Rabin: „Danke dafür, dass wir Palästinenser jetzt endlich in Clubs gehen dürfen und an viele Drogen rankommen. Schade nur, dass wir nicht das Hasch aus dem Libanon bekommen!“
Auch der Dokumentarfilm „Zero Degrees of Separation“ versucht, den politischen Konflikt zwischen Israel und Palästina auf die Ebene des Privaten herunterzubrechen. Regisseurin Elle Flanders – die in Israel aufgewachsen und nach Kanada ausgewandert ist – zeigt zwei israelisch-palästinensische Paare: ein schwules Pärchen aus Jerusalem und ein lesbisches Pärchen aus Tel Aviv. Der Klempner Ezra lebt mit seinem Freund Salim in Jerusalem. Salim kommt aus Ramallah, hat kein Aufenthaltsrecht und lebt deswegen wie unter Hausarrest ausschließlich in Ezras Wohnung. Ezra erzählt, wie „der Druck sich aufbaut und keiner von uns beiden noch irgendeine Freiheit hat“. Salim berichtet von wiederholten Festnahmen und der Art, wie er von Polizei und Militär drangsaliert und gedemütigt wurde – dass er schwul ist, macht die Sache nicht besser. Ezra fährt mit den Filmemachern durch das Westjordanland, immer wieder vorbei an den Kontrollpunkten. Auf die Frage, warum sie sich an der Demütigung von Palästinensern beteiligen, antworten die Soldaten immer dasselbe: „Ich tu nur meine Pflicht“, „Ich habe meine Anweisungen“ oder „Glaubt ihr, das macht mir Spaß?“
Das zweite porträtierte Paar sind Edit, eine Sozialarbeiterin, und Samira, eine Krankenschwester. Auch die beiden Frauen, die sich auf einer Demonstration gegen die israelische Besatzung kennen gelernt haben, sprechen viel davon, wie die Politik in ihr Leben und ihre Beziehung eindringt. Edit sagt: „Natürlich bin ich Jüdin, aber ich kann doch keine Verantwortung dafür übernehmen, was für furchtbare Dinge hier im Namen des jüdischen Volkes geschehen.“ Samira meint: „Ich kann nicht von Edit verlangen, dass sie sich schuldig fühlt dafür, was sie ist.“
In Flanders Film geht es also um Identität – besser gesagt, um Identitäten: um politische, sexuelle, nationale, kulturelle, ethnische. Der Film quillt allerdings über vor unbeantworteten Fragen – Flanders weiß auch keine Antwort darauf, was aus den zionistischen Träumen ihrer Großeltern geworden ist.
Beide Filme machen pointiert klar, wie stark das Politische das Alltagsleben beeinflusst und wie der Multikultiansatz bei der Überwindung von Ängsten hilft. Beide leisten sie also einen starken Beitrag im Prozess des gegenseitigen Verstehens. Die Freundschaft, die sich zwischen Nino und Dudu in „Gan – Garden“ entwickelt, lässt den Film optimistisch enden. Derart happy kommt „Zero Degrees of Separation“ allerdings nicht zum Schluss – beide Paare trennten sich nach Abschluss der Filmarbeiten.
Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann
19 Uhr: „Zero Degrees of Separation“, 21 Uhr: „Gan – Garden“, Haus der Kulturen der Welt