: Der Film zur Entführung
Zehn Jahre danach: „Die Affäre Aldo Moro“ aus der Sicht des italienischen Regisseurs Guiseppe Ferrara. Ein Politthriller, der auf die Abläufe mehr Wert legt als auf die Zusammenhänge und die Nerven kitzelt. ■ Von Regina Keichel
Ein Morgen wie jeder andere. Wenn nur nicht diese Musik wäre, die Unheil verspricht. Musik wie in Western, kurz bevor der erste Mann umfällt. Kinder verabschieden sich von ihren Eltern, ein Chauffeur von seiner Frau, ein Mann von seinem Enkelkind. Der Mann heißt Aldo Moro, er ist der Chef der italienischen Christdemokraten, erzählt dem kleinen Luca noch einmal die Geschichte von den Wölfen und den bösen Jägern, die Spannung steigt. Schnitt. Eine Frau stülpt sich nervös eine Perücke über, einige Männer prüfen ihre MG's, der Polizeisender wird abgehört. Die schnelle Schnittfolge verspricht nichts Gutes. Soll es auch nicht. Der Nervenkitzel ist Programm. Regieanweisung. Wir kramen weiße Papiertücher aus unseren Taschen und sind auf das Schlimmste gefaßt. Aldo Moro steigt ins Auto, eine Escorte setzt sich in Bewegung, doch die Bremsen der Wagen sind manipuliert, die Falle ist perfekt ausgeklügelt. Das Klavier klimpert dem Finale entgegen, MG's werden gezogen, Terroristen reißen die Türen auf und ballern los. Die Leichen der body-guards hüpfen, Folge der vielen Kugeln, rhythmisch zum Streichquartett durch den Fiat. Es fließt viel Blut. Man wartet auf das Ende des Gemetzels. Ein Schuß noch ins Genick eines Überlebenden, dann ist auch das überstanden.
Wir sind schlauer als die Politiker und die Polizisten, die sich mit der Entführung Aldo Moros herumplagen müssen, wir kennen schon das Ende der Ge
schichte. Die Spannung bleibt trotzdem. Das war Absicht. Der Film soll keine nüchterne Dokumentation der Ereignisse im Jahre 1978 sein, sondern ein Polit-Thriller, mit der Betonung auf letzterem. Die „Twentieth Century Fox of Germany“ verbürgt sich mit guten Namen.
Auf welcher Seite sind wir? Zittern wir mit den Entführern, im Privatleben Menschen wie du und ich, Allerweltgesichter mit Trenchcoat und den damals modernen beige-braun-schwarzen -Romben-Spencern, die Mode hat sich geändert. Nehmen wir Partei für die Brigate Rosse, die für die Entführung verantwortlich zeichnet, die keinen Zweifel daran läßt, daß sich Moro in einem Volksgefängnis befinde und daß man ihm einen Prozeß machen will - wenn nicht die Regierung bereit ist, ihn mit der Entlassung dreizehn Gefangener freizukaufen.
Oder bibbern wir mit Aldo Moro (gespielt von Gian Maria Volonte), der die Kommunisten an der Regierung beteiligen wollte, dieser Politiker, auf den damals viele ihre Hoffnung setzten? Ein sympathischer Mensch, so suggeriert uns Regisseur Guiseppe Ferrara, mit buschigen Augenrauen und einem sympathischen Lächeln, ein Märchenerzähler mit Grübchen, ein Mann, der immer Herr der Lage bleibt, immer gefaßt, nur einmal wird er ungeduldig, als die Entführer eine Verabredung nicht einhalten. Als gläubiger Katholik bittet er um eine Bibel. Die Terroristen sind keine Unmenschen, sie bringen sie ihm.
Man muß es Ferrara honorieren, daß er uns diese Ambivalenz
in der Entscheidung läßt, daß er uns - wenigstens in dem Film - keine eindeutige Parteinahme abverlangt. Darum geht es auch nicht in dieser Verfilmung, nicht um nur-gut-und-nur -böse, wir zittern auf jeden Fall. Wenn jemand schlecht wegkommt, dann ist es die Regierung mit ihren Politikern unterschiedlicher Colour und Provinienz, denen (nicht allen) - so steht es mittlerweile auch in italienischen Geschichtsbüchern - Moros Tod nicht ganz ungelegen kam; daß die harte Linie, so zeigt es Ferrara, in den Verhandlungen mit den Entführern weniger eine Frage des Prinzips als vielmehr der Opportunität war. Deshalb wurde aus dem Fall Aldo Moro die „Affäre Aldo Moro“.
Ferrara arbeitet dokumentarisch, heißt es im Pressetext. Das heißt, daß er nahe an der Realität bleibt, Fernsehaufzeichnungen nachstellen ließ, Zeitungsausschnitte abfilmte. Das heißt aber nicht, daß er sich mit dem Herstellen von kausalen Zusammenhängen Mühe gab, auf die Analyse von Details Wert legte, die man, wenn sie denn schon erwähnt werden, doch auch gerne erklärt haben möchte: das wäre einigermaßen nützlich. Doch da Ferrara für seinen Film ein Strickmuster wählte, durch dessen grobe Maschen so manches Indiz fallen kann, müssen wir selbst an vielen Stellen dedektivische Schwerstarbeit leisten, wenn es zum Beispiel um die knifflige Frage geht, was denn mit den Taschen voller Staatsgeheimnisse passiert ist, die Aldo Moro bei sich trug, als er entführt wurde - wo doch Moros Ehefrau anhand der Blutspuren
im Auto feststellen konnte, daß nicht die Terroristen sie mitgenommen hatten? War's der CIA? Und warum wurde ein versiegelter Umschlag aus Moros Büro geschmuggelt?
Ferrara wollte einen Thriller machen, einen Film, der vor allem die Nerven kitzelt und auf die Tränendrüsen drückt. Da kommt es auf die eine oder andere Wahrheit nicht so an, wenn nur der Spannungsbogen gewahrt bleibt. Der Zuschauer wird zum Zeugen für die langen Verhöre mit Moro bestellt, er darf auch Mäuschen spielen, wenn die Sozialisten, Kommunisten und Christdemokraten ihre scheinheilige Maschinerei in Gang setzen, dabei doch nicht im Ernst daran denken, Aldo Moro wirklich zu befreien. Das zumindest zeigt Ferrara: daß die Regierung ihr Süppchen als Mittäter mitgekocht hat. Denn schon bei der ersten Krisensitzung sind sich alle Politiker einig, daß es für den Staat am besten ist, wenn Moros Versteck nicht gefunden wird. Man geht zwar Hinweisen nach, aber immer den falschen. Ein Dorf namens Gradoli wird von paramilitärischen Einheiten durchkämmt, obwohl doch die anonyme Anruferin die gleichnamige Straße in Rom meinte.
Brigate Rosse: Eine zerstrittene Bande, traut man dem Film, in der jeder seine Interessen durchsetzen will auf Kosten einer Solidarität und auf Kosten Aldo Moros, der schließlich, als einige Ultimatien gestellt und von der Regierung nicht eingehalten werden, getötet werden muß, obwohl viele Stimmen aus den eigenen Reihen dagegen stimmen. Aber es muß sein, sagt ein Ent
führer zum anderen. Aldo Moro, der weiß, daß seine letzte Stunde geschlagen hat, trägt es mit Fassung. Ob er es wirklich tat - who knows?
Italien 1987, Regie: Guiseppe Ferrara. Mit Gian Maria Volonte u.a.
Atlantis, 20 Uhr
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