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Archiv-Artikel

Der Dom blubbert

Das pgnm-Festival verspricht Schweißbrenner, Luftballonmassaker und hunderte HolzbläserInnen. Aber eigentlich geht es am kommenden Wochenende um die Erforschung von Raum und Bewegung

Pianistenschädel als Spielfläche, 200 Blockflöten im Dom: „Der sinnliche Aspekt ist dieses Mal unglaublich stark“

Jimi Hendrix hat seine Gitarre gern mit der Zunge bearbeitet, bei Uwe Rasch ist gleich der ganze Kopf am Instrument gefragt. In seinem Fall ein Pianistenschädel, den der Bremer Komponist auf die Tastatur sausen lässt. Das Gesicht wird zur Spielfläche, wobei die größte Tonmenge mit dem Seitprofil zu erreichen sein wird. Für einzelne Tasten sind Kinn oder Nase zuständig, die Finger bleiben in seinem übermorgen uraufzuführenden Stück tabu.

Warum diese Festlegung? „Beim Fußball ist das Handspiel ja auch verboten“, erklärt Rasch – „obwohl es das Naheliegendste wäre“. Bei seiner Komposition jedenfalls entstehe durch die Selbsteinschränkung ein „sehr poetisches Miniaturtheater für den Kopf“. Die Gelegenheit zu dessen Uraufführung bietet das Festival der „projektgruppe neue musik“ (pgnm), das am Wochenende unter dem Titel „... aus der Bewegung ...“ stattfindet. „Der sinnliche Aspekt ist diesmal unglaublich stark“, erklärt Nico Schalz. Der Musikwissenschaftler gehört zum harten sechsköpfigen Kern der Prokjektgruppe, die das Festival seit 14 Jahren ehrenamtlich konzipiert und durchführt. Aus Kostengründen findet es nun erstmals im Biennalrhythmus statt – „Tanz Bremen“ lässt grüßen.

In der Tradition der pgnm, die sich auch als politische Gruppe versteht, liegt die Bearbeitung sozialer und aktueller Themen - das letzte Festival (“Reaktionen“) bezog sich explizit auf Ereignisse wie 9/11 und den Nahostkonflikt. Diesmal jedoch ist der Ausgangspunkt ein innermusikalisches Phänomen: Die Konstitution von Raum durch akustische und körperliche Bewegung. Anders ausgedrückt: Dieses Jahr sind die Konzerte auch zum Gucken da. Durch den Dom werden am Samstag Schlagzeuger laufen und auch die anschließende „Einübung für 200 Blockflöten“ verspricht optische Aspekte.

Und akustisch? Organisatorin Lilian v. Haußen erklärt: „Sie spielen nie das Selbe.“ Verheißt das denn Gutes? „Der ganze Dom wird blubbern und piepen“, sagt v. Haußen, die das Stück auf einer 20 Jahre alten Platte vom Flohmarkt entdeckt hat: Seit der Uraufführung 1983 scheiterten alle Wiederholungsversuche.

Neben den vielen Blockflöten fällt auch die große Anzahl an Percussions-Stücken am diesjährigen Programm auf. Wobei „Schlagwerk“ weit gefasst ist. Der Bremer Christian Höpfner tritt nicht nur als Triangel-Solist auf, sondern hat mit „shopping“ auch ein Stück für 16 Luftballons entwickelt. Bemerkenswert ist ferner, dass mit „Les Percussions de Strasbourg“ ein legendäres Ensemble nach Bremen kommt, das einen Gutteil der Neue-Musik-Geschichte selbst mitgeschrieben hat.

Hans-Joachim Hespos steuert mit „Seiltanz“ ein „akustisches Abenteuer“ unter anderem für sechs Bläser bei. Einer der Abenteurer muss sich zunächst per Schweißbrenner aus einem Stahltank befreien, was ihm dem gewünschten Zusammenspiel aber auch nicht wirklich näher bringt. Als „Stückstörer“ tritt dabei Mateng Pollkläsener auf, nicht ganz fern von seiner „Theatre du Pain“-Traditionsrolle als amoklaufender Kettensägen-Spießer – im Güterbahnhof begnügt er sich mit einem langen Balken.

Ist die pgnm diesmal auf der Suche nach dem Spektakel? Keineswegs, versichert Brigitte Schulte-Hofkrüger. Die Stückauswahl könne diesen Eindruck nur „rein zufällig“ erwecken, wobei das Bewegungsthema der szenischen Aktion natürlich Vorschub leiste. Das Publikum wird’s nicht bedauern, aber in der Tat hat sich die Veranstaltungsstruktur – in ihrer Mischung aus Konzerten, Diskussionen und Vorträgen, die das Ganze zu einer Art Forschungs-Festival macht – keineswegs geändert. Und neben dem äußerlich Reizvollen wird bei vielen Stücken auch das Thema des immanenten Scheiterns eine Rolle spielen.

„Con Luigi Dallapiccola“ von Luigi Nono, eineN der bekannten Komponisten des Festivals, etwa empfinde er als „tastendes Klangarchipel“, sagt Nico Schalz. Akteure an sechs Schlagzeugen und Live-Elektronik versuchen, einen gemeinsamen Klangkosmos zu finden. Schalz: „Das letztendliche Scheitern in diesem Bemühen hat mich tief berührt.“

Henning Bleyl

12. bis 14. November im Sendesaal, Güterbahnhof, Dom, Neues Museum Weserburg. Übersicht: www.pgnm.de, Karten unter Tel. 33 99 350