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Dem Himmel näher

■ Pastor Penzel beobachtete den Bombenangriff vom Kirchturm aus Wilhadikirche aus / Ein Augenzeugenbericht

Bei den letzten Angriffen war ich im Keller meines Hauses so durcheinandergeschüttelt worden, daß ich beschloß, meinen Standort künftig auf den Turm der Wilhadi–kirche zu verlegen. Ich dachte lächelnd: da oben stirbt es sich vieleicht doch etwas leichter, und der Himmel ist näher. (...)

Plötzlich sah ich über dem Hafen eine ungeheure schwarze Rauchwolke emporschießen, sah Fallschirme, Leuchtzeichen und lag schon an der Turmwand. Nun war alles Hölle! Um mich ein nicht zu beschreibendes Heulen, Orgeln, Branden und Brodeln. Die Flammenblitze der Bombenserien verlöschten immer wieder jäh im schwarzen Gewölk der Minen. Die eiserne Tür nach dem Kirchenschiff hin wurde herausgerissen. Die Flammen von der brennenden Kirche stießen nach mir. Det Turm schwankte. Manchmal ging es wie Seufzen und Stöhnen durch sein Gemäuer. Es schien, als würde er auseinandergerissen. Aber die nächste Bombenserie preßte alles wieder zusammen. Über mir wimmerte die Glocke. Zuweilen dachte ich, sie stürzte herab. Es war wirklich die Hölle. (...)

Neue Not, neuer Kampf warteten unten auf der Nordstraße auf mich. Ich war wohl zunächst noch etwas benommen,suchte mit meinen Blicken die fünfstöckigen Häuser der Kirche gegenüber und fand sie nicht mehr. Allmählich begriff ich, daß sie wegrasiert waren.

Mir bot sich ein unbeschreibliches Bild der Verwüstung. Oft stürzte ich. Einmal stützte ich mich dabei auf einen Stein, schnellte aber sofort wieder hoch. Der Stein glühte, und die Handfläche verwandelte sich in eine einzige große Brandblase.

Inzwischen hatte jener unheimliche Funkensturm eingesetzt, der so vielen zum Verhängnis geworden ist. Die Luft schien zu brennen. Das Atmen versagte, und das Herz begann so merkwürdig schwer sich zu wälzen. Da entdeckte ich eine Gosse am Straßenrand. Hier habe ich immer wieder einmal rettende Luft aus der „Unterwelt“ geatmet.

Zuletzt kauerte ich mich hinter eine Linde bei Karwegs Asyl, um etwas Schutz zu haben vor dem Funkenregen, der den Anzug in Brand setzte, Haar und Ohrläppchen versengte. Eine wehe Trauer befiel mich. Denn nun tauchten da und dort in Decken gehüllte Gestalten auf, die der Danziger Freiheit zuströmten. Ich schämte mich des Menschen. Ratten sind lästiges Ungeziefer. Aber sie werden human getötet. In diesem wahnsinnigen Kriege aber stießen sich die Menschen gegenseitig in die Höllen der Vernichtung.

Gegen Morgen konnte ich dann heimfinden in den Diakonissenhaus-Bunker. Es gab noch zwei Tage des Blindseins unter schlimmen Schmerzen. Unvergeßlich ist uns allen die erste Abendandacht auf der Bunkerzinne inmitten der rauchenden Trümmer und in Gegenwart der greisen, aber soldatisch tapferen, unvergessenen Oberin Sophie von Hadeln. Ich sprach damals das Wort aus 2.Kor.4,16: darum werden wir nicht müde, sondern, ob unser äußerlicher Mensch verdirbt, so wird doch der innerliche von Tag zu Tag erneuert.“

Pastor Penzels Bericht wurde erstmals abgedruckt 1954 in der Kirchenzeitung „Einkehr“

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