: Der Erfinder des abstrakten Films
■ Nach mehreren Schenkungen besitzt die Bremer Kunsthalle jetzt über 80 Arbeiten und Serien des Medienkunst-Großvaters Kurt Kranz. Mit einer Retrospektive schließt das Museum jetzt eine große Lücke in der Sammlung
Kurt Kranz muss richtig in Spendierlaune gewesen sein. Denn eines Tages sagte der Zeichner und Maler zu Wulf Herzogenrath, dem Chef der Bremer Kunsthalle: „Such dir was aus.“ Herzogenrath stellte die Frage, ob er sich das richtig überlegt habe, denn er würde sich auch die wertvollsten Arbeiten aussuchen. Doch Kranz blieb dabei: „Such dir was aus.“ So suchte sich Wulf Herzogenrath was aus. Und seit diesem Gespräch der Herren Kranz und Herzogenrath und seit weiteren Schenkungen durch die Witwe des 1997 gestorbenen Künstlers, Ingrid Kranz, ist die Bremer Kunsthalle sozusagen die Anlaufstelle für alle Kurt-Kranz-Fans und solche, die es noch werden wollen. Denn in der Medienkunst-Abteilung unterm Dach des Museums ist jetzt eine Retrospektive zu sehen.
Kurt Kranz lebte in Wedel bei Hamburg. Das liegt an der Elbe und schräg gegenüber von Cranz (mit C), aber das ist nur so eine hübsche Nebensache. Die Hauptsache ist, dass der 1910 geborene Kurt Kranz nicht nur ein begnadeter Zeichner und einfallsreicher Maler war, sondern dazu beitrug, den Bauhaus-Gedanken in die Gegenwart hinüber zu retten. Den Bauhaus-Gedanken denken heißt: Die Grenzen zwischen angewandter und freier Kunst, zwischen Design, Malerei und so weiter zu überwinden.
Genau genommen war Kurt Kranz sein Leben lang Schüler und Lehrmeister zugleich. Einerseits hatte Kranz schon als 17-Jähriger Klasse-Ideen und schuf eines seiner Hauptwerke, die „Zwanzig Bilder aus dem Leben einer Komposition“. Andererseits begann Kranz ab 1930 im Dessauer Bauhaus mit Bauhaus-typischen Übungen und hörte eigentlich sein Leben lang nicht mehr auf damit.
Kurt Kranz hatte halt eine Vorliebe für Serien. Wäre der Film früher erfunden worden oder seine Herstellung früher billiger geworden, hätte Kranz vermutlich Filme gemacht. Schon sein Frühwerk „Zwanzig Bilder aus dem Leben einer Komposition“ von 1927/28 entwickelt aus einem abstrakten Aquarell immer weitere neue Bilder und „liest“ sich wie ein Film. Noch filmischer wirkt ein anderes Frühwerk: Mit viel Humor zeichnete Kranz 1929/30 in „Der heroische Pfeil“ den Weg eines Pfeiles. Mit diesem Entwurf für einen Schwarz-Weiß-Film sowie Vorläufer-Skizzen glaubte der Künstler, den abstrakten Film erfunden zu haben. Doch Hellmuth Eggeling und sein späterer Lehrer am Bauhaus, Hans Richter, waren ihm schon zuvorgekommen.
Wie ein Schwamm muss Kurt Kranz die wichtigsten Kunst-Strömungen der 20er und frühen 30er Jahre in sich aufgesogen haben. Neben den filmischen Ideen spiegeln sich Dadaismus und Surrealismus in seinen Collagen, Fotomontagen, Zeichnungen und Aquarellen. Dass er gerade mit seiner Neigung zum Surrealismus am Bauhaus ziemlich allein dastand, hat er in einer – noch am ehesten: – Magritte-haften Collage „Vereinsamung“ zu einem Kunstwerk verarbeitet.
Während das Surrealistische um 1950 langsam in den Hintergrund tritt, durchzieht Kranz' Beschäftigung mit Serien das ganze Werk. Bis ins hohe Alter beschäftigte er sich in Zeichnungen, Siebdrucken und Aquarellen sowie Faltbüchern und -bildern mit Variationen. In seinen Anfang der 80er Jahre entstandenen Matrix-Bildern scheint er sogar in Fragen der Digitalisierung von Bildern vorzustoßen. Diesem Spätwerk gibt die Ausstellung viel Platz. Unterbelichtet ist dagegen Kranz Tätigkeit im Zweiten Weltkrieg als Frontmaler in Norwegen. Nur ein paar Buchillustrationen unter Vitrinenglas dokumentieren diese Zeit.
Gleichwohl besitzt die Kunsthalle durch die Schenkungen von Kranz selbst und seiner Witwe jetzt mit über 80 Arbeiten und Serien einen umfassenden Überblick über das Werk des weit gereisten Künstlers. Obwohl Kranz jahrelang in Hamburg lehrte, gab er wegen der engen Bekanntschaft mit Wulf Herzogenrath den BremerInnen den Zuschlag. Als Kranz den Satz „Such dir was aus“ sagte, hatte Herzogenrath ihm gerade das Konzept für die Medienkunst-Abteilung und ihren Schwerpunkten Licht, Bewegung und Film unterm Dach der Kunsthalle vorgestellt. Da fühlte sich Kranz gut aufgehoben. Und so schließt die Kunsthalle jetzt eine Lü-cke zwischen der klassischen Moderne und aktueller Medienkunst. ck
Ausstellung bis zum 27. August in der Kunsthalle; Katalog: 29 Mark
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