: Der Ablenkkrieg
Die US-Regierung glaubt, Iran will mit den Angriffen durch die von ihr unterstützte Hisbollah den Atomstreit verdrängen
AUS WASHINGTONADRIENNE WOLTERSDORF
Für Josh Block ist die Arbeit im US-Kongress in diesen Tagen ein Waldspaziergang. „Es ist wie offene Türen einrennen“, sagt Block, Sprecher der größten israelischen Lobbygruppe, Aipac. Das American Israeli Public Affairs Committee und andere proisraelische Lobbygruppen verfügen in beiden Häusern des Kongresses über ein große Mehrheit. In diesen Tagen geht es ihnen vor allem um eine Botschaft: Israel muss sich verteidigen gegen die jüngsten Angriffe der libanesischen Hisbollah, die als verlängerter Arm Irans eine wohl kalkulierte Provokation darstellen.
Was hingegen die eindeutige Botschaft der Regierung um Präsident George W. Bush ist, darüber schießen die Spekulationen gegenwärtig ins Kraut. Dass die USA hundertprozentig hinter Israels Aktionen stehen, mit leichten Ermahnungen versehen, doch bitte die libanesische Infrastruktur und Bevölkerungen zu schonen – das war am Freitag zu Beginn des G-8-Gipfels von Präsident Bush noch unmissverständlich zu erfahren. Dann wurde es still um seine Pläne im Nahen Osten. Ein offenes Mikrofon fing jedoch während des Gipfel-Mittagessens eine private Unterhaltung Bushs mit Großbritanniens Premier Tony Blair auf, bis dieser merkte, dass mitgehört wurde. Der Mittschnitt offenbarte die tatsächliche Bewertung der Nahostkrise durch Bush: „Was sie tun müssen, ist, Syrien dazu zu bringen, dass es die Hisbollah dazu bringt, mit diesem Scheiß aufzuhören – und dann ist die Sache gelöst“, sagte er zu Blair. Er fand zudem die Herangehensweise von UNO-Generalsekretär Kofi Annan, der sich für diplomatische Bemühungen um einen Waffenstillstand ausgesprochen hatte, „seltsam“.
Was in Washington wirklich zur Lage im Nahen Osten gedacht wird, hat sich noch in keiner eindeutigen Konzeption niedergeschlagen. Kritiker wie der ehemalige Nahostberater Aaron Miller werfen der Bush-Regierung vor, gar kein Konzept zu haben, sondern froh darüber zu sein, dass die Israelis im Kampf gegen den Terrorismus – und den Iran – vorerst die Drecksarbeit machen. Denn die Regierung scheint davon überzeugt zu sein, dass Iran mit den Attacken durch die von ihr unterstützte Hisbollah den Atomstreit vorerst verschwinden lassen will. US-Experten sind überzeugt, dass das Mullahregime – unter tatkräftiger Mithilfe seines Verbündeten Syrien – den Amerikanern via Israel eine Warnung für die Zukunft zukommen lassen will: Nehmt euch in Acht, wir können auch anders.
US-Kommentatoren sind sich sicher, dass Washington die nächsten Tage nichts unternehmen werde. Den Israelis soll so möglichst viel Zeit gegeben werden, der Hisbollah die größtmöglichen Schäden zuzufügen. Denn längst wittern die Konservativen um Bush wieder Morgenluft, die nach den ergebnislosen diplomatischen Bemühungen der Europäer nun erneut einen Kurs der Härte gegen Teheran befürworten. Der Iran sei nur durch Gewalt zur Räson zu bringen. Der neokonservative Weekly Standard nennt die Attacken denn auch „Irans Stellvertreterkrieg“ und erklärt: „Das ist auch unser Krieg.“
Daraus würde folgen, dass das aus Washingtoner und Jerusalemer Sicht einzig akzeptable Ergebnis der Luftangriffe nicht ein Waffenstillstand plus Gefangenenaustausch, sondern die Zerschlagung von Hamas und Hisbollah wäre. Nur so ließe sich Irans Einfluss in der Region beseitigen, der in der sunnitisch-arabischen Welt ohnehin auf wenig Gegenliebe stößt. Diese Lösung würde auch arabischen Demokraten zusagen, heißt es. Diese hielten die Schaffung eines friedlichen palästinensischen Staates nur dann für realistisch, wenn Hamas und Hisbollah ausgeschaltet würden.