: Der Auslöser
Ein Fotograf zwischen Bewegung und Berichterstattung: Günter Zint ist meist Teil oder sogar Ausgangspunkt der Geschichte, die er dokumentiert. Als Medienunternehmer war er ein Hasardeur im Dienste seiner politischen Überzeugung. Das Gedächtnis von St. Pauli wäre ohne ihn weit gehend verloren
VON JAN KAHLCKE
Günter Zint trägt Gummistiefel. Er schiebt eine zentnerschwere Schubkarre voller Birkenscheite durch den Morast. Damit heizt er sein 150 Jahre altes Fachwerkhaus. Er, der mehr als 40 Jahre auf, für und irgendwie auch von St. Pauli gelebt hat, hat sich ins niedersächsische Teufelsmoor zurückgezogen. Aber soll bloß niemand denken, er habe sich zur Ruhe gesetzt. „Ich gehe immer noch fast täglich mit der Kamera raus“, sagt der 66-Jährige.
Er weiß selbst nicht so genau, was er nun zuallererst ist: Chronist der linken Bewegungen, Stadtteil-Dokumentar oder der Beatles-Onkel. Und es scheint auch, als wäre es ihm egal. Er erzählt sein Leben als ein Knäuel von Anekdoten ohne Anfang und ohne Ende. Zints Welt ist eine wilde Mischung aus Büro, Lager, Archiv, Museum und Hafenbasar. Eine geschnitzte Giraffe überragt die Glasvitrine, in der sich eine Gummi-Mini-Sklavin an ihrer Kette windet. Überall stehen riesige Archivschränke, obendrauf Fotos, Bücher, DVDs, Zeitschriften; dazwischen Computer, Monitore, Drucker, Scanner – ein undurchschaubares, analog-digitales Netzwerk, dessen Schaltzentrale irgendwo im Kopf von Günter Zint liegen muss.
Plötzlich springt er auf, wieselt durch die Tenne mit den mächtigen Holzbalken, reißt eine Schublade auf und zieht ein Bild heraus. Jimi Hendrix in einem Garten auf St. Pauli. Er war aus seinem Hotel geflogen, weil er zu laut Musik gehört hatte. Zint nahm ihn bei sich zuhause auf, aber Schlaf brauchte man damals sowieso nicht. In den Clubs gab’s von der Garderobenfrau „Manöverbrötchen“, Pillen, nach denen man drei Nächte nicht schlief. Und der Fotograf musste natürlich mitziehen mit den Herren Jung-Stars.
Vielleicht ist da doch ein Anfang: Pop-Fotograf würde man das heute nennen, was Zint Anfang der 60er war. Er arbeitete aber für das Hamburger Musikmagazin O.K.. Da kam irgendwann gar nichts anderes in Frage, als nach St. Pauli zu ziehen, wo die ganzen angesagten Bands auftraten. Zint wurde Stammgast im Starclub – und der Hausfotograf der Beatles. Aber als die O.K. von Springers Bravo geschluckt wurde, heuerte Zint ab. Springer, das war der Feind. Springer, das war der Verlag, der die Stimmung gegen die Studentenrevolte derart aufgeputscht hatte, dass irgendwann Schüsse auf Rudi Dutschke fielen. In den unruhigen Tagen danach war Zint mit seiner Kamera immer ganz vorn dabei auf Berlins Straßen. Er machte prägende Erfahrungen mit dem Obrigkeitsstaat, wurde von der Polizei verprügelt, seine Kamera zertrümmert. Aber er hatte Glück im Unglück: Die BBC filmte die Attacke – und der Polizist, der Zint verprügelt hatte, musste ihm schließlich Schmerzensgeld zahlen.
Zint balancierte immer auf dem schmalen Grat zwischen Bewegung und Berichterstattung, ist bis heute ein Journalist, der seine Arbeit als originär politisch versteht. Dem Spiegel wurde es irgendwann zu bunt: Als Zint eine Redaktionsbesetzung bei den Essener Sonntagen wegen deren studentenfeindlicher Berichterstattung vom Diensttelefon aus organisierte, legte man ihm die Kündigung nahe. Der Spiegel habe seine eigenen Mitarbeiter abgehört, sagt Zint, noch heute voller Verachtung. Er ging, verzichtete auf eine Abfindung – und räumte, zum großen Ärger des Spiegel, bei Nacht und Nebel sein Archiv aus. Heute arbeitet er wieder ab und an für das Nachrichtenmagazin. So ist er – ein Mann von Prinzipien, aber nicht nachtragend.
Dennoch, mit dem Spiegel scheint ihn eine Art Hassliebe zu verbinden. Genüsslich zieht er das Büchlein „Der Spiegel-Komplex“ hervor, in dem der Medienjournalist Oliver Gehrs mit seinem Ex-Arbeitgeber abrechnet. Zint hat alte Fotos beigesteuert – und so manche Anekdote über Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust, noch aus gemeinsamen Zeiten bei den St. Pauli Nachrichten. Die Gazette hatte Zint 1968 gegründet, als Boulevardblatt von links, um der Bild etwas entgegen zu setzen. „Der Stefan hat sich so schnell und häufig gewendet, wie man das muss, um es zu etwas zu bringen“, sagt er über Aust. „Ich bin einfach nicht so schlau wie er – ich bin dumm, dickköpfig.“ Schmunzelnd fügt er hinzu: „Im Nachhinein bin ich ganz froh darüber.“
Dickköpfig ist er auch als Medienunternehmer. Als die Massen sich nicht agitieren lassen wollen, verkauft er die St. Pauli Nachrichten, die bald zum gewöhnlichen Tittenblatt degenerieren. Zint gründet die radikale Apopress, die er in einer Hamburger Kommune gleichen Namens produziert. „Die haben wir dann an die Wand gefahren“, sagt er trocken. Als ein paar Jahre später die taz gegründet wird, ist Zint wieder dabei, wenn er nicht gerade mit seinem Freund Günter Wallraff undercover unterwegs ist. Prägt mit seinen Bildern die Ikonografie von Anti-AKW-Protest und Friedensbewegung. Bis heute sagt er, die taz sei die einzige Zeitung, die man auf Dauer lesen könne.
Vor zwei Jahren war Günter Zint fast am Ende: Mit seinem St. Pauli Museum, einer einzigartigen Sammlung von Kiez-Memorabilia war er mehrfach pleite gegangen. Er hatte die Filmschuhe von Hans Albers, Hotelrechnungen der Beatles oder das Arbeitszimmer des Schlagerkomponisten Ernst Bader auf dem Dachboden seines Bauernhauses eingelagert und die Kosten drohten ihn aufzufressen. Inzwischen hat ein Trägerverein das Museum auf St. Pauli wieder eröffnet, die Hamburger Kulturbehörde schießt übergangsweise Geld dazu. Bald soll an der Reeperbahn ein Museumsneubau entstehen.
Damit wäre eine Last von dem Sammler genommen, der von sich selbst sagt: „Das ist eine Krankheit.“ Und auch sein zweites Sorgenkind, das gewaltige Fotoarchiv seiner Firma Panfoto, ist auf dem Wege der Besserung: Die Bestände aus 60 Stahlschränken werden gerade digitalisiert und bringen dadurch allmählich auch wieder Geld ein. Nur ein Problem gibt es noch: Neben seinen eigenen Bildern hat Zint eine Reihe von Archiven älterer Kollegen vor dem Verfall gerettet. Und es werden immer mehr, denn Nein sagen – das kann er nicht.
Im Bonner Haus der Geschichte läuft gerade eine Ausstellung mit Zint-Fotos. „Alle entdecken die 60er“, sagt Zint spöttisch, „das liegt daran, dass heute nichts mehr passiert.“ Im kommenden Jahr wollen die Bonner eine Ausstellung zu „40 Jahre Apo“ in Berlin zeigen – ausgerechnet in den Räumen des alten Amerika-Hauses. „Dafür habe ich schon Fotos rausgesucht, wie wir damals das Amerika-Haus demoliert haben“, sagt Zint und kichert.