: Der Fluch aus dem Faxgerät
Die Sperrung von islamistischen Zeugen durch die USA belastet inzwischen vor allem die Anklagebehörde
KARLSRUHE taz ■ Seit dem 11. Dezember läuft es für Generalbundesanwalt Kay Nehm nicht mehr rund. Damals wurde der als Terrorhelfer angeklagte Marokkaner Abdelghani Mzoudi aus der U-Haft entlassen, später sogar freigesprochen. Auch sein Landsmann Mounir al-Motassadeq ist seit gestern frei, die Verurteilung war schon Anfang März vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden.
Dabei war an diesem Tag im letzten Dezember nicht viel passiert. Um 8.30 Uhr surrte eine dürre Erklärung des Bundeskriminalamts (BKA) aus dem Faxgerät des Hamburger Oberlandesgerichts. Darin wurde eine „Auskunftsperson“ zitiert, laut der in Hamburg nur vier Personen von den geplanten Anschlägen auf das World Trade Center wussten: die drei Todespiloten Mohammed Atta, Marwan Alshehhi und Ziad Jarrah sowie der Cheflogistiker Ramsi Binalshibh. Alle Beobachter gehen davon aus, dass es sich bei der Auskunftsperson um Ramsi Binalshibh selbst handelt, der von den USA festgehalten wird. Seitdem kämpft Kay Nehm gegen die Wirkung dieser Faxmitteilung, die man in seiner Behörde für „völlig überschätzt“ hält. „Die zitierten Aussagen dienten klar dem Zweck, Mittäter zu schützen“, heißt es in Karlsruhe.
Wie die verhörenden US-Ermittler die Aussagen Binalshibhs einschätzen, ob sie diese für glaubwürdig oder vorgeschoben halten, stand in der BKA-Erklärung nicht. Deutsche Sicherheitskreise machen dafür die USA verantwortlich, mit denen die Erklärung im Detail abgesprochen war. „Dort hatte man Angst, dass jede weitere Information über Widersprüche in Binalshibhs Aussageverhalten zu neuen Nachfragen seitens der Prozessbeteiligten führen würde“, erläutert ein hochrangiger deutscher Beamter. „Die US-Dienste, die ihren eigenen Gerichten bisher derartige Informationen ebenfalls verweigern, wollten keinen Präzedenzfall schaffen.“
Zunächst hatten die amerikanischen Behörden die Ergebnisse der Verhöre von Binalshibh und anderen inhaftierten Islamisten ganz für sich behalten wollen. Nur auf Drängen der Bundesregierung erhielten deutsche Geheimdienste und später auch das BKA Auszüge aus den Verhörprotokollen, die Deutschland betreffen. Die Verwendung war strikt auf „präventive Zwecke“ beschränkt. Doch sie sollten auf keinen Fall veröffentlicht werden – al-Qaida sollte nicht wissen, was die gefangenen Kämpfer ausgesagt hatten. Deshalb wurden die Unterlagen auch für die beiden Hamburger Prozesse gesperrt, und Mitarbeiter von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und BKA durften nicht aussagen.
Zum Konflikt mit den Amerikanern kam es, als sich in den Protokollen auch eindeutig entlastende Passagen fanden. „Bundesregierung, Nachrichtendienste und Generalbundesanwalt waren sich einig, dass diese aus rechtsstaatlichen Gründen in laufende Gerichtsverfahren eingeführt werden müssen, auch wenn der Wahrheitsgehalt im Einzelnen fraglich ist“, so der hohe Beamte. Es sollte jeder Anschein verhindert werden, Entlastungsmaterial wäre zurückgehalten worden.
Die Verhandlungen mit den USA zogen sich hin, Woche um Woche verging, während sich in Deutschland der Prozess gegen Mzoudi dem Ende näherte. Die Bundesanwaltschaft musste sogar unter Verweis auf „neue Informationen“ ihr Plädoyer verschieben. Dass diese Informationen aus Sicht der Bundesregierung relativ wertlos sind, konnte dem Gericht jedoch nicht mitgeteilt werden, sonst hätten die Richter der Verzögerung nicht zugestimmt.
So wuchsen die Erwartungen bei Richter Klaus Rühle und seinen Kollegen, die von den vielen Sperrerklärungen ohnehin genervt waren. Als das BKA-Fax schließlich kurz vor dem vermeintlich letzten Sitzungstag eintraf, hatte es eine Bedeutung erlangt, die ihm sonst vermutlich nicht zugekommen wäre. Es hatte die Stimmung letztlich zum Kippen gebracht. Das Gericht ließ Mzoudi nach kurzer Beratung umgehend frei.
De facto sind die Sicherheitsbehörden inzwischen in einer schlechteren Lage als die Verteidigung. Da sie die Vertraulichkeitszusage gegenüber den USA nur bei entlastenden Aussagen durchbrechen, entsteht für das jeweilige Gericht ein asymmetrisches Bild. Dazu kommt das Urteil des Bundesgerichtshofs von Anfang März. Bei der Aufhebung des Motassadeq-Urteils postulierten die Richter, dass die Beweislage „besonders vorsichtig“ zu bewerten sei, wenn ein wichtiger Zeuge von den USA gesperrt ist und mögliche entlastende Aussagen in Deutschland gar nicht bekannt werden.
CHRISTIAN RATH