■ Der Facharbeiter, der ein Leben lang eine Familie ernährt, ist ein Auslaufmodell. Das muß der DGB erst noch lernen: Die konservative Arbeiterbewegung
Was war das früher schön, als Vater abends nach Hause kam und sagen konnte: „Heute haben wir wieder 500 VW Käfer gemacht!“ Heute kommt er und meldet 2.000 Polos, doch die rechte Freude will nicht mehr aufkommen, weil alle ahnen, daß das ungefähr 2.000 Polos zuviel sind. Unsere Gesellschaft tut alles dafür, daß er die 2.000, besser noch, daß er 3.000 Polos machen kann.
Hauptsache Arbeit: Wenn Deutschlands Autobahnen und Garagen überfüllt sind, dann motorisieren wir eben China. Wenn die Rüstungsindustrie in der Krise steckt, muß der europäische Kampfbomber her, auch wenn der militärisch keinen Sinn macht. Wenn Nachbarn sich eine gemeinsame Waschmaschine in den Keller stellen, gefährden sie den Standort Deutschland. Denn die Kollegen in der Haushaltsgeräteindustrie haben dann nichts mehr zu tun. Fehlende Binnennachfrage.
Das männliche Arbeitskonzept „Vollzeit bis zur Rente“ funktioniert nicht mehr. Immer mehr Männer sind mit einem Lebens- Patchwork konfrontiert, das Frauen schon lange kennen: mit ungesicherter Beschäftigung, mit einer Erwerbsbiographie, die zum Flickwerk wird. Die Debatte um die Zukunft der Arbeit dreht sich um die Zukunft der Männerarbeit. Weil den männlichen Ernährern die Arbeitsplätze wegbrechen, gerät die ganze patriarchale Ökonomie ins Wanken: Der Sozialstaat beruht auf dem Männereinkommen als Familieneinkommen. Im Duktus von Katastrophenmanagement geht es um Schlagworte wie Globalisierung oder Lohnnebenkosten. Die Geschlechterfrage wird weitgehend ausgeblendet. Auch bei den Gewerkschaften.
Die Arbeiterbewegung war immer eine Männerbewegung. Sie hat das selten offen ausgesprochen, sondern ihre Ziele stets scheinbar geschlechtsneutral formuliert. Über 100 Jahre lang ging es den Gewerkschaften vorrangig darum, die materielle Situation ihrer wichtigsten Klientel zu verbessern: Der Verdienst eines männlichen Facharbeiters sollte ausreichen, um sich und seine Angehörigen allein ernähren zu können. „Schafft Zustände, worin jeder herangereifte Mann ein Weib nehmen, eine durch Arbeit gesicherte Familie gründen kann“, hieß es 1866 in einer Denkschrift der deutschen Abteilung der Internationalen Arbeiterassoziation. Das bürgerliche Ideal, die eigene Partnerin als Hausfrau von der Erwerbsarbeit freizustellen, blieb für die meisten Gewerkschaftsmitglieder lange eine unerreichbare Wunschvorstellung. Weibliche Berufstätigkeit war im Arbeitermilieu stets Zwang; es gab keine Wahlmöglichkeit zwischen Familie und Beruf. Im Kern hat sich daran bis heute wenig geändert. Die Frau des Monteurs steht hinter der Käsetheke, weil das Einkommen ihres Mannes nur für ein bescheidenes Leben reicht. Die Mieten sind hoch, die Familie möchte sich den Mittelklassewagen leisten, und die Kinder wollen die neuesten Markenturnschuhe und CD-ROMs.
Die Lohnpolitik der Gewerkschaften orientiert sich am Leitbild des männlichen Alleinverdieners. Die Modellrechnungen der Gewerkschaftsfunktionäre in Tarifverhandlungen wirken seltsam hausbacken. Die vierköpfige Standardfamilie: zwei Kinder, dazu eine Hausfrau und Mutter und der alleinernährende Mann, der die Hypotheken auf das Reihenhaus nicht mehr bezahlen kann. Nach dieser Rollenverteilung werden Lohnforderungen legitimiert und kürzere Arbeitszeiten mit Teillohnausgleich als unrealistisch abgetan.
Der fleißige Facharbeiter, der mit vollem Einsatz für die Seinen schafft, hat allerdings zunehmend mit Irritationen zu kämpfen. Sein Fabrikarbeitsplatz ist von Rationalisierung bedroht, sein privates Lebenskonzept wird in Frage gestellt. Das gesellschaftliche Ansehen von Nur-Hausfrauen und Nur-Müttern ist, zumindest in den Großstädten, auf einem Tiefpunkt angelangt. Im Zuge dieses Wertewandels spielen die Gewerkschaften überwiegend die Rolle einer konservativen Organisation, die am Bewährten festhält. Zäh und aus historischen Gründen durchaus verständlich, verteidigen sie das männliche Normalarbeitsverhältnis, das in der Vergangenheit Schutz vor der Willkür kapitalistischer Dienstherren bot. Der geregelte Arbeitstag, durch Verträge und Gesetze garantiert, gilt zu Recht als Fortschritt. Unausgesprochene Bedingung war aber immer ein Lebenskonzept mit traditioneller Trennung der Geschlechtsrollen: Männerwelt Beruf, Frauenwelt Familie.
Der gewerkschaftliche Arbeitsbegriff ist einseitig auf Erwerbsarbeit fixiert und ignoriert die von Frauen in den Privathaushalten geleistete unbezahlte Arbeit. Das Leitbild „Vollzeit ein Leben lang“ erhebt die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung zum Programm. Sobald eine Familie gegründet wird, ist männliche Normalarbeit untrennbar mit einer gebrochenen weiblichen Berufsbiographie verbunden. Daß die Gewerkschaften die Wünsche weiblicher Beschäftigter nach flexiblen Arbeitszeiten lange ignorierten, hat mit ihrer einseitigen Fixierung auf diese Form der Männerarbeit zu tun. Teilzeittätigkeit von Frauen betrachteten die Funktionäre als verwerfliche Deregulierung des Arbeitsmarktes. Für die männlichen Tarifexperten handelte es sich schlicht um eine Grauzone, die von der Normalarbeit abwich. So wurden Zeitmodelle, mit denen Frauen mühsam Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen versuchten, kurzerhand denunziert. Dahinter steckt die tiefsitzende Angst, daß Arbeit keinen zentralen Stellenwert mehr im Lebensentwurf der eigenen Klientel einnehmen könnte – und damit auch die Gewerkschaften als Lobbyorganisation gefährdet wäre.
Gewerkschaftspolitik wird von älteren Männern bestimmt, deren Gattin den Rücken für die zeitraubende Arbeit im Dienste der Bewegung freihält. Mit eigenen Arbeitszeiten von weit über 70 Stunden kämpfen sie für die Einführung der 35-Stunden-Woche. Die hohen Scheidungsraten unter Spitzenfunktionären sprechen Bände: Im DGB wird alles andere als zeitpionierhaft gearbeitet. Die Gewerkschaften sind eine Männerorganisation unter dem Deckmantel der Geschlechtsneutralität. Ein Männerbund reflektiert nicht über männliches Verhalten.
Und die Zukunft? Für die Gewerkschaften geht es darum, sich für neue Wertorientierungen zu öffnen. Nur wenn die Gewerkschaften für ein Männerbild stehen, das nicht ausschließlich um Erwerbsarbeit kreist, haben Frauen im Beruf tatsächlich neue Möglichkeiten. Thomas Gesterkamp
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