Demo am 8.November in Berlin

Berichterstattung,

taz vom 9.11.92

[...] Da waren ja die französischen Nachrichten noch korrekter, die am Sonntag abend kommentierten, diese Demonstration sei nicht nur ein massiver Protest gegen Rassismus und Fremdenhaß gewesen, sondern auch gegen die Haltung der Regierung. Dagmar Brocksin,

zur Zeit Berlin

[...] Eine Demonstration ist eine außerparlamentarische Möglichkeit der Nichtregierenden, auf die Meinungsbildung bei politischen Entscheidungen einzuwirken. Wenn allerdings Parlamentarier jeder politischen Couleur so einhellig an einer Demonstration teilnehmen, die ja gerade den Meinungsbildungsprozeß derselben Politiker verändern soll, so bedeutet dies, daß die Ziele und der Sinn einer Demonstration durch die Anwesenheit von Politikern vollkommen aufgehoben werden. Die Demonstration existiert nicht mehr, weil sie keine mehr ist. Die politisch Mächtigen haben gleich zwei Ziele erreicht, nämlich die gegen sie gerichteten Forderungen unwirksam zu machen und gleichzeitig eine unpolitische PR-Veranstaltung mit außergewöhnlich viel Publikum zu bekommen. Uwe Warnken,

Vaasl/Niederlande

Selbst die taz hat geglaubt, oder glaubt immer noch, daß diese Veranstaltung eine Art Gründungsforum für ein breites Bündnis gegen den faschistischen Terror gewesen sein soll. Diese Chance wäre nun durch 300 „Linksfaschisten“ zerschlagen worden, beklagt ihr. Aber Kohl sagt es in seiner Nachbereitung noch mal deutlich: „...das eigentliche Verbrechen ist, daß das Bild Deutschlands im Ausland gefährdet ist.“

Die Menschen, die dieses Bild gestört haben, haben die Gesetze unserer medialen Wirklichkeit durchschaut und verstanden. Da jault das Medium natürlich auf. Ihre eigenen Tricks werden entlarvt und benutzt. Die Brüchigkeit der Scheinheiligkeit wird sichtbar. Was ist hinter dem zerschnittenen Bild sichtbar? [...] Anton Klein, Berlin

[...] Das „Volk“ sieht offensichtlich deutlich, daß wir uns heutzutage keine Schaffung von neuen Problemen durch faschistische Kriminelle leisten können. Folgerichtig fordert es statt Polit-Mätzchen im Stil der Asyldebatte und statt mittlerweile lächerlich gewordener Strategien zur Massenbeeinflussung Strategien zum Lösen von Problemen. Mit diesem Akt politischer Logik und mit der Demonstration von Solidarität zu sich selbst – „Ausländer“ eingeschlossen – verliert das „Volk“ die Angst vor den Einschüchterungsversuchen von rechts. Es wird sich auch von verzerrender Berichterstattung über seine Aktivitäten nicht entmutigen lassen.

Am 8.11.92 wurde klar: Es ist noch nicht aller Tage Abend – wenn selbstgefällige Zeitgeistler mit dieser Einstellung Realitätssinn beweisen wollen. Das Ende des Faschismus – auch der des Informationszeitalters – hat gerade erst begonnen. Christa Blasius,

Juliane Heinsdorff, Berlin

Sicherlich läßt sich darüber diskutieren, ob es richtig war, den friedlichen Ablauf einer Demo zu stören, die auch von vielen Menschen besucht war, die sich wirklich gegen die herrschende Asylpolitik wandten (aber bestimmt keine 350.000, wie die Bildunterschrift auf Seite 3 behauptet), und darüber, ob die Form angebracht war. Aber immerhin ist es den autonomen „Chaoten“ doch gelungen, das „Friede, Freude, Eierkuchen“- Bild zu zerstören, das, im Sinne der Kohlköpfe, die ausländischen Investoren beruhigen sollte. Tatjana Gerlach, Nürnberg

„Steine auf den Bundespräsidenten“ – eine Schlagzeile, die sich mit wenigen hundert (wenn auch sich wirkungsvoll in Szene gesetzten) sogenannten „Antifas“ befaßt, ist, angesichts einer Menge von (geschätzt) 350.000 friedlichen Demonstranten aus dem Bundesgebiet, eine Verzerrung der Geschehnisse! Macht sie doch die Neben- zur Hauptsache und umgekehrt.

[...] Nicht etwa, daß Ihr nicht auch über die „Krawalle“ berichten solltet, bewahre, aber in die Schlagzeile gehört das Wesentliche, die Essenz der Veranstaltung. Auch wenn die eigentliche Berichterstattung (und ein hervorragender Kommentar!) gut und kenntnisreich war. [...] Ulli Barth, Hamburg

Was ist das für eine politische Kultur, wo man/frau Seite an Seite mit dem Kanzler gegen Fremdenfeindlichkeit demonstrieren?! Auch am 8.November brannten Asylbewerberwohnheime; BM Diepgen spricht unterdes von einer „fröhlichen“ Demo-Atmosphäre.

Im gleichen Atemzug verspricht er, gegen die Autonomen anhand von Videoaufzeichnungen vorzugehen. Wenn er und seine Kollegen genauso gegen Neonazibanden vorgingen, würde ich mir vielleicht überlegen, an einer solchen Demonstration teilzunehmen. Bleibt für mich weiterhin die Frage, worum es den Autonomen eigentlich geht. [...] Monika Lent-Öztürk, Dortmund

Ein abgeklärtes Verhältnis zur eigenen Haßfraktion, den Autonomen, stünde exponierten linken Journalisten besser zu Gesicht als die Sorge ums deutsche Image.

Gewalt und Rechtsruck vertragen sich nun einmal schlecht mit der edlen Wunschvorstellung einer Friede-Freude-Eierkuchen-Großdemo. Wer hat da wen provoziert, Herr Rathfelder? Tina Stadler, Frankfurt am Main

[...] Die Berichterstattung über die Demo am 8. hat's an den Tag gebracht: die taz – ein Organ der Gegenkultur? Weit gefehlt! Die Hofberichterstattung hat sich in nichts von unseren miesen Siegener Lokalblättern unterschieden; keinen Satz konnte ich finden, der sich mit der Schizophrenie der Politiker befaßte, die gegen ihre eigene Politik demonstrieren (und es ja offenbar geschafft haben, weite Teile der Bevölkerung zu verarschen).

Wer sonst könnte dieses Täuschungsmanöver enttarnen, wenn nicht die taz (habe ich vorher gedacht...)? Aber gut – daß keine Steine flogen, wußten seit Sonntag schon die Leute, die ferngesehen hatten. [...] Barbara Forwick, Siegen

[...] Die sich am meisten über die Eierwerfer aufgeregt haben, sind solche Leute, die nichts dagegen haben, wenn junge Leute das Eierhandgranatenwerfen beim Militär erlernen, damit sie später solche gegen staatlich ausgesuchte Feinde werfen können.

Ich gehöre als 72jähriger Pensionär nicht zu Rechtfertigern von Wurfgeschossen oder Hartgummikugeln, nein. Nur in Berlin wurde geheuchelt! Verteidigt wurde Art.1GG – der aber gar nicht angetastet werden sollten von Leuten, die Art. 16 ändern wollen. Und im Angesicht schöner Worte wurden Demonstranten mit den Knüppel angetastet. Würdevoll oder würdelos, Herr Bundespräsident? Rudolf Prahm, Bremen

betr.: „Der Traum ist aus, und die Scherben?“ von Erich Rathfelder, taz vom 9.11.92

[...] Die „Chance für ein breites Bündnis gegen Rechtsradikalismus“ wurde in Berlin keineswegs „vertan“ – diese Chance hat gar nicht bestanden. Mit Rechten geht man kein Bündnis gegen Rechtsradikale ein – das ist weder unpolitisch noch ahistorisch oder gar kindisch, Herr Rathfelder: Das ist ganz einfach das Ergebnis der Erfahrungen, die die „deutschen Linken“, auf die Sie es offenbar abgesehen haben, in der Auseinandersetzung mit jenen politischen Kräften sammeln, wenn es darum geht, das Leben der AsylantInnen und AusländerInnen „in diesem unserem Land“ zu schützen. Ob ausgerechnet der Bundespräsident mit Steinen beworfen werden mußte – nun ja, über taktische Fehler mag man sich streiten. Notwendig aber war eine deutliche Absage an diese „Wir kennen kein rechts und links mehr, wir kennen nur noch Demokraten“-Stimmung. [...] Helmut Pollähne, Carola Puder, Bielefeld

Da bezeichnet der Autor die Initiatoren der Demo allen Ernstes als Menschen, die „rechtsradikaler Gewalt entschieden entgegenstehen“, Menschen, „die rechtsradikalen und nationalistischen Ideologien keine Chance einräumen“.

Er meint damit zum Beispiel den Bundeskanzler, der genau eine Woche vor der Demo noch wegen der „Asylantenflut“ den „Staatsnotstand“ ausrufen wollte. Er meint damit auch die VertreterInnen der Parteien CDU/FDP/SPD/ Grüne, die in Bundes- beziehungsweise Landesregierungen für ständige hundertfache Abschiebungen von Menschen in Hunger, Folter und Tod verantwortlich sind. Er meint damit die Politiker, die durch die rassistische Asylrechtsdiskussion die ideologische Vorarbeit für Nazi-Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte leisten. Und er meint Weizsäcker, der als oberster Repräsentant des Staates durch sein moralisierendes Rumgelabere den menschenfreundlichen Deckmantel für die herrschenden Rassisten bildet.

Die Hauptverantwortlichen für den ständig wachsenden Rassismus gingen in Berlin gemeinsam auf die Straße, weil ihnen das, was die Nazis auf der Straße machen, etwas zu heftig wurde. Sie bevorzugen statt Brandsätzen die Gewalt in Form von Abschiebungen, Ausländergesetz und Grundgesetzänderung. Die Demo sollte exakt das verschleiern. Arne Timmermann, Mitglied der

Ökologischen Linken

Erich Rathfelders hysterische Anschuldigungen gegen die Autonomen sind haltlos. Daß sie „die primitiven Geschäfte von Provokateuren betreiben“, nimmt ihm keiner ab. Die einzigen, die in diese Kategorie passen, sind die alten und neuen Nazis.

Autonome sind überwiegend junge Menschen, die sich für eine Welt ohne Faschismus, ohne Geldgier und ohne Ausbeutung engagieren – und sich bisher auf Demonstrationen beschränkt haben und mit Farbbeuteln, faulen Eiern und Tomaten geworfen haben... Name und Anschrift sind der

Red. bekannt

Auf einer Betonmauer in Bremen stand lange der Spruch: „Eure Worte sind schlimmer als unsere Steine.“

Darüber sollten alle die einmal nachdenken, die sich über ein paar Eier, Farbbeutel „und Steine“ aufregen, über die Heuchelei unserer Politiker von rechts bis links aber kein einziges Wort verlieren. Ludwig Schönenbach, Bremen

[...] Wer die Schauveranstaltung von Politikern, deren Alltagsgeschäft das Schüren von Nationalismus ist, in ein breites Bündnis gegen rechte Ideologen umdichtet, der hat sich längst vom kritischen oder gar linken Journalismus verabschiedet. Guntram Fink, Berlin

[...] Ich möchte Ihnen sagen, daß, was ich heute in Ihrer Zeitung im Bericht und vor allem in der Kommentierung von Erich Rathfelder über die gestrigen Berliner Ereignisse las, für mich der überzeugendste Versuch einer ehrlichen und von falschen Rücksichten (in welcher Richtung auch immer – auch in einer, in die man vielleicht nur ungern schauen möchte) emanzipierteste Beitrag war. [...] Prof.Dr.Rudolf Frisius,

Karlsruhe

betr.: „Autonome freuen sich über ihren Erfolg“, taz vom 10.11.92

Eure Analyse von Weizsäcker etc. in allen Ehren – sie ist richtig, dazu bleibt nichts zu sagen. Die Konsequenz für Euer politisches Handeln bleibt jedoch äußerst fragwürdig. Was habt Ihr erreicht? Streibl fühlt sich bestätigt, überall wird über das pubertäre Eierwerfen gesprochen.

Die Dummheit vieler PolitikerInnen etc., links- und rechtsradikale Aktionen in einen Topf zu werfen, ist Euch nicht anzulasten, zumindest aber habt Ihr ihnen die Gelegenheit gegeben, sich über Nebensächliches, (nichts anderes stellt Eure angeblich so phantasievolle Störaktion dar) auszulassen. [...]

Die „wahren Störer“ der herrschenden Politik bleiben außen vor. Stellt Euch vor, 350.000 Menschen mit Schildern: Artikel 16 bewahren! 350.000 wahre Störer! Dann hätten Kohl und Konsorten Mühe gehabt, ihre Politik zu legitimieren. Endlich wäre ein öffentlicher Druck zu einer Auseinandersetzung dagewesen.

Bildet Euch nicht ein, politisch klug zu handeln, nur weil Eure Analysen radikal sind. Das allein reicht leider nicht. [...] Maren Richter, Berlin

[...] Am autonomen Wesen soll wohl der Rest der Welt genesen, oder wie erklärt sich dieser Anspruch von 0,1 Prozent aller Beteiligten, die Andersdenkenden 99,9 Prozent unterdrücken zu dürfen? Die Welt ist rund, und die Sonne dreht sich nicht um schwarze Trachtenträger.

Wer den guten alten Zeiten im wohlig-subventionierten Schatten Kreuzberger Wände nachtrauert, der mache sich auf die Suche nach der Insel des rechten Glaubens. Einen festverschnürten Sack voller Ängste und Probleme sollte man gratis dazugeben, auf daß sie dann bis ans Ende ihrer Tage ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen können: Probleme autonom regeln! Klaus Zahn, Berlin