Dem Gino Ginelli sein Baby

■ Jubel, Trubel, Heiterkeit: Wertmüllers „Gianni, Ginetta und die anderen“zum ersten Mal auf deutsch im Schauspielhaus

Irene Kleinschmidt und die anderen wirken überrascht. Denn das Premierenpublikum im Bremer Schauspielhaus klatscht und tobt. Es trampelt mit den Füßen, verlangt Zugaben und ist gar so aus dem Häuschen wie sonst wohl nur die ZuschauerInnen bei „Rocky Horror“und „Spiels noch einmal Sam“in Bremerhaven. Die Schauspielerin Irene Kleinschmidt, die selbst die klitzekleinste Nebenfigur in ein Glanzlicht verwandeln kann, macht ein erschöpftes Das-hätte-ich-nicht-gedacht-Gesicht. Dann nehmen sie und die anderen da oben lächelnd und dankbar das Spektakel hier unten um uns herum zur Kenntnis. Und wir sagen voraus, daß auch Bremen jetzt sein Kultstück haben wird. Es heißt Gino Ginelli oder so ähnlich.

Lina Wertmüller hat es geschrieben. Ja, die mit den „Sette Bellezezze“, dem „Mimi, in seiner Ehre gekränkt“oder der „Liebe und Anarchie“. Mit der Theaterfassung des Letztgenannten eröffnete Andras Fricsay vor wohl zehn Jahren am selben Ort seine erste Schauspielsaison. Damals allerdings verblödelten Fricsay und Ensemble diese wunderbare Tragikomödie vom Bauern im Bordell zu einer strapseschwülen Chargenrevue. Bei Wertmüller zwei, der von Johanna Schall (ja, der Brecht-Enkelin) verantworteten deutschen Erstaufführung der Komödie „Gianni, Ginetta und die anderen“verhält es sich umgekehrt. Über eine Stunde lang kitzeln und dreschen die Schall, die Kleinschmidt und die anderen die scheinbar leere, scheinbar blöde Vorlage, daß die Pointen nur so sprühen und die Funken nur so fliegen. Schade nur, daß die pausenlose Inszenierung länger als eine Stunde währt.

Immerhin paßt die Geschichte in dreizehn Zeilen. Gianni, der in Film macht, betrügt seine Frau. Zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag. Sie, Ginetta, ist wütend. Und eifersüchtig. Und dadurch aphrodisiert. Also betrügt sie ihn. Mit seinen drei (!) besten Kumpels. Dann ist Ginetta schwanger. Und verrät nicht, von wem. Vier Männer, eine Frau und ein Baby: Das gibt Jubel, Trubel, Heiterkeit und eine Partnerschaft namens Quattrogamie.

Die Bühne (Volker Pfüller) ein Tetris-Spiel nach dem Angriff der Computerviren. Als hätte der Futurist Umberto Boccioni am Theater gerüttelt, sind die Wände, der Tisch, der Pfeiler, der Boden, die Decke so schief, daß die ganz normale Treppe rechter Hand wie ein Fremdkörper wirkt. Darunter sitzt und spielt mit Ulrich Bösking, Hans Christian Klüver und (kultig! Und als Arrangeur) Mark Scheibe livehaftig eine dreiköpfige Band, denn wir haben es mit einem Musical zu tun.

Der Udo-Lindenberg-Freund Hans P. Ströer hat dafür Songs und Musik geschrieben. Mittels Viola, E-Baß, Klavier oder Kornett bringen die drei Musikanten eine kunterbunte Musik zwischen 60er-Jahre-Schlager, KP-Kampflied, Rap und Ein-Akkord-Punk zu Gehör, wobei das erste, absteigende Hauptmotiv verdächtig an Joan Baez „Here's to you“erinnert und das zweite, aufsteigende verdächtig an einen Chanson von Milva – oder war es Hildegard Knef? Egal. „Denkpause?“„Ganz richtig, Denkpause.“„Was meinst du mit – Denken?“wortwechseln Ginetta (Irene Kleinschmidt) und Gianni (Dirk Plönissen), wenn sie nicht gerade singen. Überaus sangeskundig übrigens. Und immer schön ein bißchen neben der Spur.

Was ja zum Thema paßt. Denn irgendwo zwischen Werbespot-Parodie, Musik-Clip und Sesamstraße haben der schon als Bühnenarchitekt erwähnte Kostümbildner Volker Pfüller und die Regisseurin Johanna Schall ihre Inszenierung angesiedelt. Im ersten Teil bedient sich Pfüller bei den Fundi von Puff Daddy (für die Frauen) und Arturo Ui (für die mit Einhorn-Tolle po-madierten Männer); im zweiten bei Tiffy und Milupa XXL. Noch phantasievoller, um nicht zu sagen phantastisch, bringt Johanna Schall Leben in die schiefe, fast durchgängig von allen sechs Mitwirkenden bevölkerte Bude. Eingefallen sind ihr in der ersten guten Stunde Slapsticks in Slow motion und rasantem Tempo, pointierte Wortwechsel, derb-alberner Klamauk und Szenen von subtilem Witz. Und die AkteurInnen wirken dabei sichtbar gern mit. Irene Kleinschmidt ist sich erst für ein Liebchen nicht zu blöde, läßt ihre Figur dann hinter der Comedy leise beängstigend durch den Wortsalat stolpern, um schließlich zur Übermutter von vier echten und einem Plastik-Bubi zu mutieren. Dirk Plönissen singspielt so witzig wie überzeugend den dahinschmelzenden Macho an ihrer Seite. Und von den anderen (Katrin Heller, Carsten Andörfer, Thomas Ziesch) fällt ganz besonders Christoph Finger auf: So ein toller Tölpel war seit König Alfons dem Viertelvorzwölften nicht mehr auf einer Bühne zu sehen.

Doch! Aber! Aberdoch: Irgendwann kippt das Ganze um. Man vergnügt sich in der ersten Stunde und erinnert sich in der nicht ganz zweiten daran, was Denken ist. Spätestens mit Beginn der wohlgefälligen Quattrogamie, entpuppt sich Wertmüllers Stück trotz Musik, Spiel und Tanz als so Dario-Fo-haft platt, wie es ist. Und böse Zungen würden mal fragen, ob unser subventioniertes Stadttheater für so etwas subventioniert wird. Doch wie sagte Michael Schindhelm beim Bühnen-Begutachten im „Anstoß“-Auftrag? „Die meisten Bremer Theater machen Unterhaltungstheater.“Nur vom Theater am Goetheplatz werde erwartet, daß es das ganze Spektrum abdeckt. Na, wenn das so ist. Christoph Köster

Weitere Aufführungen: 19. / 29. März, 5., 15. und 17. April, 20 Uhr