Der Fluß ist nicht das einzig Trennende

■ Im deutsch-polnischen Grenzgebiet will man wirtschaftlich kooperieren, kann aber noch nicht

Gernot Schmidt packt den kürbiskopfgroßen Marmorblock, drückt ihn an die Brust und schleppt ihn die Treppe hoch. Die runden Steinhälften der Plastik erinnern an ineinandergreifende Handknöchel, nur getrennt durch einen schmalen Spalt. Ein polnischer Bildhauer hat das Werk für eine deutsch-polnische Ausstellung in der brandenburgischen Landesregierung geschaffen; in Schmidts Büro in der Seelower Kreisverwaltung soll es bis zur Vernissage warten. Der korpulente Schmidt, Referent des Landrats der Kreisstadt Seelow, keucht und schwitzt. Und das liegt nicht nur an dem Gewicht des Steins.

„Solange es um Kulturaustausch geht, funktioniert es gut mit unseren polnischen Nachbarn“, stöhnt er. „Aber wenn es um wirtschaftliche Interessen geht, wird es knallhart.“ Im deutsch-polnischen Grenzland wird dies- und jenseits der Oder mit den selben Strukturproblemen gekämpft. Nur kriegen die Ostdeutschen aus West- und EG-Töpfen Unterstützung, die den Polen fehlt. Sie gucken über ihre Westgrenze und erwarten „Hilfe durch konkrete Projekte“, berichtet Schmidt. Zu denen der Kreis aber nicht in der Lage sei.

Die wenigen Fabriken, Ziegeleien und holzverarbeitenden Betriebe produzieren gar nicht mehr oder unrentabel mit veralteter Technologie. Die 39.000 Einwohner des Landkreises Seelow lebten bis zur Wende meist von Landwirtschaft. Jetzt stehen auf öden Äckern noch die Maisstümpfe vom letzten Jahr, neu angebaut wird hier nicht mehr, ein Viertel der Menschen ist ohne Arbeit. „Wir müssen von der Grenze profitieren“, beschwört Landrat Albert Lipfert die Zukunft der Region. „Wenn in unserem polnischen Nachbarort Küstrin nichts passiert“, ergänzt sein Referent, „fallen wir als Kreis auch weiter runter.“

Seelow ist der einzige Landkreis in Brandenburg mit einem grenzübergreifenden Projekt, das finanziert ist. Im Dorf Manschnow, auf einem Gelände, wo früher Gemüse verarbeitet wurde, sitzt in einigen Büroräumen das CLIK — ein „Centrum für ländliche Information und Kommunikation“. Es wird durch den Landkreis getragen, mit Mitteln der Europäischen Gemeinschaft und dem Land Brandenburg gefördert. Der wichtigste Mann dieser Vermittlungs- und Beratungsstelle zur Entwicklung der Oberbruchregion ist Edmund Rzadzki.

Als „kleiner Mitarbeiter im Grenzbereich“ bezeichnet er sich. Tatsächlich ist er Moderator, Nachrichtenüberbringer und Dolmetscher. Der polnische Elektriker — „ich habe denselben Beruf wie unser Präsident“ — soll schnell und unbürokratisch dort eingreifen, wo es an deutsch-polnischen Beziehungen hapert: zwischen den Kommunalpolitikern vermitteln und wirtschaftlicher Zusammenarbeit den Weg ebnen. „Die Gespräche, das Interesse und das Potential sind da, auf beiden Seiten“, berichtet er ganz optimistisch. Doch handfeste Erfolge kann er noch nicht vorweisen. Bisher beschränkt sich die wirtschaftliche Kooperation auf „gegenseitiges Abriechen“, wie man in Polen sagt.

Seit neun Monaten zum Beispiel kommt ein Duisburger Unternehmer immer wieder nach Gorzow, der Hauptstadt der Wojewodschaft auf der anderen Seite der Oder. Er will in eine polnische Ziegelei investieren und große Mengen der traditionellen Oderbruch-Ziegel abnehmen. Doch ihm fehlt der konkrete Ansprechpartner. „Der Prozeß der Privatisierung“, erläutert der Pole, „dauert auch bei uns sehr lange.“ Bisher beschränkt sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit darauf, daß mal hier ein polnischer Handwerker ein Fenster in einem deutschen Haus einbaut und da ein deutscher Betrieb Baustoffe in Polen einkauft. „Dabei bietet es sich für deutsche Unternehmen an“, erklärt Rzadzki, „Teile der Produktion nach Polen auszulagern, um Löhne und Energiekosten zu sparen.“

Das weite Land im Oderbruch hat selbst das natürliche Hindernis zum polnischen Nachbarn noch nicht überwunden. Man sieht über Schilfinseln zum anderen Ufer, fast kann man rüberspucken — aber erst im September wird eine Brücke nach Küstrin für Grenzgänger offen sein. Ab Mai soll es wenigstens einen direkten Zug geben. Bisher geht die nächste Verbindung über Frankfurt/ Oder und dauert Stunden.

Künstler machten den ersten Schritt

Doch der Fluß ist nicht das einzig Trennende in der Landschaft mit dem schüchternen Reiz von flachen Wiesen und gestutzten Weiden. Da gibt es noch die alte Angst vor der deutschen Okkupation und die unterschiedlich dicken Geldbeutel, die eine Armutsgrenze errichten. „Hier an der Grenze müssen wir immer vorsichtig sein“, erzählt Bürgermeisterin Jutta Wiesinger aus Letschin. „Wenn wir uns die Wessis anschauen, wissen wir, wie wir uns den Polen gegenüber nicht benehmen dürfen.“ Ihre und andere Gemeinden im Landkreis Seelow haben verschiedene Projekte auf die Beine gebracht: Schülergruppen und Sportvereine haben intensive Kontakte nach Osten. Aber nach wie vor spürt die Bürgermeisterin gegenseitige Vorbehalte.

„Wir haben es ständig mit der tief verankerten Angst der Polen vor den Deutschen und der D-Mark zu tun“, beschreibt Rzadzki das Problem. In Polen gebe es zwei extreme Haltungen, die erst langsam abgebaut würden: Die einen seien bereit, „alles zu verkaufen“, die anderen wollten die Deutschen „nur über die eigene Leiche“ ins Land lassen.

„Aber seit der Grenzöffnung am 8. April 91 schmilzt das Eis“, behauptet der polnische Moderator. Mit Ingrid Panse vom Kulturamt der Stadt Seelow ist er sich einig, daß die Künstler dazu den ersten Schritt gemacht haben. Vergangenes Jahr fanden die ersten deutsch-polnischen Ausstellungen in Gorzow und Seelow statt. Ab Samstag sind in der „Kleinen Galerie“ in Seelow Bilder von Zbigniew Olchowik aus Gorzow zu sehen. Und auf den Seelower Höhen — dort, wo 1945 bei einer der brutalsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs 45.000 sowjetische, polnische und deutsche Soldaten umkamen — liegen jetzt schon fünf riesige Marmorquader aus Carrara. Deutsche und polnische Bildhauer werden daraus im Frühsommer Grenzsteine schlagen, die verbinden sollen. Corinna Emundts &

Bascha Mika, Seelow