: Den Arbeitsbegriff neu besetzen
■ Rücksichten und Einsichten: „Frau und Arbeit“ feiert zehnjähriges Jubiläum Von Silke Mertins
Drei Familien und zwei Singles in einem Hamburger Wohnhaus teilen sich eine tariflich abgesicherte Angestellte. Die einen brauchen ein paar Stunden Kinderbetreuung, die anderen jemanden zum Einkaufen, die dritten wollen die alte Mutter betreut wissen oder ihren Hund Gassi geführt haben.
Jeder einzelne Haushalt kann die Angestellte zu einem Fünftel steuerlich absetzen. Die so Beschäftigte kommt in den Genuß aller für illegal arbeitende DienstleisterInnen undenkbaren Vergünstigungen: Ur-laub, Bezahlung bei Krankheit, Sozialversicherung. Vorteile für alle, Arbeit für alle.
Zugegeben - ein derartiges Sze-nario ist bisher noch Zukunftsmusik. Aber ginge es nach dem Willen der Mitarbeiterinnen von „Frau und Arbeit“, sollte die „Umverteilung von Arbeit“ lieber heute als morgen losgehen. „Der Bedarf im Dienstleistungsbereich ist enorm“, stellt Christiane Eiche, Frau der ersten Stunde bei „Frau und Arbeit“, fest. „Es gibt genug Arbeit - das ist nur eine Frage der Finanzierung.“
Seit genau zehn Jahren setzt sich die Organisation für die Arbeitsbeschaffung, Berufsorientierung und Qualifizierung von Frauen ein. Mit einer Tagung zum Thema „Rücksichten - Einsichten - Aussichten“ wird das Jubiläum am Donnerstag arbeitsintensiv „gefeiert“.
„Am Anfang hatten wir alle Hände voll damit zu tun, Frauen zu beraten, die ein Projekt gründen wollten“, blickt Christiane Eiche zurück. „Es gab einen totalen Boom von ABM-Projekten.“ Mit dem Ende der goldenen ABM-Zeiten haben sich auch die Angebote von „Frau und Arbeit“ erweitert: Existenzgründungen, Fortbildungen, Umschuldungen und Wiedereinstieg in den Beruf sind heute der Stoff, aus dem die Berufszukunft ist. „Wir unterstützen Frauen dabei , ihren eigenen Lebensentwurf zu finden“, beschreibt Heidrun Winkelmann die Arbeitsweise der Fachfrauen.
Dabei gehören Buchführung, Steuerberatung und die Schulung von Führungsqualitäten ebenso zum Kurs- und Beratungsangebot wie die Stärkung des Selbstvertrauens oder Entscheidungshilfen. „Das Verhältnis von Frauen zu ihrem Beruf hat sich sehr stark verändert“, so Christiane Eiche. Sie steigen weniger häufig aus ihrem Job aus und lassen sich deshalb auch nicht mehr so leicht vom Arbeitsmarkt verdrängen.
Trotzdem: Frauen sind von Mittelkürzungen und Erwerbslosigkeit erheblich stärker betroffen als Männer. „Wenn es hart auf hart geht, verlieren die Frauen im Vertei-lungskampf“, sagt Christiane Eiche und fordert deshalb eine Quotierung der für aktive Arbeitsmarktpolitik vorgesehenen Staatsmittel. So sollte es nicht die eine oder andere Maßnahme für die weibliche „Randgruppe“ geben, sondern „bei allen Arbeitsprogrammen müssen Frauen einbezogen werden“.
Als Chance sehen die Macherinnen von „Frau und Arbeit“ den Wertewandel auf dem Arbeitsmarkt: immer weniger Stammstellen, immer mehr FreiberuflerInnen, der Abbau von Hierarchien. „Der Arbeitsbegriff ist nicht mehr klar und muß neu besetzt werden“, so Christiane Eiche, „und ,Chaos' bedeutet immer auch Chancen für Einfluß - und wir wollen Einfluß nehmen!“
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