Der Bullshit-Wort-Check Folge 14 : Disruptiv
Was taugt dieser Begriff für das Verständnis der Gegenwart? Arno Frank testet für taz FUTURZWEI Standards des politischen Sprechens. Heute: Disruptiv.
taz FUTURZWEI | Für fragwürdige Quatschbegriffe ist eine Herkunft aus dem Lateinischen so etwas wie der Anzug von Brioni. Wobei im Silicon Valley, wo die Karriere von „disruptiv“ ihren Anfang genommen hat, eher schwarze Rollkragenpullover und hochgekrempelte Ärmel getragen werden – was im Hinblick auf traditionelle Kleiderordnungen ebenfalls „disruptiv“ ist.
Früher dachte man mal „radikal“ oder „out of the box“, heute denkt man „disruptiv“ – weil da der Erfolg bereits eingebaut ist. Im Sinne von „brutal, aber nötig“ ist das Wort inzwischen mit positiver Konnotation in den allgemeinen Sprachgebrauch eingesickert.
Verwendet wird es für Ehescheidungen, die Verwendung neuer Gewürze, einen frischen Haarschnitt oder die Vernichtung der weltweiten Sicherheitsarchitektur.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°32: Wozu Kinder?
Kinder und Jugendliche sind die politisch ignorierteste Randgruppe der Gesellschaft. Dabei muss diese Minigruppe demnächst die vielen Renten bezahlen und den ganzen Laden am Laufen halten. Was muss sich ändern?
Mit Aladin El-Mafaalani, Marlene Engelhorn, Arno Frank, Ruth Fuentes, Maja Göpel, Robert Habeck, Celine Keller, Wolf Lotter, Lily Mauch, Luisa Neubauer, Henrike von Scheliha, Stephan Wackwitz und Harald Welzer.
Heute ist die Zerstörung bestehender Ordnungen ein Geschäftsprinzip.
So ist von einer „Low-End Disruption“ die Rede, wenn ein bestehender Markt von hinten aufgerollt wird. Eine „New-Market Disruption“ hingegen bündelt alte Bedürfnisse, weckt ungekannte Begehrlichkeiten – und schafft damit erst einen Markt für das Smartphone.
Die „Killer-Applikation“, die andere Applikationen obsolet macht, heißt nicht ohne Grund „Killer-Applikation“. Widerstand gegen das Disruptive ist zwecklos. Sein Erfolg gibt ihm Recht. Vorbei ist’s mit der altkapitalistischen Gönnerhaftigkeit und mafiösen Gemütlichkeit von „Leben und leben lassen“ oder „Der Kuchen ist groß genug für alle von uns“.
Innovation als evolutionäres Verständnis von Erneuerung, Schritt für Schritt, hat längst abgedankt zugunsten der Disruption, ihrer aggressiven Schwester. Sie kennt nur noch revolutionäre Umwälzung um jeden Preis.
Tatsächlich ist es dieser Preis, von dem nur ungern redet, wer uns Disruption als Motor menschlichen Fortschritts verkaufen will. Hat nicht auch disruptiv gedacht, wer einst das Feuer zähmte und das Rad erfand? Eben. Trotzdem ist noch lange nicht konstruktiv, was als „disruptiv“ so erfolgreich verkauft wird.
Mit der Disruption findet ein ökonomischer Darwinismus zu sich selbst. Professionelle Disruptoren wie Elon Musk, Donald Trump oder populistische Politiker sind einverstanden mit dem zu erwartenden Chaos – weil sie sich zu den Wirten zählen, die am Ende die Rechnung machen.
Deshalb ist immer schon eingepreist, was Spotify für die Musikkultur, Airbnb für Wohnungsmärkte oder Tinder für die Seelen bedeutet. Endlich ist wieder hergestellt, was Thomas Hobbes in seinem Leviathan noch 1651 als zu überwindenden Naturzustand des Menschen beschrieben hat: „Krieg aller gegen alle.“ Hurra!
■ Dieser Artikel ist im März 2025 in unserem Magazin taz FUTURZWEI erschienen. Wenn Sie zukünftig regelmäßig Leser:in von taz FUTURZWEI sein wollen, sichern Sie sich jetzt das Abo für nur 34 Euro im Jahr. Lösungen für die Probleme unserer Zeit – alle drei Monate neu in ihrem Briefkasten. Jetzt bestellen!