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Der Anschlag von Nizza war der erste, der mich in meinem Handlungsspielraum eingeschränkt hatDie Gleichgültigkeit bröckelt

Foto: privat

AM RAND

Klaus Irler

Eigentlich wollte ich etwas Lustiges schreiben über die Ballung von Großveranstaltungen, die die Hamburger Innenstadt am Wochenende erlebt hat. Altonale, Schlagermove und Triathlon, alle gleichzeitig zwischen Alster und Altona. Ich wollte mich lustig machen über den Klohäuschen-Stadtplan, den die Schlagermove-Veranstalter herausgebracht haben, um die Wildpisser-Problematik anzugehen. Ich wollte mir die überfüllten Straßen vorstellen als Setting für eine James Bond-Verfolgungsjagd, wie sie zu Beginn jedes Bond-Films stattfindet. 007 unterwegs auf einem Rennrad zwischen Schlagerfans und Straßenkünstlern. Und so weiter.

Am Freitagvormittag fuhr ich den Computer hoch und wollte loslegen und stieß im Internet auf den Anschlag von Nizza. Da ist mir der Spaß vergangen.

Am Freitagvormittag war ich froh, dass ich kein Einsatzleiter der Hamburger Polizei bin, der drei Großveranstaltungen vor der Brust hat. Ich war froh, dass ich keiner der Veranstalter bin, die mit dem Gedanken leben müssen, dass sie es nicht verhindern könnten, wenn ihre Veranstaltungen zum Ziel werden würde. Und ich war froh, dass ich keine der drei Veranstaltungen hatte besuchen wollen. Ich musste nicht nachdenken über ein Jetzt-lieber-nicht oder Jetzt-erst-recht.

Trotzdem hat der Anschlag von Nizza mich in meiner Schreibstube am Stadtrand erreicht. Weil ich mich nicht mehr über Großveranstaltungen, Verfolgungsjagden und James Bond lustig machen kann. Es war das erste Mal, dass mein persönlicher Handlungsspielraum eingeschränkt wurde aufgrund eines Anschlags.

Mein Problem ist natürlich nicht der Rede wert, verglichen mit dem Leid, das der Anschlag von Nizza gebracht hat. Aber bislang war es eben so, dass die Anschläge nicht hineinreichten in meinen Alltag, sondern sich gut ausblenden ließen. Bisher waren die Anschläge ein Schauder, der über den Rücken läuft, aber schnell wieder verschwindet, wenn die Steuererklärung noch nicht gemacht, das Bad noch nicht geputzt und der Arzttermin noch nicht bestätigt ist.

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler nennt die Art, wie ich bisher reagiert habe, „mürrische Indifferenz“. Er meint, diese weit verbreitete Form von Gleichgültigkeit sei eine angemessene Reaktion, weil sie eine stabile Abwehrlinie darstelle gegen die Strategie von Terroristen, mit ihren Anschlägen möglichst heftige Gegenreaktionen zu provozieren.

Ich halte die „mürrische Indifferenz“ für ein fragiles Konzept. Es funktioniert in dem Moment nicht mehr, in dem auch nur ein Fitzelchen persönlicher Betroffenheit im Spiel ist. Dass am Samstag beim Schlagermove nicht die erwarteten 500.000 Leute kamen, sondern laut Polizei nur 200.000, mag am Wetter gelegen haben. Es kann aber auch damit zu tun haben, dass nicht nur bei mir die mürrische Indifferenz bröckelt. Was tun wir, wenn sich die Anschläge nicht mehr verdrängen lassen?

Ich weiß es nicht und kann nur hoffen, dass es nicht aufs Zuhause-Bleiben hinausläuft.

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