: Denktasch steht schwer unter Druck
Vor Beginn neuer Verhandlungen demonstrieren Zyperntürken gegen Verarmung und Drangsalierung linker Kritiker
BERLIN taz ■ Wenige Tage vor Beginn der vierten Runde der Zypern-Verhandlungen sind die Hoffnungen auf eine Überwindung der Teilung der Insel auf einen Nullpunkt gesunken. Am 12. Oktober starten unter UN-Vermittlung die Gespräche zwischen dem zyperngriechischen Staatspräsidenten der Republik, Glavcos Clerides, und seinem zyperntürkischen Widerpart Rauf Denktasch. Letzterer steht der nur von Ankara anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“ vor, deren Existenz auf 30.000 türkischen Soldaten und millionenschweren Hilfen aus dem „Mutterland“ fußt.
Denktasch war es auch, dessen Widerstand bisher eine Vereinigung beider Inselteile in einem Bundesstaat verhinderte: Er verlangt als ersten Schritt die internationale Anerkennung seines Landes. Internationaler Druck konnte den 76-Jährigen bisher nicht erweichen – schließlich steht die Türkei hinter ihm.
In diesem Sommer ist Denktasch freilich von ganz anderer Seite unter Druck geraten: dem eigenen Volk. Die soziale Lage der Zyperntürken hat sich dramatisch verschlechtert. Im Juli mussten sechs Banken ihre Zahlungsunfähigkeit eingestehen. Tausende fühlten sich um ihre Ersparnisse gebracht.
Parallel dazu ging das Regime gnadenlos gegen linke Kritiker vor: Journalisten der Zeitung Avrupa, die Denktasch Verwicklungen in Morde vorgeworfen hatte, landeten unter dem Vorwurf der Spionage im Gefängnis. Zwar kamen sie nach Massenprotesten wieder frei. Doch seitdem ist die Protestwelle nicht abgeflacht: Mehr als 40 Organisationen, darunter einige Gewerkschaften und Oppositionsparteien, haben sich den Protesten gegen Denktasch angeschlossen. Ihr Slogan: „Dies ist unser Land!“ Der Ruf spielt nicht nur auf Denktasch an – er meint auch das fürsorgliche „Mutterland“ Türkei.
Proteste reichen inzwischen bis in die Regierung. Vizepremier Mustafa Akinci verlangte, dass die Polizei nicht länger einem türkischen General, sondern zyperntürkischen Behörden unterstellt wird: ein Angriff auf die faktische Souveränität Ankaras über Nordzypern. Der Nationale Sicherheitsrat der Türkei sah sich inzwischen zweimal gezwungen, sich mit der Lage in Nordzypern zu befassen, und versprach eine „Stärkung der Einheit und Wohlstand für die türkischen Zyprioten“. Seit Ende August droht Denktasch nun mit der Ausrufung des Notstands, was ihm von Akinci den Vorwurf einbrachte, er versuche „eine Diktatur zu errichten“.
Mit seiner kompromisslosen Haltung bei den Zypern-Gesprächen, so der Vorwurf der Opposition, stehe Denktasch einer wirtschaftlichen Besserung selbst im Weg. Tatsächlich hängen die Genfer UN-Verhandlungen eng mit der Eingliederung Zyperns in die Europäische Union zusammen, die von Denktasch ebenso abgelehnt wird. Die EU allerdings könnte Nordzypern mit Strukturhilfegeldern aus der ökonomischen Zwangsjacke Ankaras befreien. Zugleich würde eine Integration ganz Zyperns freilich auch die politische Zwangsjacke lüften: Denktaschs Regime geriete ebenso in Gefahr wie die Dominanz Ankaras. Was die zyperntürkischen Demonstranten von den wirtschaftspolitischen Fähigkeiten ihrer Regierung halten, wurde erst am letzten Donnerstag deutlich. Da traf eine Abordnung von ihnen Premier Dervis Eroglu. Ihre Forderung: Der Ministerrat möge sich bitte gar nicht mehr treffen. Einziges Ergebnis dieser Sitzungen sei nämlich, dass danach jeweils die Preise erneut stiegen.
Dass sich der innenpolitisch schwer angeschlagene Denktasch nun ausgerechnet außenpolitisch bewegt, erscheint ausgesprochen unwahrscheinlich. Bis zum 10. Oktober sollen die Gespräche unter UN-Vermittlung dauern. Danach ist eine fünfte Runde in der Diskussion. Doch ob die überhaupt noch beginnen wird, wissen auf der Insel der Götter nur Letztere.
KLAUS HILLENBRAND
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