Demokratiepreis für Neuköllns Bürgermeister: Frotzelnde Flitzpiepe
Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) bekommt einen Demokratiepreis. Warum? Weil er zuspitzend spricht und zupackend handelt - für Bildungsverlierer.
Wir sind hier in Tutzing denkbar weit entfernt von Neukölln, nicht nur geografisch. Aber ein bisschen Neukölln ist ja überall. Damit meine ich nicht nur, dass es an jedem Ort in dieser Republik soziale Probleme gibt, Bildungsnöte, Herausforderungen bei der Integration von Einwanderern. Damit meine ich auch, dass Neukölln neben allen Problemen, für die der Stadtteil bundesweit bekannt ist, immer noch schöne Seiten hat. Und dass es dort trotz allem noch Ordnung gibt, Schulen und Lehrer, die sich engagieren. Einen Rechtsstaat, der unermüdlich kämpft. Neukölln ist damit auch ein Beispiel für die guten Traditionen dieses Landes.
Das haben wir zu einem großen Teil Heinz Buschkowsky zu verdanken. Er ist einmalig. Leider.
Das Land könnte viele Buschkowskys vertragen. Männer und Frauen, die sich nicht wegducken, wenn es schwierig wird. Männer und Frauen, die beherzt zupacken, wenn es darauf ankommt. Politiker, die Klartext sprechen, aber genug Sensibilität haben, um nicht beizutragen zu einem der größten Übel unserer Zeit: Ausgrenzung und Stigmatisierung.
Ein Repräsentant der Bildungsrepublik
Viele denken: Buschkowsky - der ist ganz ein harter Hund. Einer, der endlich aufräumt im Multikulti-Saustall.
Ich verstehe Heinz Buschkowsky nicht so. Ich sehe in ihm einen Mann mit Herz - der aber bei aller Herzlichkeit nicht seinen Verstand ausschaltet. Ich sehe in ihm nicht den Repräsentanten eines Polizeistaates, sondern den der Bildungsrepublik.
Wer sich in Neukölln auskennt, weiß, dass die Polizei dort manchmal bitter nötig ist. Wir brauchen einen starken Staat. Seine Stärke beweist er vor allem in den Institutionen der Bildung. In den Kindergärten und Schulen, in der Jugendhilfe, in den Universitäten. Manchmal geht es aber nicht ohne Polizei.
Es darf keinen rechtsfreien Raum geben, keinen Raum, in dem das Gewaltmonopol des Rechtsstaates nicht mehr gilt. Es darf allerdings auch nicht passieren, dass Polizisten, Richter und Staatsanwälte die Ersten und Einzigen sind, die sich um einen Jugendlichen kümmern. Die Ersten, die ihm mal zuhören. Ein Staat ist stark, wenn er die Kriminalität schon im Ansatz bekämpft.
Heinz Buschkowsky kämpft für diesen starken Staat. Er kämpft dafür, dass der Staat nicht einknickt. Dass er Kinder nicht verloren gibt.
Von einer ineffektiven Familienpolitik endlich wegkommen
Die Familie genießt in Deutschland viel Schutz. Kinder genießen wenig Schutz. Heinz Buschkowsky kann jeden Tag in seinem Stadtteil erleben, was es bedeutet, wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen.
Lieber Heinz Buschkowsky, Ihre Vorstellungen zu Kindergeldkürzungen als Druck- und Sanktionsmittel sind umstritten. Aber Ihre Vorstöße sind ein Beitrag dazu, endlich wegzukommen von einer ineffektiven Familienpolitik. Deutschland verteilt Millionen und Abermillionen von Euro mit der Gießkanne an die Familien. Gleichzeitig müssen viele Kindergärten und Schulen um jeden Cent ringen. Da läuft was schief.
Sie werden manchmal in den Medien als "Tabubrecher" bezeichnet. Sie sind mitunter auch der Gewährsmann für Leute, mit denen Sie gar nichts am Hut haben. Aus allem, was Sie tun und sagen, spricht heraus: Es kommt auf Bildung an. Bildung, Bildung, Bildung. Wenn das ein Tabubruch ist, ist dieses Land nicht bei Trost.
Dieses Land tut immer noch zu wenig für die Bildung aller seiner Kinder. Das Geld ist nicht richtig verteilt. Es ist nicht gerecht, wenn an den sozialen Brennpunkten weniger, genauso viel oder allenfalls ein bisschen mehr Mittel für gute Kindergärten und Schulen zur Verfügung stehen. Es müsste dort mehr, deutlich mehr Mittel geben als in den geordneten, wohlhabenden Vierteln. Das müssen die Bürger einsehen, auch in Zehlendorf oder Tutzing. Langfristig wird auch der Zehlendorfer seines Lebens nicht mehr froh, wenn das Elend in Neukölln immer größere Kreise zieht.
Integrationspolitik braucht Differenzierungen
Ich glaube, einige sehen in Ihnen, lieber Herr Buschkowsky, einen "Ausländerfresser" oder würden den gerne in Ihnen sehen. Quatsch. Nein, Sie wollen, dass in diesem Land alle gute Chancen haben, etwas zu werden. Sie finden sich nicht damit ab, dass man Neuköllner Kindern, deren Eltern oder Großeltern als Einwanderer gekommen sind, die ziemlich treffsichere Prognose machen kann: Du wirst es in diesem Land nicht weit bringen!
Es gehört zu den integrationspolitischen Standardfloskeln, dass Migrant nicht gleich Migrant und Muslim nicht gleich Muslim ist. Schon im nächsten Atemzug werden aber meistens alle Differenzierungen wieder aufgehoben.
Plötzlich wird ein scheinbar bruchloser "christlich-abendländischer" oder "christlich-jüdischer" Kulturkreis konstruiert und, entgegen den komplexen historischen Verbindungen, vom Islam abgegrenzt. Plötzlich wird der jugendliche Straftäter, dessen Eltern bereits in Berlin aufgewachsen sind, auf seine türkischen Wurzeln reduziert, als habe seine Sozialisation nicht in der Mitte Deutschlands und in den Institutionen dieses Landes stattgefunden.
Ein Original gegen die Individualisten
Wir dürfen uns nicht damit abfinden, wenn es mitten in Deutschland Clans gibt, die eine Parallelgesellschaft aufbauen. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, wenn einige Einwanderer ihre Kinder in vormodernen Traditionen gefangen halten. Aber wir dürfen auch nicht selbst den Fehler begehen, alle Menschen zu ethnisieren und sie auf ihre Herkunft festzulegen.
Vielfalt und Individualität werden zu oft zusammengestaucht zu Pauschalurteilen und zu groben Zahlenwerken, zu Problemdaten. Da erscheinen dann die Enkel und Urenkel der Einwanderer als ewige "Migranten", und türkische Laizisten müssen sich ständig als Muslime ansprechen lassen und über den Islam Auskunft geben. Es gibt so viele säkulare Muslime, die nichts mit den Islamverbänden zu tun haben. Sie wollen nicht ständig als Exemplare irgendeines Kollektivs behandelt werden.
Herr Buschkowsky, man kann ja wirklich sagen: Sie sind ein Original. Jeder hat das Recht, ein Original zu sein.
"Die deutsche Sprache hat bei vielen Türken keine Heimat gefunden"
Der Berliner Dichter Zafer Senocak erinnert sich in seinem Buch "Deutschsein" an seine Kindheit in einem bayerischen Dorf. Als Achtjähriger war seine Familie von Istanbul nach Deutschland gezogen. In Bayern war es nachts sehr still, und der Vater sagte, in Deutschland gebe es keine armen Kinder. Schön wärs.
Der Junge sog die deutsche Sprache auf. Die Wirtin sagte: "Nachtruhe!" Das ließ sich kaum ins Türkische übersetzen. Senocak legte sich ein Heft an für die neuen, fremden Wörter. Er nannte es: "mein deutsches Heft". Aus dem Jungen ist ein Schriftsteller geworden.
Wörter können schmecken, edel oder übel. Wörter können duften - oder riechen. Wörter können berühren, sie können trösten oder verletzen.
In München besuchte Senocak die Schule, nachmittags übte eine pensionierte Lehrerin mit ihm die deutsche Sprache. Bei ihr schmeckten die Wörter nach Kaffee und Apfelkuchen. "Heimatlosigkeit", schreibt Senocak, "beginnt damit, dass Sprachen keine Heimat mehr haben. Das Türkische in Deutschland ist oft heimatlos, so wie die deutsche Sprache bei vielen Türken keine Heimat gefunden hat."
Für eine duftende und gut schemeckende Integration
Das Lernen der deutschen Sprache wird gefordert und gefördert, aber die integrationspolitische Betriebsamkeit umweht leider kein Apfelkuchenduft. Es riecht oft noch zu sehr nach Aktenordnern, in denen sperrige Vokabeln und eine dicke Grammatik unter besonderer Berücksichtigung unbestimmter und bestimmter Artikel stecken.
Es dürfte nicht nur darum gehen, den Kindern so früh wie möglich deutsche Wörter einzuflößen. Sprachförderung kann nur gelingen, wenn sie in echte Erfahrungen und persönliche Beziehungen eingebunden ist. Die Wörter - sie müssen duften und gut schmecken.
Übrigens nicht nur für die Einwanderer und ihre Kinder, sondern auch für die vielen Deutschen, die unbehaust sind und nur noch gebrochen ihre eigene Sprache sprechen, ohne Gefühl und Bindung. Sprache ist Heimat. Die Sprache ist nicht losgelöst vom Ort, an dem wir sie sprechen. Dieselben Worte bedeuten in Neukölln nicht unbedingt das Gleiche wie in Tutzing. Sie fühlen sich auch anders an.
Heinz Buschkowsky liebt sein Neukölln. Es ist seine Heimat. Er möchte, dass es auch für andere eine Heimat ist, in der sie gut aufwachsen.
Eine Frage der Persönlichkeit
Ich darf an dieser Stelle einflechten, dass ich mein erstes Lebensjahr in Neukölln verbracht habe, in der Gropiusstadt. Später zogen wir weg, die Grundschule habe ich in Spandau besucht. Berliner wissen, dass das etwas anderes ist. Aber: Auch mir liegt Neukölln am Herzen.
In der Politik kommt es auch auf das Persönliche an. Es macht einen Unterschied, wer etwas sagt. Dafür ist Heinz Buschkowsky ein gutes Beispiel. Es gibt Sätze aus Ihrem Mund, lieber Herr Buschkowsky, bei denen würden ich und einige andere laut aufheulen, wenn sie ein anderer sagen würde. Aber Ihnen kann man trauen. Ihnen traut man zu, dass Ihnen wirklich etwas an den Menschen liegt. Dass Sie kein Rassist sind, kein Migrantenfeind und auch kein Dünkelbürger, der sich über die Armen dieser Gesellschaft erhebt und von vornherein davon ausgeht, dass das alles Sozialschmarotzer seien.
Gerade weil Sie kein Schnösel sind - Ihr Vater war Schlosser, Ihre Mutter Sekretärin, Sie selbst haben als Kind auf den Kartoffelfeldern gestoppelt -, ist es glaubwürdig, wenn Sie mal den strengen Onkel mimen.
Humor statt Populismus
Ihre Äußerungen sind manchmal provokativ. Und es gibt viele in Ihrer eigenen Partei und in Einwandererorganisationen, die sich fürchterlich aufregen können über Sie. Ich teile auch nicht alles, was Sie sagen. Ich habe die Sorge, dass einige Dramatisierungen nach hinten losgehen.
Aber, im Gegensatz zu populistischen Beiträgen aus anderem Munde: Mit Ihnen lohnt sich der Streit. Weil Sie etwas von der Sache verstehen, über die Sie reden. Und weil Sie kein verbohrter Typ sind. Das ist das Schöne: Heinz Buschkowsky, Sie sind ja auch eine fröhlich frotzelnde Flitzpiepe. In der Politik fehlt es generell an Humor. Sie haben ihn.
Wir verleihen hier heute aber keinen Karnevalsorden. Und Sie bekommen keinen Sprach- oder Rhetorikpreis, obwohl Sie auch den verdient hätten. Wenn Sie reden, sind immer ein paar sehr gelungene Formulierungen und amüsante Wortschöpfungen dabei. Liebevoll nennen Sie die Stadtteilmütter, die einen Kontakt zu schwierigen Familien herstellen, Ihr "Kopftuchgeschwader". Neulich haben Sie von "Migrationsmumien" gesprochen - und damit gemeint, dass man eben nicht ewig als Migrant verstanden werden darf, nur weil die Urgroßeltern mal Einwanderer waren.
Lieber Herr Buschkowsky, Sie bekommen einen Preis heute für ihr bildungs- und integrationspolitisches Engagement.
He won't back down
In beachtlicher Geschwindigkeit ist in Neukölln in den vergangenen Jahren Großes geleistet worden. Die Rütli-Schule war bundesweit das Symbol für alles, was schiefläuft in der deutschen Bildung- und Integrationspolitik. Jetzt wird der Campus Rütli zum Modell dafür, wie es gelingen kann, das Ruder herumzureißen. Es ist oft eine Wonne, Ihnen zuzuhören, Herr Buschkowsky. Aber Sie belassen es eben nicht beim Labern. Sie packen an.
Ich habe neulich gelernt, dass Sie ein großer Johnny-Cash-Fan sind. Wenn ich Ihnen jetzt zurufe: "Machen Sie bitte weiter, stehen Sie weiter Ihren Mann!", dann im Sinne des schönen Johnny-Cash/Tom-Petty-Covers "I wont back down".
Ich sehe vor meinem inneren Auge, wie Sie durch die Prärie von Neukölln reiten, den Vers des Songs auf den Lippen: "Hey, I will stand my ground and I wont back down!"
Lieber Heinz Buschkowsky, Sie haben mal gesagt, Neukölln ist "nichts für Weicheier". In diesem Sinne: "Dont back down!" Kämpfen Sie weiter. Geben Sie nicht klein bei. Lassen Sie sich nicht unterkriegen. Alles Gute!
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