: Demokratisch oder grün
■ Plädoyer für ein grünes Bürgerforum
Die Vereinigung ist kein demokratischer Prozeß. Demokratisch ist auch nicht ihr gehetzter Ablauf. Noch sind's die Parlamente. Sie sind zu Notaren der Exekutive degeneriert. Überdies gibt es eine ganz große gesamtdeutsche Koalition, die energisch dafür sorgt, daß in diesem stickigen Deutschland kein demokratischer Durchzug entsteht. Die demokratische Emphase war gut im revolutionären Herbst 1989; im Herbst 1990 geht es um Wähleranteile, nicht wahr! Eine misanthropische Suada? Nein, diese Darstellung hat man schriftlich mit dem neuen Wahlgesetz. Natürlich wäre es richtiger gewesen, auf die Fünfprozenthürde ganz und gar zu verzichten, weil die Nachkriegszeit, für die die Extremismusprävention charakteristisch war, nun auch vorbei ist. Aber: besser so, daß die Verhältnisse klargestellt werden - und die Bürgerrechtler nicht im Rahmen eines politischen Artenschutzes im gesamtdeutschen Parlament eingeschreint werden.
Gewiß, mit dem geplanten Wahlgesetz wird die Bürgerrechtsbewegung der DDR rüde ins Aus geschickt - und damit auch Idee der „direkten, datierten und praktizierten Demokratie“ (Ullmann). Trotzdem (oder deswegen) sollten sie aufhören, mit der geschändeten Ehre der Revolution zu hausieren. Der Klageton, daß diejenigen, die Revolution gemacht haben, in der Vereinigung untergehen, und das ganze Pochen im Dauerrhythmus aufs historische Verdienst, sie sind wirkungslos und haben nicht viel Würde. Die Bürgerrechtsbewegung hatte 1989 ihre Chance und hat sie aus vielen guten Gründen - nicht genutzt; sie griff nicht nach der Macht, sondern verordnete dem Volk ein Programm der Demokratisierung. Es wäre traurig, wenn sie länger noch auf dem „Floß der Medusa“ mit der untergehenden Flagge der wahren Demokratie in der gesamtdeutschen Parteienlandschaft umherkreuzen würde.
Aber es steht fest: die Bürgerrechtler sind die Besten - in einer Volkskammer der um sich schlagenden Inkompetenz und gegenüber dieser Ostberliner Schrottregierung, die Tag für Tag ihre Überflüssigkeit demonstriert. Es steht fest: das vereinte Deutschland muß demokratisiert werden. Es steht fest: die Ullmanns, die Reichs, die Bohleys, die Weiß‘ bringen Erfahrungen, Hoffnungen und Ideen ein, ohne die das neue Deutschland plötzlich vor einer ungeheuren politischen Öde stehen wird.
Was tun also? Wieder einmal haben die Grünen eine Schlüsselrolle - und das beängstigt. Es wäre nur logisch, daß sich die DDR-Grünen mit den Bürgerrechtlern zusammentun würden zu einer Wahlpartei, einem grünen Bürgerforum. Das wäre politisch richtig, würde der Demokratie nützen, würde ihre Chancen in der Wahl steigern, und sie hätten Leute im Parlament, deren Stimme jetzt zählt. Natürlich müßten auch die Bürgerrechtler einen Schritt tun und aus ihrer Nische der Niederlage, die sie ausstaffiert haben mit vielen guten Absichten, herausgehen.
Aber Grüne sind, das steht zu befürchten, allemal in der Lage, soviel gute Gründe zu ignorieren. Sie wollen sich mit den Grünen-West vereinen. Es lebe die deutsche Vereinsunion. Die Organisation ist ihnen wichtiger als die politische Chance, der grüne Vereinsmief wichtiger als Manöver der politischen Öffnung. Auch die Grünen im Westen scheinen die bewährte Basisbürokratie gegenüber neuen Vermischungen mit neuen Ideen vorzuziehen und schätzen nicht die Herausforderung anspruchsvoller Persönlichkeiten. Am Wochenende entscheiden die Grünen jedenfalls. Sollten sie ihren grünen Verein wichtiger nehmen als den Zusammenschluß der Kräfte für eine andere, erweiterte Demokratie, für eine Demokratie jetzt, dann unterscheiden sie sich in Nichts vom Haufen jener Heuchler, Egoisten und Manipulateure, die im Ausschuß „Deutsche Einheit“ um die Wahlchancen feilschen. Sie werden eine Chance vertan haben, die nicht wiederkommt. Für die Ost-Grünen wäre es dann wichtiger, ihre eigene politische Substanzlosigkeit zu bewahren, als im vereinten Deutschland für Demokratie zu kämpfen. Diese gesamtdeutsche grüne Partei hätte dann nicht mehr Anspruch, als ein Projekt für eine andere Gesellschaft behandelt zu werden. Warum sollte sie gewählt werden? Grüne Ziele vertreten auch andere Parteien. Und die Kultur der Basisbürokratie ist wahrlich kein schützenswertes Gut!
Klaus Hartung
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