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■ Den Ausstiegswillen der Atombosse politisch ernstnehmenAnti-Akw-Bewegung von oben

Aller Skepsis besorgter Atomkraftgegner zum Trotz: Deutschlands Atommeiler sind ihrem vorzeitigen Ende heute wesentlich näher als je. Die Diskussionen zwischen den Chefs von Veba und RWE, dem SPD-Ministerpräsidenten Schröder laufen auf den (zeitlich noch nicht terminierten) Ausstieg aus der Atomenergie hinaus. Ob dieser Ausstieg dann nur zeitweise sein wird, wird sich erst nach der Jahrtausendwende entscheiden. Nur laufende Atommeiler aber präjudizieren durch den anfallenden Atommüll politische Entscheidungen für Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende, ungebaute oder stillstehende tun dies nicht.

AtomkraftgegnerInnen in den Parteien, in Umweltverbänden und an Atomstandorten haben bemängelt, daß die Konzerne mit ihrem Brief an den Kanzler einseitig den Weiterbetrieb ihrer Atomanlagen sichern wollten, daß sich die vorliegenden Konzepte nicht um die Energieeinsparung kümmerten und daß sie last not least den Menschen hier und in den Nachbarländern ein unkalkulierbares Restrisiko aufbürden. „Der GAU hält sich nicht an Ausstiegsfristen“, formuliert etwa Eduard Bernhard vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz pointiert.

Sie haben ja recht. Aber allzu leicht übersehen die Kritiker des Konzernvorstoßes dabei die grundlegend neue Dimension in den Verlautbarungen der Konzernbosse Friedhelm Gieske (RWE) und Klaus Piltz (Veba). Piltz und Gieske haben die Abwicklung der Atomindustrie zum politischen Problem erklärt, es in die politische Sphäre gehoben.

Seit Jahren gibt es eine klare gesellschaftliche Mehrheit für den Ausstieg und einen Quasi-Konsens über die Notwendigkeit des Energiesparens. Politiker, gerade auch Regierungspolitiker, waren aber bisher nicht in der Lage, diesen quer zu den vorhandenen Energieerzeugungsstrukturen liegenden Konsens zu politischen Vorgaben an die Industrie zu bündeln. Jetzt haben die Strombosse selbst die Verhandlungen angestoßen. Diese Chance sollte wahrgenommen werden. Zu warten, daß sich die Konzerne zum Sofortausstieg bequemen und ihre Milliardeninvestitionen einfach so abschreiben, heißt St. Nimmerleinstag.

Daß von allen Konzernen des atomindustriellen Komplexes gerade Veba und RWE ihre Meiler politisch zur Disposition stellen, hat natürlich nichts mit Menschenfreundlichkeit und höherer Einsicht zu tun, sondern handfeste ökonomische Gründe. Beide Konzerne verdienen zwar um so mehr an jedem Atomkraftwerk, je länger es läuft. Beide haben aber auch Alternativen zum Atomstrom relativ schnell und preiswert zur Hand. Das RWE setzt nach wie vor auf Braunkohle. Die Veba kann ihre Atommeiler in Küstennähe mehr oder weniger problemlos durch Kraftwerke für Importkohle oder Gas ersetzen. Zweitens sind RWE und Veba in ihren Kernländern NRW und Niedersachsen mit einer SPD konfrontiert, die die Atomenergie nicht gerade liebt und eine stärkere Nutzung der Kohle schon aus Arbeitsplatzgründen begrüßen würde.

Drittens – und dieses Argument gilt für alle kühl kalkulierenden Stromkonzerne – wollen die Atomstromer gern aus der teuren Wiederaufarbeitung heraus. Die Verträge mit La Hague und Sellafield lassen sich am leichtesten im Fall höherer Gewalt kündigen: wenn also die Politik sich entsprechend gegen die Wiederaufarbeitung entscheidet. Die Produktion von MOX-Brennelementen in der Hanauer Siemens-Fabrik würde unter diesen Umständen schnell überflüssig werden. RWE hat schon heute kein Interesse mehr am Fortbetrieb der Plutoniumwirtschaft in Hanau, Siemens hingegen sieht seine Investitionsmilliarde dort in den Sand gesetzt.

In München, Stammsitz der Siemens AG und des dritten großen Atomstromers Bayernwerk, hält man Gieske und Piltz denn auch für Verräter. Bayernwerk-Chef Jochen Holzer tobte vergangene Woche, daß ein energiepolitischer Konsens nicht darin bestehen könne, „die seit Jahren bekannten Positionen der SPD in schön formulierter Form zu übernehmen“. Wenn die alten Akw abgeschaltet würden, sei „eine neue Generation von Kernkraftwerken notwendig“. Der Hintergrund ist auch in München ökonomischer Natur. Die Bayernwerke, zu 58Prozent im Besitz des Freistaates, verfügen über keine einfache Alternative zu ihren Atommeilern.

Während sich die Atomkraftgegner durch laute „Weiter so“- Parolen in ihren Denkschemata weiter bestätigt sehen, ist die Atomlobby von den leisen Zwischentönen der Manager zu recht nachhaltig verschreckt. Mit spitzen Ohren hat sie wahrgenommen, daß RWE-Briefautor Gieske die Atomkraft für „derzeit unverzichtbar“ hält. Veba-Boss Piltz hatte schon zuvor seine Prämissen für einen Atomstromkonsens präzisiert. Der Neubau eines Atommeilers sei „gegen breiten Widerstand in Politik und Gesellschaft“ nicht machbar. Erst ohne neue Akw und mit Auslaufen der alten Meiler werde zudem das Problem der Atommüllentsorgung „begrenzt und kalkulierbar“. Bei der Entsorgung besitzt SPD-Gesprächspartner Schröder das größte „Quälpotential“, die wichtigen Standorte Gorleben und Schacht Konrad liegen in Niedersachsen.

Ausgangs- und Knackpunkt der Gespräche, darüber ist sich Piltz mit seinen Gesprächspartnern Schröder und Hermann Rappe von der IG Chemie einig, ist also die Atommüllfrage. Rappe, nicht gerade Atomkraft-Gegner, sagte es kürzlich noch einmal deutlich: Erst der Ersatz der Akw durch konventionelle Kraftwerke „gibt die notwendige Planungssicherheit in bezug auf die Menge des zu entsorgenden Atommülls“.

Klaus Töpfer soll bei den jetzt anberaumten Parteiengesprächen die Regierungsdelegation leiten. Das ist folgerichtig, weil Töpfer für die Entsorgung des Atommülls zuständig ist. Der Umweltminister muß für Kohl in den diese Woche beginnenden Parteiengesprächen mit Schröder, dem Mainzer Ministerpräsidenten Rudolf Scharping (SPD) und dem baden-württembergischen Umweltminister Harald B. Schäfer (SPD) die Entsorgungssicherheit der westdeutschen Atomkraftwerke sichern.

In dem Konsenspapier der Bosse mit Schröder ist im September der Wegfall des Atommüll- Endlagers in Gorleben (nicht mehr genehmigungsfähig) und der Wiederaufarbeitung plus Plutoniumverarbeitung (zu teuer) schon vorgezeichnet worden. Die Konzerne werden das als Zugeständnis zu verkaufen suchen. Sie brauchen aber ersatzweise die Zusage für eine andere Entsorgung, zum Beispiel die langfristige Zwischenlagerung von Atommüll. Greenpeace hat die Verknüpfung von Entsorgungsproblem und Ausstieg schon auf die Spitze getrieben: Jedes Akw müsse dann abgeschaltet werden, wenn der anfallende Atommüll nicht mehr am Meiler selbst zwischengelagert werden könne.

Die Stromkonzerne haben gute Gründe für einen kleinen Kompromiß über die Atommüll-Entsorgung. An diesen Kompromiß festgetäut aber ist der große Ausstieg. Ohne Datum für den Ausstieg aus den alten Meilern geht in der Atompolitik gar nichts. Es ist nur folgerichtig, wenn RWE und Veba die Rest-Lebenszeit ihrer Akw jetzt politisch verhandeln wollen. Das ist natürlich auch ein Erfolg der Anti-Atomkraft-Bewegung. Sie muß nun mit aller Macht auf den schnellen Ausstieg drängen. Denn das Datum dieses Ausstiegs, nicht die gebetsmühlenhafte Forderung nach dem Sofortausstieg, entscheidet über die Höhe des Restrisikos. Hermann-Josef Tenhagen

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