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Der Ausbruch von Neapel

SSC Neapel Italiens Fußballmeister / Maradona ungnädig  ■  PRESS-SCHLAG

Als der SSC Neapel vor drei Jahren zum erstenmal italienischer Fußballmeister wurde, war die Stadt schon lange vorher im Rausch. Emsige Anhängerinnen nähten die größte Fahne der Welt, die dann die Hänge des Vesuvs bedeckte, sorgfältig gezimmerte Särge mit den Farben der Konkurrenz-Klubs standen bereit, die, nachdem der Titelgewinn endgültig feststand, in feierlichen Prozessionen zu Grabe getragen wurden.

Diesmal wurde Neapel sozusagen kalt erwischt. Noch vor wenigen Wochen hatte kaum jemand an die Möglichkeit geglaubt, daß Maradona und seine Wasserträger am Ende an der Spitze stehen könnten. Alle, sogar Maradona, tippten auf den AC Mailand. Doch die Mailänder, die ihre Füße bis zum Schluß in allen Wettbewerben auf nationaler und internationaler Ebene hatten, mußten zu guter Letzt der hohen Belastung Tribut zollen. Vier Tage, nachdem sie in München mühselig das Finale des Europapokals erreicht hatten, waren sie mit ihren Kräften und Nerven am Ende. In Verona verloren sie beim 1:2 nicht nur die entscheidenden zwei Punkte gegenüber Neapel, sondern auch van Basten, Rijkaard und Costacurta durch Platzverweis. Drei Tage später unterlagen sie zu Hause Juventus Turin im Pokalfinale. Da halfen auch das Comeback von Ruud Gullit und das 4:0 am letzten Spieltag gegen Bari nichts mehr, Neapel hielt durch, besiegte Lazio Rom mit 1:0 und war Meister.

„Lo scudetto“, das Meisterschild 1990, hatte vor allem einen Namen: Diego Armando Maradona. Nur wenige Zentimeter verhinderten in der 38. Minute die Krönung seines Erfolges. Doch der Freistoß des Argentiniers klatschte an das Lattenkreuz und er mußte den zweiten Platz in der Torjägerliste hinter van Basten (19) dem Florentiner Roberto Baggio überlassen, der am letzten Tag sein 17. Tor schoß und Maradona um einen Treffer überholte. 254 Punkte hat Neapel geholt, seit der Argentinier 1984 nach Italien kam, 51 in dieser Saison. Der Grundstein zum Titel wurde zu Hause gelegt. Nur Werder Bremen schaffte es, im Stadion von San Paolo zu gewinnen, in der Meisterschaft sicherten sich die Neapolitaner daheim 33 von 34 möglichen Zählern.

Ausgerechnet die Stunde des Triumphes nutzte Maradona zu einer Abrechnung mit seinem unbotmäßigen Volk. Geschmäht hatten sie ihn, als er seinen Urlaub überzog und sich in Argentinien einen Bauch anfraß, während seine Kameraden ohne ihn immerhin 7:1 Punkte holten. Nach seiner Rückkehr entlarvte ihn die Presse als „fettes Kalb“, und nach dem Ausscheiden gegen Bremen im UEFA-Cup und den beiden verheerenden Niederlagen gegen den AC Mailand in Pokal und Liga hatten sich auch eingefleischte Tifosi enttäuscht abgewandt. „1987 waren Mannschaft und Tifosi ein Herz und eine Seele“, las Maradona den treulosen Anhängern die Leviten, „diesmal haben wir allein gewonnen.“ Vor allem er selbst hatte sich zum Schluß, als die anderen müde zu werden schienen, nach einer Schlankheitskur mächtig gesteigert und maßgeblich dazu beigetragen, Milan noch vom Thron zu stoßen. „Ich fühle mich ein bißchen traurig“, zeigte sich Maradona unversöhnlich: „Dieser Scudetto gehört dem SSC Neapel und nicht der Stadt Neapel.“

Die aber ließ sich auch von ihrem gestrengen Herrn und Meister nicht abhalten, auszubrechen wie in alten Zeiten der Vesuv und ein rauschendes Fest zu feiern. In aller Eile waren die Särge in Schwarz-Rot, den Farben Milans, fertiggestellt worden, die ganze Stadt hatte sich in Blau gekleidet, ein Fahnenmeer säumte den Golf von Neapel und in den Straßen tobte ein einziger Autokorso, der drei Todesopfer und zahlreiche Verletzte forderte. Während die Mannschaft auf einem Luxusliner vor der Insel Capri feierte, liefen sogar Hunde, Katzen und Esel in Napoli-Trikots herum und im Stadtteil Forcella, der Hochburg der Napoli-Fans, hatten die Tifosi eine gigantische Grabkapelle mit dem Foto des Signore Berlusconi, des Präsidenten vom AC Milan, errichtet, auf der zur lesen war: „Mors tua, vita mea.“

Berlusconi hatte in den Tagen zuvor ausgiebig herumerzählt, daß es äußerst ungerecht sei, wenn Neapel den Titel gewänne. Am Schluß zeigte er sich dann aber doch als guter Verlierer, rief Maradona an und sprach ihm seinen Glückwunsch aus. Maradona: „Er hat sich benommen wie ein Mann.“

Matti

Cesena - Verona 1:0, Cremonese - Sampdoria 0:3, Florenz Bergamo 4:1, Genua - Ascoli 2:0, Lecce - Juventus 2:3, AC Mailand - Bari 4:0, Neapel - Lazio 1:0, AS Rom - Bologna 2:2, Udinese - Inter 4:3. Meister: Neapel; Pokalsieger: Juventus; UEFA-Cup-Plätze: AC Mailand, Inter Mailand, Sampdoria Genua, AS Rom (Sollten AC Mailand und Sampdoria ihre Europacup-Finals gewinnen, kommen noch Bergamo und Bologna hinzu). Absteiger: Udinese, Verona, Cremonese, Ascoli.

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