Der Busch vor dem Wohnzimmer musste weg. Also engagierten wir einen Gärtner. Das hätten wir nicht tun sollen: Der Untergang
AM RAND
Klaus Irler
Bei uns im Garten steht ein Busch, der stört. Es ist ein Kirschlorbeer, giftige Blätter, wächst wie wild. Der Busch ist bereits vier Meter hoch, weshalb wir einen Gärtner beauftragten, ihn zu entfernen. Der Gärtner schlug vor, das Ding quasi auszurupfen.
Also stand der Gärtner da mit seinem 7,5-Tonner vor unserem Garten auf einer Fläche, unter der eine Tiefgarage ist. Er hob den Busch an und zum Vorschein kam ein mächtiger Wurzelarm, der quer durch den Garten lief Richtung Straße. Ich wollte noch „Halt!“ rufen, aber es war zu spät.
Die Wurzel brachte den Asphalt zum Bersten. Dann war Stille. Bis aus dem Supermarkt gegenüber Schreie drangen. Die Wurzel hatte den Supermarkt-Boden eingerissen, was dazu führte, dass eines der Regale umfiel. Weil die Regale alle hintereinander stehen, kam es zu einem Domino-Effekt: Zwölf Regale rissen sich gegenseitig um. Die herausfallenden Gläser und Flaschen zerbrachen. Ihr Inhalt floss Richtung U-Bahn-Station Niendorf-Nord, das ist die Endstation der U2 am nördlichen Stadtrand.
Ein Gemisch aus Apfelmus, Bratöl, eingelegten Tomaten und süßem Senf tropfte auf die Gleise und den Triebwagen eines wartenden U-Bahn-Zuges. Der Zugführer merkte nichts davon und fuhr los. Bei der nächsten Station musst er feststellen, dass die Bremsen nicht mehr funktionierten. Der Zug raste Richtung Innenstadt.
Beim U-Bahnhof Jungfernstieg kam der Zug zum Stehen. Die Leitstelle schaffte es aber nicht, ihn rechtzeitig vom Gleis zu schaffen. Also kam es zu einer Kollision mit der U4, die, vom Hauptbahnhof kommend, die U2 in Richtung Überseequartier schob. Die U2 rollte wieder, führungslos und am Triebwagen demoliert. Ein Kabelbrand führte zu einer Explosion, als der Triebwagen gerade unter der Elbphilharmonie durchfuhr. Der Boden wankte und mit ihm der Kaispeicher, auf dem die Elbphilharmonie steht.
Der Kaispeicher neigte sich nach links und nach rechts und wieder nach links. Die Verankerungen des Konzerthauses hielten der Belastung nicht stand – die Elbphilharmonie kam ins Rutschen. Mit einem ohrenbetäubendem Krachen landete sie in der Elbe.
Die Welle, die der Einschlag verursachte, setzte die Hafencity, die Altstadt und St. Pauli unter Wasser. Das öffentliche Leben kam zum Erliegen. Helikopter stiegen in die Luft und stabilisierten notdürftig das Riesenrad auf dem Heiligengeistfeld.
Das Kreischen der Sirenen hätte man bis Niendorf-Nord hören können. Dort aber war inzwischen der 7,5-Tonner vor unserem Garten in die Tiefgarage eingebrochen. 18 Autos hatte er zerdrückt und für ein Knacken gesorgt, das die Innenstadt-Sirenen übertönte. Eine gewaltige Staubwolke stieg in den Himmel.
In diesem Moment erwachte ich. Ich schaute nach draußen, wo die Blätter des Kirschlorbeer-Busches sanft in einer lauen Frühlingsbrise schaukelten. Es klingelte. Der Gärtner stand vor der Tür. Er wolle dann jetzt mal anfangen.
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