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Archiv-Artikel

Der Frust gehört dazu

Understatement in Jork: Seit 20 Jahren produziert Stephan Meyner Jazz und Funk mitten im Alten Land. Innenansichten eines Ein-Mann-Betriebs

Gründung des Labels vollzog sich quasi-organischFlexibler und optimistischer als die großen Konkurrenten

von Tobias Richtsteig

Stephan Meyner freut sich über seine Post. „Ohne Internet wäre ich hier draußen wirklich aufgeschmissen“, sagt er. Wir stehen in der Diele des umgebauten Bauernhauses, in dem der Jazzlabel-Chef sich eingerichtet hat, und zwischen Telefonrechnungen prüft er auch den Inhalt des flachen Amazon-Päckchens: ein Album von Michal Urbaniak, dem polnischen Geiger, dessen elektrische Experimente schließlich bis ins Studio mit Miles Davis geführt hatten. „Die Platte hatte ich ‘73 schon mal, als sie herauskam. Wildes Zeug, damals.“ Jetzt hat er sie bei Amazon im Antiquariat wieder gefunden.

Wie regelmäßig Stephan Meyner im Internet fündig wird, unterstreicht auch ein Blick auf die eindrucksvolle Sammlung von Vinyl und CDs im Wohnzimmer. Viel Jazz aus den 50er Jahren ist da zu finden, bekannte Namen und Schmuckstücke, von denen Fans nur hinter vorgehaltener Hand erzählen. Der Mann kennt sich aus. Seit 20 Jahren veröffentlicht er auf seinem eigenen Plattenlabel Minor Music Jazz – von Geri Allen, der Keyboarderin des New Yorker M-Base-Kollektivs über das Funkjazz-Comeback, von Maceo Parker bis zu bekannten deutschen ProtagonistInnen wie Till Brönner und dem Lisa Bassenge Trio reicht die Palette. Stephan Meyner ist schon ein wenig stolz auf den Erfolg seines Ein-Mann-Betriebs. Und während die Major-Labels in Hamburg und Berlin hektisch die Krise des Tonträgermarktes beschreien, feiert Minor Music südlich der Elbe, mitten in der Apfelblüte des Alten Landes, sein Jubiläum.

Dabei hatte sich die Gründung der eigenen Plattenfirma fast organisch ergeben. Zu Studentenzeiten hatte Stephan Meyner das Programm des Jazzclubs in Karlsruhe übernommen und die interessantesten MusikerInnen dorthin eingeladen. „Wenn damals David Murray drei Konzerte in Deutschland spielte, war eins davon bei uns in Karlsruhe“. Die Musiker des Art Ensemble of Chicago mit ihren Soloprojekten, aber auch Chet Baker und Johnny Griffin waren zu Gast. Um die Kalender der Musiker weiter zu füllen, organisierte Meyner von Karlsruhe aus weitere Konzerte, kleine Tourneen. Und weil in Europa, abgesehen von den esoterischen Sounds auf ECM, gerade mal ein italienisches Kleinlabel Schallplatten mit modernerem Jazz herausbrachte, lag auch die Idee nahe, ein Studio zu mieten und sich selbst einmal als Plattenboss zu versuchen.

Eine Recherche-Reise nach New York nutzte der Musikjournalist Meyner, um sich bei den dortigen Independent-Jazzlabels nach den Regeln des Geschäfts zu erkundigen und war sich schließlich sicher: „Das Wichtigste ist, einen eigenen Musikerpool zu finden, der einen interessiert. Für mich waren das Leute wie Geri Allen, Julius Hemphill und Amina Claudine Myers. Das war die Szene mit den Leuten, die damals die frischeste Musik gemacht haben.“

Bei aller Begeisterung für den aufstrebenden Jazz der 80er Jahre blieb Stephan Meyner aber auch Realist. Der Name seines Labels, Minor Music, ist auch ein augenzwinkerndes Wortspiel, denn die Frust-Erfahrung gehört selbstverständlich dazu. „Irgendwann hab ich gemerkt, dass es für ‘ne bestimmte Art von Musik auch nur ein begrenztes Publikum gibt. Man muss dann Dinge finden, an denen nicht nur Herzblut hängt, sondern die auch Potenzial bieten für ein größeres Publikum.“

Dennoch blieb das Interesse an den neuen Wegen der Musik der Kompass für das Labelprogramm. 1987 gründete Meyner sogar noch die zweite Marke RAP – Rhythm Attack Productions, um der Lust an der Fusion von Jazz, Funk, HipHop und GoGo nachgehen zu können. Mehrere Platten dokumentieren diese Phase, die mit der Erkenntnis endete, dass ein deutsches Klein-Label dann doch „zu weit ab vom Schuss“ ist. Immerhin, einige Musiker wie der Soul/Funk-Meister Maceo Parker kamen dadurch zu Minor Music. Mit fünf Alben zwischen 1988 und 1995 beförderte Minor Music die Solo-Karriere von Maceo Parker.

Während der kommerzielle Erfolg die Kassen füllte, entdeckte Stephan Meyner seine Liebe zum Bebop und trug zum Comeback des über 70-jährigen Sängers Oscar Brown Jr. bei. Der Saxophonist Stanley Turrentine veröffentlichte bei Minor Music wie auch Johnny Griffin. Ende der 90er Jahre war das Label auch zur Adresse für die richtig großen Namen des Jazz geworden.

Die Klassiker des Jazz sicherten dem Label zwar regelmäßige Aufmerksamkeit und Einkünfte, führten aber auch in eine kreative Krise. Denn das Gespenst der Routine begann sich einzuschleichen. Während Jazz insgesamt steigende Umsatzzahlen im Tonträgergeschäft verzeichnete, suchte Stephan Meyner nach neuen Inspirationen. So prägen heute Produktionen junger deutscher Jazzacts das Programm von Minor Music und zeigen, wie eigenständig Musik und MusikerInnen inzwischen auftreten. Die Berliner Flexkögel entwickeln mit poppiger Frauenstimme, Rockgitarre und Fender Rhodes eigene Songs aus der Schnittmenge von Wir sind Helden, Radiohead und Norah Jones, während Thärichens Tentett über lange Jahre live zu einer kleinen Bigband heranwuchs, die, geleitet von der androgynen Stimme von Michael Schiefel, in ihrem Klangreichtum an Gil Evans erinnert.

Überhaupt Stimmen! Neben Flexkögel und Thärichens Tentett sind bei Minor Music auch KünstlerInnen wie die Hamburgerin Ulita Knaus unter Vertrag, die mit ihrem eigenwillig funkigen Album So lost like peace so etwas wie den Durchbruch in der Jazzpresse feierte. „Stimmen erzählen einfach mehr“, sagt Stephan Meyner. „Ich glaube nicht mehr an das große Einzelgenie am Instrument, das haben wir seit Ornette Coleman und Cecil Taylor nicht mehr gehabt.“

Dennoch möchte Meyner auf keinen Fall einfach nur den Markt bedienen. „Da würde ich mir eher überlegen, ob ich ein Restaurant aufmache.“ Bis jetzt waren solche Überlegungen noch nicht nötig. Als sein eigener Chef ist Stephan Meyner flexibler als die großen Konkurrenten, und in der Finsternis des von Groß-Vertrieben und Kaufhausketten dominierten Musikmarkts leuchtet hoffnungsvoll der CD-Handel über Internet. Damit in Zukunft noch viel mehr Päckchen geöffnet werden, auf denen als Absender „Minor Music“ steht.