: Der Favorit hat so seine Tücken
Wolfgang Gerhardt, Kandidat für die Kinkel-Nachfolge, mehrt die Chancen für eine Rechtswende der Partei / Nervosität in der Koalition und Angst vor Panikreaktionen in der Fraktion ■ Aus Bonn Hans Monath
Der neue Mann ist gar nicht so neu. Seit immer mehr liberale Landesverbände und Spitzenpolitiker für ihn votieren, steigen die Chancen des hessischen FDP-Chefs Wolfgang Gerhardt, Nachfolger von Klaus Kinkel zu werden. Den vielgeforderten personellen Neuanfang allerdings würde Gerhardts Wahl auf dem Parteitag von Mainz in drei Wochen nicht bringen: Als stellvertretender Vorsitzender der FDP trägt der heutige Bundestagsabgeordnete schon seit zehn Jahren Mitverantwortung für den Niedergang seiner Partei.
Die FDP steht in Mainz vor einer Richtungsentscheidung: Der hessische Landesverband des Favoriten gilt innerhalb der Partei als rechtsliberal. Der Kandidat selbst hat sich als Befürworter des „Großen Lauschangriffs“ und als Opponent des linksliberalen Flügels einen Ruf erworben. Vor allem focht Gerhardt auch gegen die Ausgrenzung Jörg Haiders aus der Liberalen Internationalen.
Für die bislang marginalisierten Nationalliberalen in der FDP eröffnet das neue Chancen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag, Heiner Kappel, will in den nächsten Tagen die Diskussion um die FDP-Zukunft mit einem Positionspapier bewegen. Mitautor ist Alexander von Stahl, der gemeinsam mit Rainer Zitelmann den FDP-Kurs nach rechts wenden will. In vielen Essentials liegen Kappel und Stahl mit der bisherigen Parteimehrheit über Kreuz. Die „multikulturelle Gesellschaft“ ist ihnen ein Greuel, das positive Bekenntnis zur eigenen Nation liegt ihnen um so mehr am Herzen.
Der „Freiburger Kreis“ um Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, Burkhard Hirsch, Gerhart Baum und Michael Kauch, dem Chef der Jungliberalen, ist den Nationalliberalen in der Positionierung zuvorgekommen. Mit einem eigenen Antrag wollen sie die Partei gegen die „Neue Rechte in und außerhalb der Partei“ abgrenzen. Sie befürworten einen europäischen Bundesstaat, sprechen sich für eine „offene Bürgergesellschaft“ aus und fordern die multikultuerelle Gesellschaft als Voraussetzung für eine wirksame Ausländerpolitik.
Mit dem Kandidaten Gerhardt ist das Kappel-Stahl-Papier angeblich nicht abgesprochen, wie Kappel versichert. Die Autoren wollen Gerhardt nicht als Flügelkandidaten diskreditiert sehen. Ein Durchmarsch der Rechtsliberalen ist auch unwahrscheinlich. Um die Partei zusammenzuhalten, müßte auch ein gewählter Vorsitzender Gerhardt dem „Freiburger Kreis“ Brücken bauen. Das Wegbrechen des linksliberalen Flügels kann die Partei nicht riskieren.
Die Koalition reagiert nervös auf die FDP-Turbulenzen: formelhaft beschwören Unionspolitiker die Stabilität der Regierung. Der Wille, den kleineren Partner zu schonen, ist offensichtlich. Sogar CSU-Generalsekretär Protzner preist öffentlich die Erfolge des liberalen Außenministers Klaus Kinkel. Tatsächlich drängen die Christsozialen schon seit Monaten auf das außenpolitische Terrain und lassen an der Arbeit Kinkels und seines Ministeriums („Genscherismus“) kein gutes Haar.
Wie sie künftig ohne jedes Drohpotential im Rücken im Kabinett Konflikte mit Kohl durchstehen sollen, wissen die liberalen Minister wohl selbst nicht. Der Partner Union hat viele Optionen, die Liberalen haben nur eine: sich am Kabinettstisch festzukrallen.
Gefahr droht der knappen Koalitionsmehrheit auch durch Panikreaktionen liberaler Bundestagsabgeordneter. Wer beim Ausscheiden aus dem Parlament 1998 nicht versorgt wäre oder die eigene Politikkarriere fortsetzen will, muß sich rechtzeitig nach einer neuen politischen Heimat umsehen. SPD-Geschäftsführer Günter Verheugen lud unmittelbar nach Kinkels Verzicht alle „fortschrittlich und rechtsstaatlich denkenden Mitglieder der FDP zur Mitarbeit in der SPD ein“. Ein Rechtsruck der FDP in Mainz könnte den Reiz dieses Angebots erhöhen. Daß ein Parteiwechsel sich lohnen kann, beweist Verheugens eigene Karriere: Der SPD-Mann war lange Generalsekretär der Liberalen.
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