Demagogie: Einladung zur Hetze
Der Unternehmerverband AGA gibt dem Bremer Emeritus Gunnar Heinsohn die Gelegenheit, sein Unterschichten-Bashing bei einem Festvortrag zu verbreiten.

Heinsohn (l.), durch Peter Sloterdijks (r.) philosophisches Quartett geadelt, ist als Festredner gefragt. Bild: ZDF
Neben 500 Euro und einer Feier bekommen besonders erfolgreiche Azubis des Groß- und Außenhandels in Bremen dieses Jahr vom Unternehmerverband AGA auch Indoktrination spendiert: Die Festrede zum Ausbildungspreis 2010 hält am 21. September in der Stadtwaage der umstrittene Bremer Emeritus Gunnar Heinsohn. Thema: "Folgen falscher Anreize im Sozialsystem".
Als "grob fahrlässig" kritisiert das Horst Frehe, sozialpolitischer Sprecher der Grünen in der Bürgerschaft. "So jemanden lädt man nicht ein, wenn man einen Ausbildungspreis vergibt."
Das ist keine unbegründete Vorabverurteilung. Denn Heinsohns Thesen zum Thema sind bekannt: Im Frühjahr hatte er sie in Welt und FAZ lanciert. In den Artikeln entwarf er das Panorama einer Gesellschaft, der einerseits "Leistungsträger" fehlen, die andererseits bedroht ist durch eine aggressiv sich vermehrende Unterschicht. Die Sozialhilfe eröffne Karrieren für "Mädchen, die beizeiten schwanger werden, um Ansprüche aufbauen zu können". Die Jungen würden, von Sozialhilfe abgeschnitten, kriminell. Ihnen empfiehlt der Sozialpädagoge, nicht geboren zu sein, denn: "Ungeborene können niemandem einen Baseballschläger über den Kopf ziehen."
Begründet hatte der "Autor vielbeachteter Bücher und Aufsätze zur Demographie" - so die AGA-Präsentation des Festredners - seine biologistisch gefärbten Ausführungen mit willkürlich ausgewählten Statistiken. Heinsohn hatte sie suggestiv in Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gebracht, was nur als grober methodischer Schnitzer - oder aber demagogische Absicht zu erklären wäre. Beispiel: Dass die Mordrate in New York von 1990 bis 2008 um 80 Prozent gefallen ist, stellt er als Folge der Beschränkung der US-Sozialhilfe auf fünf Jahre dar, die seit 1997 gilt. Genauso gut hätte er im selben Zusammenhang auch erwähnen können, dass sich die Zahl der Gefängnisinsassen in den Vereinigten Staaten im selben Zeitraum mehr als verdoppelt hat. Aber das passt nicht in die These.
Als "absolut menschenverachtend" bezeichnete der Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer, Hans Endl, vor allem den biologistischen Ton der Heinsohn-Auslassungen. Ihre Veröffentlichung in seriösen Zeitungen zeige, dass "die Hetze gegen Hartz-IV-Empfänger salonfähig geworden ist". Zahlreich, wenn auch strafrechtlich ohne Konsequenzen, waren die Anzeigen wegen Volksverhetzung. Auch die Bürgerschaft debattierte darüber: Die Linke hatte beantragt, sich vom - mit öffentlichen Mitteln alimentierten - Emeritus zu distanzieren. "Irgendwann ists auch mal gut mit den Eugenik-Sprüchen", so der Fraktionsvorsitzende Peter Erlanson (taz berichtete).
In der Sache war sich das Landtags-Plenum relativ einig - bloß eine Mehrheit gabs für den Antrag nicht: Das sei nicht die Aufgabe des Parlaments, hieß es. "So ein Beschluss hätte Heinsohn doch hemmungslos aufgewertet", so Grünen-Politiker Frehe. Trotzdem: "Ich appelliere an den AGA, ihn auszuladen."
"Da bin ich total baff", sagt AGA-Sprecher Holger Eisold. Von der Kontroverse habe man "nichts mitbekommen", und er gehe davon aus "dass da nicht solche Sachen kommen". Worauf sich die Hoffnung gründet, bleibt unklar. Vor der Einladung Heinsohns habe man sich jedenfalls erkundigt und ihn als "guten Redner" empfohlen bekommen, der pointiert formuliere. Das ist auch nicht zu bestreiten. Allerdings gehört Rhetorik schon seit jeher zum Handwerk eines guten Demagogen, ebenso wie die Fähigkeit, Unwahrheiten zu wiederholen - allen Fakten und Widerlegungen zum Trotz.
Leser*innenkommentare
corilo
Gast
Die taz hat sich hier augenscheinlich etwas fehlorientiert und möchte scheinbar Unterstützung im Wegschauen leisten mit diesem Beitrag. Die hier zitierten Heinsohn-Äußerungen entsprechen jedoch dem, was vielen Teilen der Bevölkerung gegenwärtig widerfährt. Wenn nun junge strebsame (Beweis durch Ausbildungsabschluss!) und bisher in Arbeit stehende Menschen zu einer Ausbildungspreisverleihung eingeladen sind,ist es da nicht folglich ratsam einen offensichtlich lebenserfahrenen Redner präsentiert zu bekommen? Wovor hat die taz denn nun Angst? Etwa vor der Auseinandersetzung mit der Realität?
Und, kennt die taz denn schon die Rede des Herrn Heinsohn?
Wer betreibt hier eigentlich Hetze und gegen wen?
Man sollte sich nun wirklich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
grafinger
Gast
Klar, den elitären Schöseln mit ihren sch*** guten Noten gehören an ihrem "Ehrentag" erst einmal ein paar verbale Ohrfeigen verabreicht, damit sie nie auf die Idee kommen, etwas Besseres zu sein als das staats- und wirtschaftstragende Unterschichtenprekariat.
Es kann ja wohl nicht sein, dass denen erzählt wird dass sich Leistung lohnt bzw. lohnen muss!
Diese Haltung erklärt dann wohl auch den Zustand des Landes Bremen (SCNR).
Josef
Gast
Dort wird gegen Hartzis gehetzt, in der taz wird gegen Macchiato-Eltern und Managern gehetzt...die taz sollte da mal ganz ruhig sein!