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Archiv-Artikel

Der Club der polnischen Amerikaner

Der Krieg der USA im Irak hat die Stimmung zwischen Deutschen und Polen verschlechtert und gefährdet womöglich auch den EU-Beitritt

Manche glauben, dass die Berliner Polen bereits Alteuropäer geworden sind

Es hätte ein Zeichen sein können. Ein Zeichen dafür, dass sich Europa nicht spalten lässt in ein „altes“ und in ein „neues“ Europa. Doch dieses Zeichen blieb aus. Nur etwa 500 Menschen beteiligten sich am Freitagabend auf der Stadtbrücke zwischen Frankfurt (Oder) und Słubice an einer Lichterkette gegen den Irakkrieg. Die meisten von ihnen waren Deutsche.

Wenn es um den Marsch auf Bagdad geht, gibt es derzeit nicht nur an der Oder Verständigungsprobleme zwischen Deutschen und Polen. Auch in Berlin nehmen viele Deutsche der polnischen Regierung übel, hinter dem Rücken der EU die Solidaritätsadresse von Tony Blair und José María Aznar an George W. Bush unterschrieben zu haben.

In Polen wiederum kann man mit den deutschen Massenprotesten gegen den Irakkrieg wenig anfangen. Dem vermeintlichen Antiamerikanismus der Deutschen setzt man stattdessen die Bündnistreue mit den USA entgegen. Im Zweifel ist Washington noch immer näher als Berlin oder Brüssel.

Das Verhältnis von Deutschen und Polen, noch vor kurzem hochgelobt, scheint angespannter denn je. Das bekommt dieser Tage auch Andrzej Byrt, der polnische Botschafter in Berlin, zu spüren. Vor allem deutsche Anrufer wollen wissen, warum Polen den Krieg der USA und Großbritanniens unterstützt, neben vielen kritischen Kommentaren gibt es allerdings auch Zustimmung. Die Sorge der meisten polnischen Anrufer dagegen gilt den möglichen Folgen für das Zusammenleben von Deutschen und Polen in Berlin. Obwohl die Botschaft diese Anrufe ernst nimmt, will sie ebenso wenig eine Mittlerrolle einnehmen wie das Polnische Kulturinstitut. Wo sonst auf interkulturellen Dialog gesetzt wird, bleibt man bei diesem Thema lieber unter sich.

Das gilt auch für den Club der polnischen Versager. Als am Donnerstag die Schülerdemo durch die Torstraße zog, hing am Ladenfenster des Clubs ein Transparent, auf dem die französische Haltung zum Beginn des Zweiten Weltkriegs zitiert wurde: „Wir kämpfen nicht für ein polnisches Danzig.“

„Damit wollten wir unsere eigene widersprüchliche Haltung zum Krieg ausdrücken“, sagt einer der Clubaktivisten, Adam Gusowski. Viele von denen, die sonst immer ein klares Wort fänden, seien plötzlich seltsam ruhig. „Eine einheitliche Haltung zum Irakkrieg haben wird nicht.“

Damit ist der Club der polnischen Versager auch ein Spiegel der in Berlin lebenden Polen. In der polnischen Redaktion des SFB-Senders Multikulti ist die Mehrheit gegen den Krieg, sagt Redaktionsleiter Jacek Tyblewski. Tyblewski glaubt auch, dass die Zahl der Kriegsgegner unter den in Berlin lebenden Polen höher ist als in Polen selbst.

Diese These von einer „Alteuropäisierung“ des „neuen Europa“ zeigt sich im Gegensatz zur „Europäisierung der Amerikaner“ allerdings nicht auf den Berliner Straßen. Ein polnisches Pendant zu den „Americans against the war“ jedenfalls sucht man vergeblich. Und das, obwohl die 200 Soldaten der polnischen Eliteeinheit Grom nach Angaben aus Warschau inzwischen selbst in die Kämpfe um Bagdad verwickelt sind.

Dass es unter den in Deutschland lebenden Polen auch Sympathisanten der US-Politik gibt, zeigt das Beispiel von Jacek Lepiarz. Schon in den Achtzigerjahren hat der Journalist die Politik der Friedensbewegung als naiv kritisiert. „Da wurde in Polen das Kriegsrecht ausgerufen und die SPD suchte das Gespräch mit Jaruzelski.“ Nicht die Ostpolitik Willy Brandts sei es gewesen, die dem Kommunismus in Polen ein Ende bereitet habe, sondern Ronald Reagan. „Der hat die Sowjetunion am Ende totgerüstet.“

Lepiarz weiß aber auch, dass eine solche Haltung hierzulande auf Unverständnis stößt. „Vor einigen Tagen kam mein Sohn nach Hause und sagte, er sei gegen den Krieg“, erzählt er. „Das hatte er von den Erzieherinnen.“ Lepiarz plädiert deshalb für einen noch intensiveren Dialog als bisher. „Ich habe sonst den Eindruck, dass da ein irreparabler Schaden im Verhältnis zwischen Deutschen und Polen entsteht.“

Sollte diese Stimmung den Irakkrieg überdauern, fürchten inzwischen viele, würde damit auch der europäische Integrationsprozess auf eine harte Probe gestellt. Schließlich stimmen die Polen im Juni in einem Referendum über den Beitritt zur Europäischen Union ab. „Alteuropäische“ Poltereien wie die des französischen Staatspräsidenten Jaques Chirac, der die osteuropäische Unterstützung Bushs mit den Worten kommentierte, die Beitrittsländer hätten eine Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten, haben in Polen bereits Wut und Entsetzen ausgelöst.

Für die polnischen Rechtspopulisten kommen solche Schulmeistereien ohnehin zur rechten Zeit. Sie versuchen, die auch in Polen wachsende Ablehnung des Krieges nicht nur in eine Kampagne gegen die Regierung umzulenken, sondern auch gegen den Beitritt zur EU. Eine europafreundliche und zugleich US-kritische Position vertreten derzeit nur die Studenten, ohne allerdings allzu viel Gehör zu finden.

Doch inmitten der neuen Sprachlosigkeit zwischen Deutschen und Polen gibt es auch Optimisten. „Wenn die Stimmung schlechter wird“, sagt Adam Gusowski vom Club der polnischen Versager, „liegt das nicht in erster Linie am Krieg. Dahinter verbergen sich vielmehr jene kulturellen Differenzen, die ohnehin vorhanden, aber sonst nicht sichtbar sind.“ Für Gusowski ist das auch eine Chance, in einen Dialog zu kommen, ohne die Unterschiede zu leugnen.

Doch Dialog heißt in diesen Wochen zunächst einmal Übersetzungsarbeit. Die besteht für Jacek Lepiarz derzeit darin, die Motive der deutschen Friedensbewegung den polnischen Lesern zu erklären.

Umgekehrt versuchen viele deutsche Journalisten ihrem Publikum zu erklären, warum eine gemeinsame deutsche und russische Position in der UNO bei vielen Polen noch immer die Angst auslöst, wieder einmal zwischen beiden Ländern zerrieben zu werden. Amerika ist da eine ebenso nahe liegende wie auch ferne Hoffnung.

In Frankfurt (Oder) und Słubice wurde diese Chance allerdings nicht genutzt. Aus Enttäuschung über die geringe Zahl der polnischen Demonstranten suchten die deutschen Friedensaktivisten die Schuld beim Słubicer Bürgermeister. Der habe die Demo aus Rücksicht auf die offizielle Haltung der polnischen Regierung und seiner Partei gar nicht erst bekannt gemacht.

UWE RADA