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Den Aufstand zu proben, ist erst mal gut: Jugendliche, die einfach nur den Ansprüchen der Gesellschaft folgen, werden diese Gesellschaft auch nicht verändernNiemand hat das Recht zu gehorchen

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

In meiner Jugend haben sich die Jugendlichen an der Bushaltestelle getroffen. Wir wohnten auf dem Land, und es hätten sich auch alle zu Hause treffen können. Aber zu Hause waren die Eltern und die äußerten Kritik daran, wie man zum Beispiel herumsaß. Man sollte anders sitzen, anders reden, sich anders die Zeit vertreiben, im Grunde – anders sein. Das eigene Sein war den Eltern suspekt.

Ich kann meine Eltern jetzt wenigstens ansatzweise verstehen, weil ich selbst Jugendliche zu Hause habe und die auch ermahnen muss. Ich gebe mir große Mühe, keine übertriebenen Forderungen an sie zu stellen. Aber manchmal muss ich sagen: „Wisch das weg!“, zum Beispiel.

Jugendliche und Erwachsene, glaube ich, passen nicht zusammen. Die Natur hat es so eingerichtet, dass sie irgendwann nicht mehr zusammenpassen. Ich nehme an, es dient alles letzten Endes der Fortpflanzung, der Erhaltung der Art. Sie sollen auf diese Weise gezwungen werden, sich voneinander zu trennen, um eigene Arten von Familien zu gründen. Wenn wir also als Jugendliche den nervigen Reglementierungen der Eltern entgehen wollten, auch mal was Illegales oder Geschlechtsverkehr ausprobieren wollten, mussten wir das heimische Nest verlassen.

Es ist gut, dass Jugendliche die Regeln der Gesellschaft auf ihre Sinnhaftigkeit hinterfragen. Auch wenn sie denen, die sie schon vor längerer Zeit hinterfragt haben, damit ziemlich auf die Nerven gehen. Aber Gesetze sind nicht immer gut. Und, wie Hannah Arendt gesagt haben soll: „Niemand hat das Recht zu gehorchen.“ Auch wenn sie es nicht gesagt hat, ist es richtig. Jugendliche können sich einfach nicht vorstellen, dass die Welt, in die sie hineinwachsen, schon fertig ist. Was hätten sie dann noch zu tun? Wofür wären sie gut?

Und die Welt war noch nie fertig. Keine Gesellschaft war fertig und gut so, wie sie war. Noch nie. Was ich eigentlich sagen will: Ich finde Jugendliche, die sich engagieren, die den Aufstand proben, die revoltieren und sich einer Sache verschreiben, die sie für moralisch richtig halten, erst mal gut. Jugendliche, die einfach nur den Ansprüchen ihrer Eltern und der Gesellschaft folgen, die werden diese Gesellschaft auch nicht verändern. Und das hat Hannah ­Arendt nun wirklich gesagt: „Weisheit ist eine Tugend des Alters, und sie kommt wohl nur zu denen, die in ihrer Jugend weder weise waren noch besonnen.“

In Hamburg-Rahlstedt haben Jugendliche eine leer stehende Kirche besetzt. Sie wollen aus ihr ein Jugendzentrum machen. Vorher wurde sie als Jugendkirche genutzt. Aber es gab anscheinend nicht genügend Zuspruch. Vielleicht gab es nicht genügend jugendliche Christen für eine Jugendkirche in Rahlstedt. Oder nicht genügend jugendliche Christen, die sich auch die Zeit in einer Jugendkirche vertreiben wollten.

Andere Jugendliche wollen sich gerne die Zeit in der Kirche vertreiben. Das kommt unterschiedlich an. Besonders stört die Menschen, dass hier nicht einfach nur Jugendliche zugange sind, sondern auch Jugendliche aus dem „linksautonomen Spektrum“. Was soll man sich darunter vorstellen? „Vermummte Chaoten“ und „Müll liegt schon rum“. So was jedenfalls kann man lesen.

Wenn ich Jugendlicher wäre, dann würde ich da mit drin sitzen und würde ein bisschen Müll machen und jemand würde mich als jemanden aus dem linksautonomen Spek­trum bezeichnen. Wär mir egal. Die Sache ist, da ist eine Kirche, die keiner mehr braucht, die leer steht, ein öffentlicher Raum. Da sind Jugendliche, die wollen damit was machen, die können sie brauchen. Warum denn nicht?

Lasst sie sich erklären und lasst sie protestieren, wir brauchen genau diese Leute, nicht die Angepassten, die braucht kein Mensch. Die zementieren nur die ungerechte Welt in ihrer Überholtheit.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

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