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Archiv-Artikel

Demokratie auf verwachsenen Pfaden

Keine Straßen, kein Geld, kein Krieg: Eindrücke aus dem idyllischen Provinznest Harper vor der Stichwahl in Liberia, die dem Land nach langen Jahren des Krieges einen Neuanfang bringen soll. „Wir brauchen hier viel Hilfe“, sagt ein Wahlkampfleiter

AUS HARPER HAKEEM JIMO

Harper ist weit weg. Auf die Frage, wie lange es aus der Hafenstadt im Südosten Liberias in die Hauptstadt Monrovia dauert, kommt die Antwort: zwei oder drei Tage, vielleicht auch eine Woche. Mit dem UN-Hubschrauber russischer Fabrikation dauert es rund zwei Stunden. Die Straße sei nicht die beste, sagen die Bürger von Harper dazu entschuldigend. Das ist wohl wahr. Liberias Straßen sind zumeist Waldwege, zerfurcht von überladenen Lastwagen und in der Regenzeit zermatscht.

Deswegen haben es George Weah und Ellen Johnson-Sirleaf in ihrem Kampf um die liberianische Präsidentschaft nur einmal nach Harper geschafft – vor dem ersten Wahlgang. Zur heutigen Stichwahl zwischen dem jungen Fußballstar und der alten Fachökonomin kommen die beiden nicht noch einmal. Also machen die Leute hier ihren Wahlkampf alleine. „Oppong ist mein Mann“, sagt ein Jugendlicher und meint damit George Weah. „Er will Liberia tatsächlich helfen und kennt die Probleme von Leuten wie mir.“ Noch vor gut zwei Jahren kämpfte der heute 17-Jährige bei der Rebellenbewegung „Model“ (Bewegung für Demokratie in Liberia) gegen den später geflüchteten Charles Taylor. Wie viele ehemalige Bürgerkriegskämpfer begeistert er sich heute für Weah, der im ersten Wahlgang vorne lag. Eine junge Frau, die ein Studium in Monrovia absolvierte und heute bei der UNO arbeitet, meint hingegen: „Natürlich wähle ich Ellen Johnson-Sirleaf. Die weiß, wie man ein Land regiert. George Weah muss das erst noch lernen.“

Harper mit seinen 10.000 Einwohnern im Stadtkern muss einmal eine große Zeit gehabt haben. Davon zeugen dutzende Herrschaftsvillen mit Blick auf die Lagunen oder das offene Meer – und die Betonstraßen. Viel ist nicht geblieben, bis auf ein paar Krämerläden und Proviantshops. Banken, Rechtsanwalts- und Zahnarztpraxen fehlen. Nicht einmal eine Post oder Telefonkabinen gibt es. Der einzige Draht zur Außenwelt ist der Mobilfunk, und das seit noch nicht allzu langer Zeit. Die einzige Internetverbindung steht im Büro der UNO-Friedensmission. Hier in Harper sind Blauhelme aus Senegal stationiert. Das hat praktische Gründe: Auf der anderen Seite der nur 30 Kilometer entfernten Grenze zur Elfenbeinküste stehen ihre Landsleute in der dortigen Friedensmission. Damit hoffen die UN-Strategen in New York, dem vermuteten Fluss von Kämpfern oder Waffen aus Liberia an die Kriegsparteien der Elfenbeinküste Einhalt zu gebieten.

Früher verdienten die Menschen in Harper vor allem in der Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt. Auch gab es Arbeit im Hafen. Aber nach vierzehn Jahren Krieg ist der Betrieb schon lange eingestellt. Somit wurde auch die Fischerei weniger. „Wir brauchen hier viel Hilfe aus der Hauptstadt“, erklärt Patrick Brown, der lokale Koordinator der „Einheitspartei“ (UP) von Johnson-Sirleaf. „Wir müssen dezentralisieren. Das hier erwirtschaftete Geld fließt nach Monrovia ab und nichts kommt zurück.“ Er selbst schlägt sich mehr schlecht als recht durchs Leben. Seine Frau ist Hebamme. Daneben versucht er, Medikamente und lokale Heilprodukte an schwangere Frauen zu verkaufen. Früher schürfte er auf eigene Rechnung in einer kleinen Mine nach Gold. Aber das geht heute nicht mehr.

Browns Gegenüber, der lokale Generalsekretär von Weahs „Kongress für einen Demokratischen Wandel“ (CDC), heißt Manfred Tarwa. Hier in Harper hat die CDC einen eher schwereren Stand. Die beiden zu vergebenden Senatsposten gingen bei der Parlamentswahl im Oktober an andere Parteien.

Nachbarschaftlich leben die beiden konkurrierenden Parteien in unmittelbarer Nähe. Nur vier Häuser trennen ihre Parteibüros. Die Weah-Vertreter von der CDC erfreuen sich an einem einstöckigen Haus für sich allein. Frisch gestrichen. Aber innen sieht es kahl aus, es gibt weder Bänke noch Tische. Das Parteibüro der UP liegt im ersten Stock über einem schäbigen Straßenrestaurant. Abgesplitterte Türen hängen schlapp in den Angeln. Aus einem zerbrochenen Fenster weht die liberianische Flagge zusammen mit der der Partei.

Trotz des morbiden Ambientes ist die Stimmung auch vor dem zweiten Wahlgang gut. Darunter verstehen die Menschen hier: friedlich. „Es geht nicht darum, welche Partei gewinnt. Die Aufgabe heißt: Rettet Liberia“, sagt einer von der CDC. Eine Frau sorgt sich aber, dass wahrscheinlich viele fernab der Städte nicht noch einmal wählen. Das erste Mal wählen – das haben sie verstanden, sagt die Frau, die aus einem Nachbarort zu Besuch ist. Aber ein zweites Mal? Das sehen sie nicht ein.