■ Der Feierabend der Sindelfinger Telefonsextante: „Mein Künstlername ist Karin“
Sindelfingen (taz) – Die Dame ist geschäftstüchtig: „Hallo, hier spricht eure geile Karin aus Boulevard Bio“, säuselt ihre Stimme kuschelweich vom Anrufbeantworter, „ich bin täglich ab 17 Uhr zu erreichen und am Wochenende meist auch tagsüber.“ Seit ihrem TV-Auftritt in „Boulevard Bio“ läuft das Geschäft noch besser als ohnehin schon. Auch bei „Einspruch“ auf Sat.1 hat sich die 24jährige Sindelfingerin schon über ihr Gewerbe ausgesprochen. Wenn auch noch mit großer Sonnenbrille getarnt. Bei Bio hatte sie nichts mehr zu verbergen: „Wenn ich von der Arbeit komme, lege ich mich nackt aufs Bett, entspanne mich, sehe ein bißchen fern – und dann klingelt das Telefon.“ Der heiße Draht zur schnellen Nummer ist in den Stoßzeiten – kurz nach Feierabend – selten frei für Telefonfreier. „Es rappelt im Karton“, freut sich die üppige Blondine mit dem Schmollmund. Doch den Höhepunkt ihrer Fernsehkarriere fanden nicht alle so lustig: „Sindelfingen muß sich wehren“, empörte sich eine Zuschauerin tags drauf bei einer Sindelfinger Zeitung und beim städtischen Kulturamt.
In einschlägigen Magazinen preist Karin – „mein Künstlername“ – sich an. Hauptberuflich ist sie Sachbearbeiterin bei einer großen Sindelfinger Firma. Unter ihren Kunden hat sie auch schon Leute aus der Firma erkannt. Für Karin ist Telefonsex ein ganz normales Gewerbe mit Buchführung, Kartei und Steuern. 50 Mark kostet die Telefonanie. Unterm Strich kommt sie damit fast auf einen zweiten Monatslohn. „Rrrrrring-Rrrrrring.“ Zierliche Hände greifen zum Hörer. „Hallo“, haucht Karin in die Muschel. „Kommst aus dem Urlaub und bist schon wieder geil? Gibst mir mal bitte deine Telefonnummer und Adresse.“ Sie notiert und fragt, wie er's denn gerne hätte. Ihre Stimmbänder klingen, als seien sie mit Zuckerwatte gesponnen, doch ihre blauen Augen stehen eher im Gegensatz dazu: Da ist kein verführerischer Glanz, nur geschäftige Konzentration. Am zweiten Telefon tippt sie flugs die Nummer ein. Belegt – ein erstes Indiz, daß sie der Kunde nicht übers Ohr hauen will. Doch Karin geht auf Nummer Sicher. Prüft über die Auskunft Adresse und Telefonnummer, wählt den Kunden an, gibt ihre Bankverbindung durch: „Okay, rufst mich gleich zurück?“ „Rrrrring-rrrrring.“ – „Stell dir vor, ich bin Sekretärin und will bei dir eingestellt werden. Ich komme zur Tür rein, habe hochhackige Schuhe und einen engen Rock an.“ Sie turnt den Gesprächspartner mit obszönen Befehlen an, die sich rhythmisch steigernd wiederholen. Nach gut fünf Minuten erreicht der Telefon-Bolero seinen Höhepunkt – ganz, wie sie's bei Bio versprochen hat. Bei den nächsten beiden Kunden zieht sie die gleiche Nummer ab. Sie geht dabei im Zimmer umher, bedient Faxgerät und Kopierer. „Rrrrrring-rrrrring.“ – „Du willst es auf schwäbisch?“ Der vierte Anrufer will was Besonderes. Sie schwäbelt eine neue Erotik-Geschichte ins Telefon. „Das erste Mal, daß es einer so wollte“, sagt sie nach sieben Minuten fernmündlicher Sex-Spiele, „das muß an der Fernsehsendung liegen.“ In gut zwei Stunden hat sie 200 Mark verdient – vorausgesetzt, die Telefonfreier begleichen ihre Rechnung. „Die meisten Anrufer haben mit ihren Frauen nur den 08/15-Sex, bei mir wollen sie ihre Phantasien ausleben“, begründet sie den Telefonsex-Boom. 18- bis 70jährige onanieren via Hörer, darunter sind „Männer, die sich die 50 Mark echt abknapsen müssen, aber auch Manager, die keine Zeit für richtigen Sex haben“.
Der Arbeitgeber duldet ihren Nebenjob, ihr Freund glücklicherweise auch. „Privat bin ich ein richtiger Knuddeltyp“, bekennt sie. Jörg Hamann
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