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Archiv-Artikel

Der Chic des Diesseitigen

Strahlendes Zeugnis ephemerer Kultur: Ein doppelbändiges Prachtlexikon präsentiert den ganzen glamourösen Kosmos schwedischer Schlagersängerinnen

VON JAN FEDDERSEN

Es war einmal eine Zeit, da gab es eine deutsche Unterhaltungsmusik, deren ProtagonistInnen in gewisser Hinsicht für ein mieses Gestern standen. Namen, an die sich nur noch Großeltern erinnern: Lolita, Johannes Heesters, Zarah Leander, Fred Bertelmann. Alles in allem noble Künstlerexistenzen, die für etwas Altdeutsches standen, für Sentimentalität und Betulichkeit. Deutschland, der westliche Teil zumindest, trauerte in der Popmusik asbachuralten Zeiten hinterher. Nachwuchs aus deutschen Landen für das Neue gab es allerdings kaum: Der Glamour einer Marianne Rosenberg konnte sich erst in den Siebzigern entfalten, davor hatten deutsche Sängerinnen offenbar kaum Mut, Frau statt Fräulein zu sein.

Blond wie Heidi Brühl? Zu kühl. So patent wie Cornelia Froboess? Auch die passte Anfang der Sechziger, als Frische gefragt war, nicht mehr so recht. Wie in Deutschland üblich, musste man sich auf den Import verlassen. So wie einst Marika Rökk, der Heesters eben oder die Leander auch aus dem Ausland kamen, aus Ungarn, den Niederlanden oder Schweden – aber, wie erwähnt, man brauchte neue Stars und Sternchen.

Skandinavien war das ergiebigste Gebiet für diese Auffrischung. Schweden in erster Linie (Siw Malmkvist, Lill Lindfors, Lill Babs, Anita Lindblom), aber auch Dänemark (Gitte Haenning) und Norwegen (Wencke Myhre) waren die Länder, aus denen heraus die deutsche Schlagerwelt aufgemischt wurde. Unverbrauchtheit, Munterkeit und Sexyness verkörpernd, sangen diese Frauen nicht mehr allein von dräuenden Wäldern, mächtigen Meereswogen oder allgemeinem Weltschmerz, sondern vom Flirt, von sehr körperlichen Sehnsüchten, vom Stadtpark, in dem die Laternen ausgehen, oder von Äpfeln, in die man nicht gleich beißen solle, denn „die könnten sauer sein“.

All diese Frauen – und kein einziger Mann – sind in einem fünf Kilo schweren Doppelbildband zu bewundern. In einem Stockholmer Verlag haben Hans Olofsson und Leif Aulin ihr Projekt lanciert und – dem Gegenstand wunderbar entsprechend – ein geradezu krass buntes Lexikon aller Schlagersängerinnen veröffentlicht, die zwischen den frühen Fünfziger- und den frühen Siebzigerjahren auch nur eine Single in Schweden veröffentlicht haben.

Das Dokument einer Popmusik, wie sie die gewöhnliche Popgeschichtsschreibung nie gelten lassen will, weil sie zu viele Dreiminutenkleinigkeiten ohne bildungsbürgerlichen Nähr- und Mehrwert versammelt. Gewiss, man lernt hier viele Ein- bis Viertagsfliegen kennen, aber Genialität verbirgt sich manchmal gerade im Einmaligen: Elsy Lindgren („Alla väntar på sommar’n“ – Alle warten auf den Sommer), Ann-Cathrin Widlund („Tro mej, älskling!“ – Glaub mir, Liebling), Bitte („Ingen kyss är som den första“ – Kein Kuss ist wie der erste) oder Ulla Persson („Sött nonsens“ – Süßer Unsinn).

Der Dünkel gegenüber dem Ephemeren übersieht, dass gerade in der populärsten Sparte der Unterhaltungsmusik seit den späten Fünfzigerjahren Trends zur modernen Individualität spürbar wurden, die Freude am Diesseitigen etwa (das gute, bessere Leben hier und jetzt) oder am Sound zur jeweilig aktuellen Stunde. Die große politische Erzählung wird man hier nicht finden.

Die Fotos in diesem Lexikon sind mit außergewöhnlicher Akribie zusammengestellt. Frauen und Mädchen, die ihren Willen zum besonderen Chic, zur exzellenten Pose ausstellen – und nie den Eindruck hinterlassen, sie täten dies nur der männlichen Blicke wegen. Sondern weil sie sich so und nicht anders gefallen: und morgen vielleicht noch ganz anders.

Zarah Leander übrigens probte noch bis in die frühen Sechziger ein Comeback nach dem nächsten, so trost- wie erfolglos. Siw Malmkvist, Gitte Haenning und Wencke Myhre gehen inzwischen in Deutschland auf Revivaltourneen. Und bekommen Standing Ovations. Sie müssen gut gewesen sein.

JAN FEDDERSEN, 49, ist taz.mag-Redakteur„Stora Schlagerboken“, Vol. I & II. Herausgegeben von Hans Olofsson und Leif Aulin, zusammen knapp 800 Seiten; von den Autoren ist auch die 4-CD-Box zum Kompendium zusammengestellt worden. Informationen und Bezug nur über: Premium Publishing Company, Sant Göransgatan 159, Box 301 184, SE-10425 Stockholm, www.premiumpublishing.com