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Demokratieverständnis der CDUAbkehr vom Bürgerwillen

CDU beschließt die Hürden für kommunale Bürgerentscheide zu erhöhen: Zuviel Beteiligung des betroffenen Bürgers gefährde die Hamburger Wirtschaft.

Republik schon, aber muss das Volk denn überall mitreden? Die CDU findet: nein. Bild: dpa

Die CDU setzt Zeichen. Auf ihrem Landesparteitag beschlossen Hamburgs Christdemokraten Dienstag Abend die Hürden für bezirkliche Bürgerbegehren zu erhöhen. Einem Antrag der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, die Bürgerbegehren "neu zu regeln und dabei höhere Quoren einzuführen", nahm die große Mehrheit der im Bürgerhaus Wilhelmsburg versammelten Deligierten ohne jede inhaltliche Debatte an. Gegenstimmen: drei.

In der Antragsbegründung führt die Wirtschaftsvereinigung aus, die "bestehende Regelung" für Bürgerbegehren stelle "ein Investitionshindernis" dar - und damit "eine grundsätzliche Gefahr für den Wirtschaftsstandort Hamburg". Zwar seien die Instrumente der direkten Demokratie "im Grundsatz" zu begrüßen, heißt es weiter, konkret aber nur, wenn die Zugangsschwellen erhöht werden könnten.

Ein Bürgerbegehren kommt derzeit in Hamburg zustande, wenn sich - je nach Bezirksgröße - zwei bis drei Prozent der wahlberechtigten EinwohnerInnen mit ihrer Unterschrift dafür aussprechen. Seit der Einführung 1999 gab es in Hamburg knapp 80 Bürgerbegehren, die sich unterschiedlich verteilen. So waren es fast 30 im Bezirk Wandsbek, aber nur drei in Mitte.

Um die Inflation direkter bezirklicher Demokratie zu belegen, verweist der nun beschlossene Antrag auf den Konflikt um die neue Ikea-Filiale in Altona: Dabei habe es gleich zwei Bürgerbegehren gegeben, eins gegen und eins für das schwedische Möbelhaus. Kurios an dieser Argumentation: Das schließlich erfolgreiche Pro-Ikea-Begehren war unter maßgeblicher Beteiligung der Altonaer CDU ins Leben gerufen worden - als Reaktion auf die Aktivitäten der Gegner. Damals waren 5.600 Unterschriften notwendig gewesen um das Quorum zu erreichen.

Für einen könnte der CDU-Beschluss zur Steilvorlage werden: den Schulreform-Verhinderer Walter Scheuerl, über dessen angekündigte Parteigründung am Mittwoch nach Redaktionsschluss entschieden werden sollte. Scheuerl, der nach dem Sieg der von ihm maßgeblich vertretenen Initiative "Wir wollen lernen" eigentlich ohne Thema dasteht, hatte erklärt, seine Partei werde sich vor allem eine Ausweitung der Bürgerbeteiligung auf die Fahnen schreiben.

Zu ihrem eigenen Demokratieverständnis lieferte die CDU auf ihrem Parteitag am Dienstag geradezu ein Lehrstück: Zunächst kürten die Delegierten Christoph Ahlhaus ohne jede Gegenstimme und Enthaltung zum Spitzenkandidaten für die absehbaren Neuwahlen. Danach stand der Punkt "Aussprache" auf der Tagesordnung. Wer aber erwartet hatte, der kürzliche Koalitionscrash und die derzeit miserablen Prognosen würden eine hitzige Diskussion auslösen, sah sich getäuscht: Kein einziger der gut 230 Deligierten hatte zum Thema etwas zu sagen, die Debatte fiel ersatzlos aus.

Tröstliches verbreitete die Altonaer Deligierte Karin Priem dann über die Internetplattform Facebook: Angesichts der Sprachlosigkeit des Landesparteitages schrieb sie, die CDU sei "wieder auf Kurs. Da können wir ausnahmsweise mal aufs Diskutieren verzichten."

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7 Kommentare

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  • MW
    Martin Wilke

    @Tom:

    Quoren führen bei Abstimmungen in der Regel dazu, dass die Beteiligung geringer (!) wird. Denn die Gegner eines Anliegens lehnen sich dann oftmals zurück und hoffen auf ein Scheitern am Quorum, statt sich an der Debatte zu beteiligen und genügend Gegner zu mobilisieren. Und wenn eine Seite sich aus der öffentlichen Diskussion raushält, dann sinkt die Aufmerksamkeit für das Thema und damit wiederum Beteiligung.

  • HB
    Hartmut Biebau

    Ist Herr Scheuerl auch Katholik? Im unwahrscheinlichen Fall des Sieges dieser Partei wuerde das evangelische Hamburg von den staendig grinsenden Katholiken regiert werden. Ich bin zwar kein Mitglied einer Religionsgemeinschaft, aber das waere des Guten zu viel

  • D
    Daniel

    Die Frage ist, ob die CDU damit der Wirtschaft wirklich immer und für jeden Fall entgegenkommt. Denn das Ergebnis kann ja auch so ausfallen wie bei dem Bürgerentscheid über die ProIKEA-Initiative und so im Streitfall die Frage beantworten, ob der Rückhalt für ein Bauprojekt im Stadtteil hoch genug ist, das könnte ja durchaus auch im Interesse des Bauherrn sein. Der tut sich ja auch nicht immer Gefallen, mit solchen Projekten die Nachbarschaft derart gegen sich aufzubringen, wie es das Hotel im Wasserturm geschafft hat.

  • DS
    Dieter Schultz

    Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Scheint das Motto von Herrn Ahlhaus zu sein. Wann holt er Herrn Schill?

  • MN
    Mein Name

    Scheuerl tritt doch angeblich auf der Liste der CDU an. Das passt ja wie Arsch auf Eimer...

  • TB
    Tom Bombadil

    Für Bürgerbegehren sollte es keine höheren Quoren geben, für Bürgerentscheide sieht es dagegen meines Erachtens anders aus. Zur Zeit kann auf Bezirksebene über einen Bürgerentscheid etwas durchgesetzt werden, wenn nur 5,01% der Bürger dafür stimmen. Wenn sich mindestens 10% der Bürgerinnen und Bürger beteiligen, reichen davon 50,1%, also die Minderheit von 5,01 % der Bürgerinnen und Bürger. Wenn sich also ein Großteil der Berechtigten nicht beteiligt, weil sie sich nicht ausreichend informiert oder kompetent fühlen - Pech gehabt!

    So können Projekte und Entwicklungen in den Bezirken, die von den Entscheidungsträgern durchdacht sind und deren Sinn aber nicht so leicht vermittelbar ist, leicht von einer Minderheit gestoppt werden. Das ist nicht im Sinne eines demokratischen Gemeinwesens!

    Nun gilt dies für einigermaßen funktionierende Regierungen. Das Thema Altonaer Museum ist dagegen ein Beispiel für das Unvermögen von Regierungen (erst Schließung beschließen, dann zurücknehmen, weil es von vorherein Unsinn war. Bei der Hamburger CDU ließen sich leicht weitere Beispiele finden). Dies jedoch der Politik grundsätzlich zu unterstellen, ist falsch. Und die Schließung des Altonaer Museums zu verhindern, hätte sicher auch geklappt, wenn es ein Quorum von 20 % Beteiligung bei Bürgerentscheiden in Bezirken gegeben hätte.

    Andere Parteien denken ähnlich, trauen es sich aber nicht, Änderungen vorzuschlagen.

  • NP
    No Pasaran

    Was heisst hier Abkehr?? Wurde der Buergerwillen jemals ernst genommen?? Veränderungen werden nur erreicht, wenn die Masse bereit ist dafür zu kaempfen und das nicht nur auf dem Papier.