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Archiv-Artikel

Den Fuß an der richtigen Stelle

ARRANGEUR Die Geige an der Schulter und den Fuß auf dem Looppedal: Owen Pallett beginnt in Dachau seine Deutschlandtour

Der Laptop steht während des ganzen Konzerts nur im Stand-by-Modus hinter ihm

Es ist ein Balanceakt, den Owen Pallett in der Dachauer Friedenskirche vollführt. Den Mund am Mikrofon, an der Schulter die Geige, die er mit der einen Hand hält und mit der anderen bearbeitet, benutzt er seinen linken Fuß dazu, die Effektpedale zu bedienen und die Geigenmelodien, die er spielt, zu loopen. So schichtet er die verschiedenen Klänge, die er seinem Instrument durch Klopfen, Zupfen und Streichen entlockt, übereinander. Man kann ihm zuschauen, wie er seine Lieder live arrangiert und dabei auch noch Thomas Gill, der ihn bei vielen Songs mit Gitarre und Schlagwerk begleitet, mit Blicken dirigiert.

Jenen führte er vorher charmant mit „Er ist ein Arschloch, aber er sieht gut aus“ ein. Nun steht Gill im schwachen rötlichen Licht vor dem Altar der Friedenskirche, wo das Equipment der beiden gerade so hinpasst und dafür einige Kerzen etwas verschämt in einer Ecke versteckt wurden. Gerade bei den Liedern von seinem aktuellen Album „Heartland“, für das er mit den Prager Symphonikern zusammenarbeitete, braucht Pallett die Unterstützung von Gill.

Das Konzert in der Friedenskirche, wo Pallett den Deutschlandteil seiner Europatour beginnt, gelingt vor allem da, wo er alles einsetzt, was er zu bieten hat: die Klangoptionen der Geige, seinen Synthesizer, sein Looppedal, dass er so virtuos bedient wie sein Instrument, und Thomas Gill, der stets auf seinen Einsatz wartet. Nur dann nämlich setzt der Effekt ein, der die Kompositionen von Pallett so interessant macht: die Spannung, die zwischen der Geige als klassischem Instrument und den elektronischen Klangerzeugern wie einer Drummachine und eben dem Pedal zum Loopen liegt. Wenn Pallett zunächst ganz allein beginnt, seine Geige zu zupfen oder sie mit dem Bogen zu streichen, diese Melodie dann loopt, sie in ihrer scheinbar endlosen Wiederholung den Grund bildet, dem, Schicht um Schicht, eine Klangebene nach der anderen hinzugefügt wird, entwickelt dieses Einmannorchester seine ganze Virtuosität. So werden „Keep the dog quiet“ oder „The great elsewhere“ zu Höhepunkten, die im ovalen Kirchenraum zu einer musikalischen Fülle gelangen, die auf der Platte bei aller Qualität so nicht zu hören ist.

Wenn Pallett hingegen nur seine Geige und seine Stimme einsetzt, wirken die Songs konventionell und etwas verloren. Der besondere Effekt, der sich aus der durchdachten Kombination von klassischen Versatzstücken und Elektronik ergibt, fällt weg. Anders ausgedrückt: Das große Talent von Owen Pallett liegt im Arrangieren von Songs – ob live oder auf Platte. Nicht umsonst ist er in dieser Hinsicht ein begehrter Mann in der Popwelt. Zuletzt setzten sogar die Pet Shop Boys für diese Aufgabe auf den Kanadier.

Die Aufführung seiner Songs vor Publikum jedoch lässt den Aspekt des Arrangeurs in den besten Momenten in den Hintergrund treten. Oft ist nicht herauszufinden, welcher Sound nun gerade gespielt wird und welcher gerade auf elektronischem Wege wiedergegeben wird. Die Technik des Looppedals gibt Pallett die Möglichkeit, durch die Gesten seines Spiels für ein Konzerterlebnis zu sorgen, das nicht darin besteht, ihm am Laptop beim Musikmachen zuzusehen. Dieser steht während des Konzerts nur im Stand-by-Modus hinter ihm; er rührt ihn kein einziges Mal an. Palletts Wirkung entfaltet sich durch seine Bewegungen und seinen Gesang – die hohe Kopfstimme, die sich zu erstaunlich kräftigen Klagen erheben kann – und zwischen den Liedern durch seinen Charme, wenn er erklärt, dass man sich in Kanada statt mit einem einfachen Hallo mit einem kräftigen Räuspern begrüße.

So schafft es Pallett in wenigen Augenblicken, seine Zuhörerschaft in den Kirchenbänken für sich einzunehmen. Nur einen konnte er doch nicht überzeugen zuzusehen: Jesus am Kreuz, der überlebensgroß hinter Pallett hängt, hielt die Augen geschlossen. ELIAS KREUZMAIR

■ 15. 3. Frankfurt am Main, 17. 3. Leipzig, 4. 4. Berlin