Denkendorf will Geschichte schreiben: Weißblaue Schule für alle
In den bayerischen Gemeinden Kipfenberg und Denkendorf kämpfen Eltern für die erste bayerische Gemeinschaftsschule. Die Regierung reagiert darauf schroff.
MÜNCHEN taz | Die Schulrebellen haben eine Blaskapelle mitgebracht und 200 Demonstranten. Ihre Kinder halten bunte Transparente hoch: "Schülertourismus, nein danke", "Finger weg von unserer Schule", "Gemeinschaftsschule ist geil". Bildungsminister Ludwig Spaenle von der CSU ist mit leeren Händen nach Denkendorf gekommen.
Keine Zusagen, keine Versprechen, kaum Verständnis. So stehen sie sich in der Kälte gegenüber, auf der Wiese vor dem Gasthof zur Krone: der mächtige Minister und Eltern aus den Marktgemeinden Denkendorf und Kipfenberg im oberbayerischen Landkreis Eichstätt.
Die Eltern haben genug vom Jammern über die schlechte Schulpolitik, über das Sterben der Hauptschulen in ihrem Ort. Sie wollen selbst etwas wagen, sie wollen ihre Dorfschulen zur Gemeinschaftsschule machen. Ihre Vision ist eine Schule für Kinder jeder Lerngeschwindigkeit. Denkendorf und Kipfenberg sollen zum Vorbild machen für eine neue Schule, für eine bessere Bildung in Bayern.
Doch Bildungsminister Spaenle will keine neue Schule, keine Experimente, kein Gegenmodell zu dem streng aussortierenden dreigliedrigen Schulsystem in Bayern. Es gebe im Landtag keine Mehrheit für das Schulkonzept der Eltern, sagt Spaenle trocken. Als er wenig später vor Parteifreunden im Gasthaus spricht, erklärt er sogar: Er werde persönlich dafür werben, dass es keine Mehrheit gibt.
Man könnte meinen, der Minister fürchtet sich vor einer Hand voll aufmüpfiger Eltern, so schroff reagiert er. Nicht nur er ist aufgeschreckt. Der Bayerische Realschullehrerverband schimpft, der Aufstand in Kipfenberg und Denkendorf sei "nicht zielführend".
Verbandschef Anton Huber meint: "Die perfekte Schule, in der alle Schüler das gleiche Niveau haben ist - wie das kleine gallische Dorf, das den Römern trotzt - eine Utopie. Schüler sind nicht alle gleich." Doch weltfremde Träumer sind die Schulrebellen nicht. Sie haben mit ihren sachlichen Argumenten bereits quer über Parteigrenzen die Lokalpolitiker von ihrer Idee überzeugt. Die Gemeinderäte der beiden Marktgemeinden Kipfenberg und Denkendorf haben mit breiter Mehrheit beschlossen, das Konzept für eine Gemeinschaftsschule entwickeln zu lassen und mit je 4.000 Euro zu finanzieren.
Die Lokalpolitiker wollten das Aussterben ihrer Hauptschulen im Ort nicht mehr länger tatenlos mit ansehen. Die Schulgebäude sind saniert und gut ausgestattet. In Denkendorf wird dieses Schuljahr erstmals keine 7. Klasse angeboten - zu wenige Schüler. Weil Bayerns Hauptschulen im streng dreistufigen Bildungssystem kaum Perspektiven bieten, stehen überall im Bundesland Hauptschulen vor dem Aussterben. Die Lösung von Bildungsminister Spaenle: Er macht Hauptschulen zu "Mittelschulen".
Am Unterricht ändert sich kaum etwas, doch die Gemeinden können Mittelschulverbände mit anderen Gemeinden eingehen. Weil sich die Schulen dabei verschiedene Unterrichtsangebote untereinander aufteilen, müssen die Schüler oft Kilometer zwischen den einzelnen Schulen des Verbunds hin und her fahren. "Die Einzigen, die von der Mittelschule profitieren, sind die Busunternehmen", sagte der Vorsitzende des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands, Klaus Wenzel, im Sommer.
Die Gemeinde Denkendorf gebe jetzt schon 62.000 Euro im Jahr für den Transport von Schülern aus, sagt Alfons Weber, für die SPD im Gemeinderat von Denkendorf. "Für uns war auch schnell klar, dass die Mittelschule inhaltlich nichts anderes als die Hauptschule werden würde. Wir wollen aber mehr", meint Weber. Er gründete den parteiübergreifenden Verein "Bildung am Limes" und führt seitdem die Schulrebellen an.
Ein erster Erfolg: Die Gemeinde entschied sich dagegen, schnell einem Mittelschulverband beizutreten. Stattdessen wandte sie sich an die SPD im Bayerischen Landtag, um das Referenzprojekt zur Mittelschule zu entwickeln. Die beauftragte den renommierten Dortmunder Schulforscher Ernst Rösner. Der hat bereits in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen die Gemeinschaftsschulen auf den Weg gebracht.
"Denkendorf und Kipfenberg sind geeignet, weil sie mit den gleichen Problemen kämpfen wie eine Vielzahl anderer Schulträger in Bayern", sagt Rösner. Rösners erstes Konzept sieht vor: An der Gemeinschaftsschule unterrichten Lehrer aller Schularten, die Schüler werden leistungsgerecht gefördert, und die Schüler der Jahrgangsstufen 9 und 10 bereiten sich je nach Leistung getrennt auf Haupt- oder Realschulabschluss oder auf die gymnasiale Oberstufe vor.
"Keine Schule ist weniger eine Einheitsschule als die Gemeinschaftsschule", meint Rösner. Bei seinem Besuch in Denkendorf hatte Bildungsminister Spaenle wenig für die Feinheiten des Konzepts übrig. Er nannte das Modell hämisch "Einheitsschule". Das Referenzmodell ist für Spaenle ein "Angriff auf unsere Realschulen und Gymnasien".
Der SPD-Landtagsabgeordnete Martin Güll, selbst jahrelang Rektor einer Hauptschule und nun zuständig für das Modell in Denkendorf, glaubt: "Wenn man Denkendorf nur den kleinen Finger gibt, bricht der Damm auch in Bayern." Gerade stellt Güll einen Expertenbeirat zusammen, der ein pädagogisches Konzept für die Gemeinschaftsschule entwickeln soll.
Bis 2012 soll das Referenzmodell fertig sein, den Eltern präsentiert und zur Abstimmung gestellt werden. Dann müsste der Minister den Modellversuch genehmigen. Bislang hat er darauf offensichtlich wenig Lust. Kurz vor der Landtagswahl könnte aber die Stimmung kippen, hofft Güll. "Und wenn es kippt, könnten wir schon am nächsten Tag mit unserer Gemeinschaftsschule loslegen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!