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■ Der "Friedensplan" für Tschetschenien kommt zu spät. Die russischen Soldaten fühlen sich verheizt, die Leute durchschauen Jelzins Schachzug als reine Wahltaktik.Genug vom Krieg und dem Politikergeschwafel

Der „Friedensplan“ für Tschetschenien kommt zu spät. Die russischen Soldaten fühlen sich verheizt, die Leute durchschauen Jelzins Schachzug als reine Wahltaktik.

Genug vom Krieg und dem Politikergeschwafel

Am Sonntag war es amtlich: Die Waffen sollen ab sofort schweigen, die Truppen werden in Etappen aus Tschetschenien abgezogen. Freie Wahlen zum tschetschenischen Parlament sollen vorbereitet werden, ebenso ein Autonomiestatus für Tschetschenien. Eine Kommission unter dem Vorsitz von Premierminister Viktor Tschernomyrdin soll eingesetzt werden, um die Situation zu stabilisieren. Und die überraschendste Ankündigung lautete: Verhandlungen mit dem von Moskau bislang nicht anerkannten tschetschenischen Präsidenten, Dschochar Dudajew.

„Dieser Plan ist sensationell“, sagte der Fernsehjournalist Evgenij Kiselew. „Heute hat Präsident Jelzin uns allen die Hoffnung gegeben, daß der Krieg beendet wird.“ In der schriftlichen Vorabfassung von Jelzins Rede habe noch nichts von Verhandlungen mit Dudajew gestanden. „Daraus schließe ich, daß das Jelzins alleinige Entscheidung ist“, erklärte Kiselew. Aber nicht alle in Moskau sind von den Verhandlungen mit dem Rebellenführer begeistert. Vizepremier Oleg Lobow, der Statthalter Moskaus in Tschetschenien, Doku Zawgajew und russische Politiker und Generäle machten aus ihrer Empörung keinen Hehl. „Wie immer handelt Jelzin allen zum Trotz. Aber wahltaktisch war das der beste Ausweg“, so Kiselew.

Gestern tönten aus allen Sendern Kommentare zum Plan. „Wir werden alle Bemühungen zur friedlichen Beilegung des Krieges unterstützen“, sagte der Chef der Kommunistischen Partei und Jelzins schärfster Konkurrent bei den bevorstehenden Präsidentenwahlen, Gennadij Sjuganow. Der Exgeneral und Duma-Abgeordnete Alexander Lebed nannte den Plan einen Mißgriff vor den Wahlen. „Was soll das denn heißen, die Einstellung militärischer Aktionen, nach anderthalb Jahren Massenbombardements?“ fragte er. Der Vorsitzende der liberalen Jabloko- Fraktion, Grigorij Jawlinski, nannte den Plan verspätet.

Der Plan kommt trotz positiver Ansätze wirklich zu spät. Ein Großteil der Russen hat genug von Krieg und dem Geschwafel der Politiker. Die meisten Menschen sind den täglichen Kriegsberichten gegenüber bereits abgestumpft. „Heute wurden in Tschetschenien 4 Soldaten getötet, 17 weitere wurden verletzt“, klingt es gleichgültig aus dem Fernseher. Und gleich danach: „Die Temperaturen in Moskau und St. Petersburg bleiben in den nächsten Tagen niedrig.“

Auch die Antikriegsveranstaltungen locken nur noch wenige auf die Straße. Und trotzdem: Nach einer Umfrage des russischen Zentrums für Meinungsforschung vom 20. März sind 57 Prozent der Befragten gegen den Krieg und für Verhandlungen mit Dudajew.

„Ich glaube den Politikern kein Wort mehr, sie haben mich zum Krüppel gemacht“, sagt Igor Sorikow. Vor zehn Jahren ist er als Invalide aus Afghanistan zurückgekehrt. Seiner Meinung nach hätte man überhaupt keine Panzer nach Tschetschenien schicken sollen. Doch jetzt, wo es einmal so ist, hätte man die Sache zu Ende bringen sollen. „Mehr als ein Jahr haben wir dort gekämpft, nur um jetzt wieder abzuziehen?“ Jelzin hätte solch eine Erklärung schon vor einem Jahr abgeben sollen. Jetzt sei es zu spät. „Das wird uns als Zeichen der Schwäche ausgelegt“, so Sorikow. Die Geschichtsstudentin Marina Koreneva sieht in Jelzins Ankündigung einen Trick. „Er will, daß die Menschen ihn zum Präsidenten wählen. So ein Plan wäre längst fällig gewesen – nicht erst vor den Wahlen.“

Dies ist nicht der erste Friedensplan für Tschetschenien. Auch Vereinbarungen über einen Waffenstillstand gab es schon, den letzten am 1. April. „Natürlich können wir das Feuer bis Mitternacht nicht einstellen, das ist irreal“, sagte der Kommandeur der russischen Truppen in Tschetschenien, General Wjatscheslaw Tichomirow am Sonntag abend im russischen Fernsehen. Am Sonntag tobten die Kämpfe in Tschetschenien immer noch. Nach offiziellen Angaben starben dabei 28 Menschen, das heißt in Wahrheit wohl mehr.

Ob der Jelzin-Plan wirklich greift, ist fraglich. Noch hängen an den Büros der Miliz Plakate mit der Aufschrift: Gesucht wird der Verbrecher Dudajew. Dieser hatte noch im Januar angekündigt, nicht mit Boris Jelzin verhandeln zu wollen, sondern erst das Ergebnis der Präsidentenwahlen abzuwarten. Und außerdem hat Jelzin einer Forderung der Tschetschenen nicht nachgegeben: der nach Unabhängigkeit. „Einer Souveränität Tschetscheniens außerhalb Rußlands werden wir nicht zustimmen. Soweit können wir nicht gehen“, sagte Boris Jelzin. Maxim Korzhov, St. Petersburg

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