Der Bullshit-Wort-Check, Folge 3 : „Boomer“
Was taugt dieser Begriff für das Verständnis der Gegenwart? taz FUTURZWEI-Gastautorinnen testen Standards des politischen Sprechens. Heute: Paulina Unfried.
taz FUTURZWEI | Das Besondere an den Boomern ist nicht das inhärent Boomereske, sondern dass man daran nicht vorbeikommt. Die größte Kohorte der Bundesrepublik hatte von Anfang an das Gefühl, zu kurz zu kommen. Mit ausgebreiteten Ellenbogen stürmten sie den Arbeitsmarkt. Die Erzählung ihres Lebens schien zu sein: Aus euch wird nichts. Doch dann lief der Laden wie nie zuvor und die meisten sind dann doch gut mitgeschwommen. Egal, worum es heute geht, sie sind schon da und besetzen die gesellschaftlichen Schlüsselpositionen.
Trotz allem Brimborium haben sie das Unmögliche möglich gemacht: Sie stehen für nichts so richtig. Es soll halt weitergehen. Jede ihrer Schnappatmungen stammt noch aus einer Zeit, als der einzelne Boomer fürchtete, in seiner Generation unterzugehen. Ihre Ellenbogen wurden deshalb nie eingefahren. Mit ihren 60 Jahren erwägen manche nun, bei gesicherten Rentenansprüchen aufs Ganze zu gehen, zur Supernova zu werden, grell zu verglühen, um das Licht zu hinterlassen. Aber das wird nichts. Ihre wortreich-milde Weltverdrossenheit dynamisiert leider niemanden außer sie selbst, wenn sie dem Weiter-so nachtrauern. Aber das war jetzt eine unernste Deutung, die den Generationenbegriff zu ernst nimmt.
taz FUTURZWEI N°28: Weiterdenken
Wer ist „Der kleine Mann“, wer sind „Die da oben“, wie geht „Weltretten“, wie ist man „auf Augenhöhe“ mit der „hart arbeitenden Bevölkerung“? Sind das Bullshit-Worte mit denen ein produktives Gespräch verhindert wird?
Über Sprache und Worte, die das Weiterdenken behindert.
U.a. mit Samira El Ouassil, Heike-Melba Fendel, Arno Frank, Dana Giesecke, Claudia Kemfert, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Bernhard Pörksen, Bernhard Pötter, Florian Schroeder, Paulina Unfried, Harald Welzer und Juli Zeh.
Es ist höchste Zeit, den Boomerbegriff anders zu erzählen. Die Boomer sind nicht nur eine Alterskohorte, sondern eine Funktion in der Gesellschaft. Sie sind »die Älteren«. Heinz Bude würde sagen, sie sind jetzt dafür da, um den Enkeln Geschichte(n) zu erzählen. Die GenZ ist dafür da, das Neue mit ihnen auszutarieren. Oder an ihnen vorbei, aber bei dem Geltungsdrang der Boomer sollte man sie aus strategischen Gründen besser einbinden.
Und jetzt kommt das Bittere für uns Jüngere. Die GenZ wird auch einmal zu Boomern werden, der Boomerang kommt zurück. Das ist der natürliche Lauf der Dinge. Aber das Verhältnis zwischen beiden Funktionen – Jüngere und Ältere – war nie so unausgeglichen wie jetzt. Die Boomer haben Heimvorteil und viel mehr Spieler auf dem Platz. Das muss klar sein, sobald wieder jemand von ihnen »ungerechtֿ« seufzt. Keine Angst: Alle Boomerchen werden gebraucht und sind geschätzt. Aber wir müssen laut sein, weil sie so viele sind.
PAULINA UNFRIED ist Ko-Organisatorin des Kongresses für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke.
Mehr Bullshit-Wort-Tests finden Sie in der neuen taz FUTURZWEI-Ausgabe „Weiterdenken“ und an dieser Stelle auf taz.de.
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