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Archiv-Artikel

Der Ausstand der Dinge

Wohin mit all dem Kram, den jeder mittlerweile hat, aber nicht braucht? In eine gemietete Abstellbox aus Blech, meint die Logistikbranche. „Self-Storage“ heißt ihr neustes Geschäftsfeld, „Selbstlagerung“. Denn Platz ist längst Mangelware

VON CHRISTIAN SYWOTTEK

Zuerst haben sie gedacht, es handle sich um ein Fischgeschäft. Oder um eine Moschee. Was soll bloß dieser Turm dort an der Straße bedeuten? So grübelten die Autofahrer auf der Erkrather Straße in Düsseldorf, im Dezember vergangenen Jahres, als alles noch ganz neu war. Einige hielten an neben dem Leuchtturm aus hellgelbem Kunststoff und fragten die Leute in den sandfarbenen Hemden. „Self-Storage machen wir hier“, sagten die Menschen von der Firma Shurgard und zeigten auf die Lagerhalle, „Selbstlagerung eben.“

Selbstlagern? Sich selbst lagern? Ein- oder auslagern? Oder wie? Vor allem: Was? Und: Wohin?

Im Innern der 4.700 Quadratmeter großen Lagerhalle stehen Abstellboxen aus geriffeltem Blech, dicht an dicht, in langen Reihen, jede drei Meter hoch, mit einem Stück Maschendrahtzaun oben drauf. Die größte Box misst 18 Quadratmeter, die kleinste nur einen. Wand an Wand. Tür an Tür. An der Hallendecke schwenken Überwachungskameras dem Besucher hinterher. Es ist totenstill, sauber, geregelt. Die Gänge entlang der kleinen Boxen sind zwei Schritte breit. Ein Fenster gibt es nicht. Im Innern des Selbstlagerzentrums sieht es aus wie im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses. Doch es ist ein Ort der Freiheit.

Self-Storage ermöglicht es dem Menschen, sich frei zu machen vom Überfluss in der eigenen Wohnung, dem Keller, der Garage. Von Omas geerbter Couch, dem hässlichen Hochzeitsservice, das den Küchenschrank verfüllt, von den vielen Büchern, Schallplatten und Schuhen, die sich im Laufe der Zeit ansammeln oder die der Partner mitbrachte, als er in die sowieso schon kleine Wohnung zog. Wer keinen Platz hat zu Hause, mietet sich welchen im Selbstlagerzentrum an der Ausfallstraße. Für die Dinge, die er nicht jeden Tag braucht. Das ist billiger als eine größere Wohnung. Er bekommt einen eigenen Schlüssel, eine garantierte Lagertemperatur zwischen acht und zehn Grad Celsius und Zugang 24 Stunden am Tag. Ein zusätzliches, trockenes Zimmer in einer anderen Straße.

Eine kleine Revolution ist das für Deutschland. Ein paar Jahre lang füllten lediglich sechs Lagerzentren die Marktlücke. Doch seit Ende 2003 wird auch der deutsche Markt aufgerollt. Auf einen Schlag eröffneten die Amerikaner von Shurgard fünf Zentren in Nordrhein-Westfalen und verdoppelten mal eben die deutschlandweite Selbstlager-Kapazität. Schon jetzt ist bei Shurgard jede dritte Lagerbox voll.

Es sind Menschen wie Andreas Weissig, die für steigenden Umsatz sorgen, indem sie ihre Nerven entlasten. Weissig, 38, stapelt seine drei Räume von jeweils drei Quadratmetern voll mit Römertöpfen, Bratpfannen, einem Rosenthal-Service, Mörtel, Farben und Silikonkartuschen und einem alten Bett. Er renoviert gerade. „Ich pack das hier rein und komme in einem Jahr wieder“, sagt Weissig und grinst. „Früher hat das ja alles auf den Speicher gepasst, aber heute wird alles zu Wohnungen ausgebaut“, sagt er, „Platz ist schließlich Geld.“

Weissig wohnt mit seiner Lebensgefährtin auf 85 Quadratmetern, auch er hat keinen Speicher, aber so viele Sachen. Eine komplette Küche hat er schon verschenkt, einen Schaukelstuhl, ein Sofa. Bleibt der große Rest. Der Ramsch eben. „Ich brauch das doch alles“, meint er, „für die nächste Generation.“ Die Dinge hätten ihren Wert. Platzmangel ist einer der Hauptgründe, warum Selbstlagerung weltweit atemberaubende Steigerungsraten verzeichnet. „Wir sind eben Jäger und Sammler“, sagt Bozana Malenica. Sie managt den Store an der Erkrather Straße in Düsseldorf, und aus der Marktforschung kennt sie die Klagen: „Die Dinge bedrängen mich“, schrieben die Befragten auf ihre Auskunftsbögen.

Eine Frage für Physiker: Wenn sich das Universum stetig ausdehnt, warum gibt es nicht genug Platz für all das persönliche Zeug?

Es ist offenbar auch eine Sache des Gefühls. Denn schaut man auf die Zahlen, haben die Deutschen im Laufe der Zeit an Platz gewonnen. 1967 standen jedem Bundesbürger 22 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung, heute sind es hingegen 39 Quadratmeter. Doch das Platzproblem hat auch seine reale Seite. In den Ballungszentren steigen die Mieten, sodass Platz für viele unbezahlbar wird. Lagerfläche wird zu lukrativem Wohnraum umgebaut, und wenn in einem ursprünglich für acht Familien ausgelegten Haus plötzlich zwölf Parteien wohnen, wird auch der Kellerraum eng. Lofts gehen weg für über 3.000 Euro pro Quadratmeter, aber der Abstellraum ist kaum größer als eine Schuhschachtel.

Und der Sachen werden immer mehr. Anfang der 60er-Jahre benutzten neun Prozent aller Haushalte eine Waschmaschine, heute sind es 94 Prozent. Geschirrspüler gab es gar nicht, heute hat jeder zweite Haushalt einen in der Küche und damit auch einen Küchenschrank weniger. In jeder dritten Wohnung beansprucht ein DVD-Player seinen Platz. Hinzu kommen die DVDs selbst. Und was ist mit dem hässlichen Kerzenhalter vom letzten Geburtstag? „Wegschmeißen bereitet Seelenqualen“, sagt Managerin Malenica. „Beim Self-Storage kann man den Konflikt in die Box verlagern und sich ein Zeitpolster verschaffen.“

Dabei kommt es nicht darauf an, wie viel Platz jemand wirklich hat. Auch die beiden Shurgard-Zentren in Mönchengladbach füllen sich rapide. Die Stadt ist wahrlich kein Ballungszentrum. Viele Mönchengladbacher besitzen Eigenheime und große Garagen. Doch irgendwann ist alles voll.

Es wiederholt sich, was Shurgard-Gründer Chuck Barbo vor Jahren in einem wohlständigen Kaff namens Victor im US-Bundesstaat Montana erlebte: „Da wohnten nicht einmal 5.000 Leute, aber ich habe acht Selbstlagerzentren gezählt.“ Was vielleicht auch daran liegt, dass in den USA Versandhäuser und Shopping-Kanäle inzwischen nicht nur nach Hause liefern, sondern direkt in die Lagerbox.

Wie selbstverständlich Self-Storage in den USA ist, zeigt auch einer der erfolgreichsten Kinothriller der 90er-Jahre: In „Das Schweigen der Lämmer“ lenkt Hannibal Lecter die Agentin Clarice Starling in eine Lagerbox, wo der Kannibale einen Kopf aufbewahrt. In einem Einmachglas. Fantasie und Wirklichkeit liegen beim Self-Storage gar nicht so weit auseinander. Im Februar diesen Jahres wurde ein Brite wegen Mordes an einer Lehrerin verurteilt. Die Leiche hatte er in einer Lagerbox in Brighton versteckt. Im März entdeckten britische Terrorfahnder in einem Londoner Self-Store eine halbe Tonne Ammoniumnitrat, eine wichtige Zutat fürs Bombenbasteln.

„Illegale Machenschaften kann man nicht verhindern“, sagt die Düsseldorfer Store-Managerin Malenica. Da nütze auch der 24-Stunden-Wachdienst wenig. Schließlich wisse nur der Mieter selbst, was er einlagere. Die Angestellten hätten keinen Zugang zu den vermieteten Boxen.

In Deutschland ist etwa jeder zweite Kunde eine Firma. Rechtsanwälte schleppen Akten heran, weil sie sich an ihren Nobeladressen bei einem Quadratmeterpreis von 30 Euro und mehr aus Kostengründen nicht vergrößern können. Der blühende Kleinhandel sorgt zusätzlich für Nachschub. Ebay-Händler und Flohmarkttrödler räumen ihre Wohnungen auf und ihre Waren in die Box, wie auch Galeristen oder der Gynäkologe, der gebrauchtes Untersuchungsgerät hortet, bevor er es auf den Balkan verfrachtet. Die Kioskbesitzerin lagert Colaflaschen und Trockenfutter.

Die deutschen Selbstlager-Manager sind guter Dinge. Jede dritte Ehe in Deutschland wird wieder geschieden. Das dürfte sich in Zukunft kaum ändern und somit für genügend hastige Auszüge und Haushaltsauflösungen sorgen. Die Kriegsgeneration wird so langsam richtig alt und zieht in kleinere Wohnungen oder gleich ins Heim. „Das ist eine Mentalitätsfrage“ sagt Bozana Malenica, „die schmeißen nichts weg.“ Die jungen Deutschen werden in Zukunft mobiler sein, öfter umziehen.

Auch auf die Angst können sich die Selbstlageranbieter verlassen. Das Sicherheitsgefühl ist anhaltend schlecht, und je mehr man besitzt, desto mehr kann man verlieren. Der beste Shurgard-Standort in Europa ist das belgische Waterloo. „Eine Villengegend mit Mordsgebäuden gibt’s da“, sagt Shurgard-Sprecherin Ferdinande Epping, „die Leute stellen bei uns ihre Porsches und Bentleys unter.“

Vier neue Zentren werden die Amerikaner noch in diesem Jahr in Deutschland eröffnen. Der Selbstlagerindustrie dürften goldene Zeiten bevorstehen. Selbst wenn irgendwann mal Schluss ist mit Habenwollen, weil die Käufer meinen, nun endlich alles zu besitzen, was sie angeblich brauchen. Sie haben’s ja dann. Und irgendwo muss es hin.