■ Der Fall Bangemann: Die EU als Selbstbedienungsladen: Schlechte Gewohnheiten
Es stimmt schon: Martin Bangemann ist ein besonders unappetitliches Exemplar jener Spezies, die Europa als Selbstbedienungsladen betrachtet. Allerdings sollte seine Partei FDP, die sich jetzt voller Abscheu von ihm abwendet, besser kritische Geschichtsforschung betreiben: Schließlich saß Bangemann nur deshalb in der Brüsseler Kommission, weil die Partei der Besserverdienenden aus ihm einen noch besser Verdienenden machen wollte.
Auch die Regierungschefs, die ihn jetzt vor den Europäischen Gerichtshof bringen wollen, sollten sich lieber an die eigene Nase fassen. Bei den jüngsten Personalgesprächen haben sie Romano Prodi klargemacht, wie eng seine Spielräume sind. Ursprünglich war Prodi vom Ministerrat als Kontrast zum schwachen Vorgänger Santer an den Start geschickt worden. Er bekam den Auftrag, die Ressorts nach sachlichen Erwägungen zuzuschneiden und die Kommissare nach Fachkriterien auszuwählen.
Noch beim Kölner Gipfel legte Prodi ein vielversprechendes Reformpapier vor. Nach der Europawahl aber hat er sich in den Niederungen der Parteipolitik und im Proporzdenken der nationalen Regierungen verstrickt. Partei- und Staatsangehörigkeit – es sind diese zwei sich überschneidenden Loyalitätsgeflechte, die Prodis Regierungsbildung zum schlimmen Postenschacher machen.
Das frisch gewählte Europaparlament macht dabei ebenfalls keine gute Figur. Dabei waren es die EU-Parlamentarier, die im Januar Fraktionsinteressen und nationale Eitelkeiten zurückstellten und gemeinsam die diskreditierte Kommission zum Rücktritt zwangen. Kaum sind die Wahlen gelaufen, fallen auch die Europarlamentarier in schlechte Gewohnheiten zurück. Die Konservativen, die nun stärkste Fraktion geworden sind, haben Prodi gedroht, seine Mannschaft im September nicht zu akzeptieren, falls zu wenige Kommissarsposten an christdemokratische Politiker vergeben werden. Auch die Grünen, die bei den Wahlen ebenfalls zulegten, machen Druck. Die Partei, die den Postenschacher der anderen stets mit Abscheu verfolgte, will nun eine grüne Kommissarin um jeden Preis.
Da das auch im Bonner Koalitionsvertrag steht, soll es eine Deutsche sein. Ein Ressort wird sich dann schon finden. Auch die Konservativen kämpfen ihre Ansprüche auf deutschem Parkett aus. Was geschieht, wenn Personen wichtiger sind als Programme, kann man in Deutschland gut beobachten. Siehe Bangemann. Daniela Weingärtner
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