■ Den politischen Schlappen Silvio Berlusconis folgt der langsame, aber sichere persönliche Niedergang: Vae victis!
Italien ist das Land der Solidarität – nirgendwo sonst demonstrieren Menschen in solchen Massen, nirgendwo ist das soziale Netz der Verwandtschaftsbande noch so eng wie hier. Italien ist aber auch das Land, in dem Siegertypen die größte Bewunderung erfahren. Christdemokrat Andreotti wurde unzählige Male gar von der politischen Opposition unterstützt – solange er noch der unüberwindlich scheinende Meisterintrigant war.
Doch Italien ist auch das Land, das am mitleidslosesten jene Starken abstraft, die auch nur einen Augenblick Schwäche zeigen. Andreotti widerfuhr dies voriges Jahr, als er kein Amt mehr innehatte und sich nun mit bösen Gerichtsverfahren überzogen sah – inzwischen kann er nicht einmal mehr ein einigermaßen umfangreiches Interview plazieren.
Eine fast identische Erfahrung macht nun auch Silvio Berlusconi, eine, die schon seinem vormaligen politischen Protektor Bettino Craxi vor zwei Jahren nicht erspart blieb: Kaum hat sich die Wählergunst am vergangenen Sonntag nach vordem triumphalen Ergebnissen für „Forza Italia“ nur etwas gewendet, schon dreht sich alles weg von ihm. Verbal zwar noch immer solidarisch, haben die Parteiführer auch seiner engsten Verbündeten längst Gespräche über eine Nach-Berlusconi-Ära aufgenommen. Der Staatspräsident hat die seit Mai amtierende Administration kurz und bündig bereits zu den Akten gelegt und angekündigt, er werde im Zweifelsfall lieber eine Notstandsregierung einsetzen, als Berlusconis Wunsch nach Neuwahlen zu entsprechen.
Und nun plumpst auch noch der Ermittlungsbescheid und die Anordnung zur Aussage vor dem Ermittlungsrichter in die Regierung – schlimmer geht's nimmer.
Die Frage, ob man die Ermittlung auch dann so entschieden weitergetrieben hätte, wäre Berlusconi bei den Wahlen weiter aufgestiegen, ist legitim – doch sie ändert nichts an der Tatsache, daß Berlusconis Position aus Unternehmertagen von vornherein so dubios war, daß ein solches Verfahren früher oder später fast zwangsweise kommen mußte.
Wie weiland Craxi verteidigt sich Berlusconi mit genau den gleichen, schon seinerzeit als absolut stumpf erwiesenen Mitteln: die Ermittlung sei eine Infamie, der „fumus persecutoris“ (ein herrlicher Fachterminus, der dem Volk willkürliche Verfolgung suggerieren solle) ließe sich nicht leugnen, und die Strafverfolger seien sowieso unseriöse Leute.
Daß ein Politiker in dieser Lage, sei er nun schuldig oder unschuldig, nicht weiterregieren kann, ist unausweichlich klar. Keine Gesetzesvorlage, die er ausdenkt, keine internationale Vereinbarung, keine Absprache mit irgendwelchen Partnern im In- oder Ausland kann Glaubwürdigkeit und Dauerhaftigkeit beanspruchen, wenn man jeden Tag den Fall des Regierungschefs befürchten muß.
Die Unschuldsvermutung, die Berlusconi und seine Getreuesten da gerne reklamieren, muß immer gelten – doch das ist ein strafrechtliches Prinzip, kein politisches. Wenn erkennbar Schaden fürs Volk entsteht, wenn selbst die einfachsten administrativen Maßnahmen der Regierung dem Satz „Na, nächste Woche sind die ja vielleicht schon abgesetzt“ begegnet, ist dies schlimmer als jede noch so schlechte, aber immerhin glaubwürdige Regierung. Es ist das Chaos schlechthin.
Damit hat Italien natürlich in den vielen Jahren dubioser Herrscher seit jeher umgehen gelernt. Verdient aber hat es solche Regierenden bestimmt nicht. Werner Raith, Rom
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