: Der Falsche
Sonntags stehe ich gern in der Küche. Das Radio ist an. Ich genieße es, Gemüse zu putzen, Kräuter und Knoblauch zu hacken. Die Fische zu füllen. Iiiiiih, schon wieder Fisch, sagt der Sohn, der sein eigenes Pizzaleben lebt. Reis oder Kartoffeln? Kartoffeln schälen oder nicht? Entscheidungen sind zu treffen. Zum Beispiel der Wein: ein Roter zum Fisch, warum nicht.
Die Flasche steht neben dem Herd und ist schon geöffnet. Wein gehört dazu. Zum Essen sowieso, zum Kochen auch. Auch wenn der Koch heute ohne Wein kocht, trinkt er doch Wein beim Kochen. Jahrzehnte habe ich gedacht, dass ich mich mit Wein ganz gut auskenne. Heute weiß ich nur noch, dass ich gar nichts weiß. Seit mal einer in der Zeitung (war’s nicht in der taz?) einen Weißen mit der Reinheit von Schneeluft und der Unerbittlichkeit eines Schwertes aus der Schmiede von Hattori Hanzo verglichen hat, ist mir klar, dass ich ganz enorme Geschmacksdifferenzierungsdefizite habe.
Die Frau steht in der Küchentür. Sie hält professionell ihre Nase in mein Glas und sagt überzeugt: Schwarze Johannisbeere. Niest dreimal und geht wieder. Ich rieche auch: Es duftet nach Wein und Knoblauch (die Hände nicht gewaschen). Auf dem Rücketikett steht: Eukalyptus, Minze und Pfeffernoten. Zu Lammfleisch und Käse. Ganz klar: Den falschen Wein geöffnet.
Wenn das Essen fertig ist, kommt die Frau mit viereckigen Computeraugen. Auch der Sohn kommt mal gucken. Bei euch stinkt’s, sagt er sachlich und geht wieder. Es gibt gefüllte Doraden aus dem Backofen und Rosmarinkartoffeln. Dazu den falschen Wein: herrlich! HANS MENDAU