Deklamier mir einen Rausch

TOUR DE LOSE Mit einem Hörspiel und einem Konzert feierte die Cottbusser Band Sandow in der Volksbühne ihr dreißigjähriges Jubiläum

Zu vermelden ist die Rückkehr des blasphemischen Rock: „Gott ist ein Bastard“, hallt es am Pfingstmontag durch das Große Haus des Castorf’schen Theaters. Der die Zeilen deklamiert, rollt mit den Augen und trägt dunkles Tuch; der ihn an der Gitarre begleitet, erscheint in die Farben der Anarchie gewandet: Anzug und Krawatte schwarz, Hemd und Armbinde rot: Kai-Uwe Kohlschmidt und Chris Hinze gründeten 1982 als Schüler die nach einem Stadtteil ihrer Heimatstadt Cottbus benannte Artpunk-Band Sandow. Das Gott lästernde Lied ist neueren Datums; es stammt von ihrem Album „Kiong – Gefährten der Liebe“ (2007). Vom Punk ist Sandow der Gestus geblieben, doch verweist ihre Musik auf mehr: Sandow wurden gerne (und nicht immer zu ihrem Vorteil) mit den Einstürzenden Neubauten verglichen. Deren Schlagwerker N.U. Unruh übernimmt einen Teil des Jubiläums. Sandow selbst spielen mit einer zerklüfteten, hart rockenden Wuchtigkeit. Ihr Volksbühnen-Konzert erinnert eher an eine andere große Dröhncombo mit Anspruch: Wie Michael Giras Swans (sie gastierten im Dezember 2010 am Rosa-Luxemburg-Platz) agieren Sandow mit zwei Drummern. Tilman Berg zeichnet für das rhythmische Grundgerüst verantwortlich; Lars Neugebauer interveniert an der Metallpercussion.

Unkonventionell generierte Sounds ziehen sich durch den ganzen Abend: Der Bassist Tilman Fürstenau spielt ebenso Cello; an einer Stelle singen zwei der Musiker in eine Snaredrum. Zum konsequenten Kunstwillen der Band gehört der Verweis auf die Literatur: „Betrunken sollst du sein“, fordert Kohlschmidt und bringt Charles Baudelaire ins Spiel.

Der Dandydichter

Sandow beteiligten sich (mit Jeanne Moreau, Tarwater und Tuxedomoon) an Kai Grehns Hörspiel „Die künstlichen Paradiese“ nach dem französischen Dandydichter. Sie arbeiten mit Videoprojektionen; der dafür verantwortliche Jo Fabian ist als festes Bandmitglied gelistet. Der Avantgarde-Maler Hans Scheuerecker, er entwarf für die Band Bühnenbilder und Plattencover, hält die Eröffnungsrede. Sie diente gewissermaßen als Einführung in die Kohlschmidt’sche Textwelt: Auffällig oft singt er von Rausch und Wüste. Er operiert mit großen Bildern und großen Gesten.

Kohlschmidt tut dies auch in seinem Hörspiel „Im Feuer“, das vor dem Konzert zur Aufführung kam. Das sperrige, doch mit Herzblut geschriebene Stück erzählt die Bandgeschichte von ihrer Gründung bis in die neunziger Jahre. Die gesamte Sandow-Familie tritt auf, mit ihr Kohlschmidts Ehefrau Momo. „Im Feuer“ präsentiert Sandow als zornige junge Männer mit Alkohol und Wut im Bauch. „Ihr trinkt alle zu viel“, meint eine der Bandmusen zu ihrem Gegenüber, um zur Antwort zu bekommen: „Darf ich dich trinken?“ Nicht mehr vom Trunk befeuert, sondern vom Suff zerfressen ist ein Kulturbürokrat der späten DDR. Er droht mit der Einziehung in die NVA und winkt mit einem FDJ-Fördervertrag. Sandow schlugen das Angebot übrigens aus.

Der zentrale Song des Hörspiels stammt von ihrem Debütalbum „Stationen einer Sucht“, „Tour de Lose“. In ihm heißt es: „Wohin soll denn die Reise geh’n/ Ich weiß es nicht und ich will’s nicht wissen.“ Man könnte diese 1990 noch bei Amiga erschienenen Zeilen als bitteren Kommentar auf Louis Fürnbergs FDJ-Hymne „Du hast ja ein Ziel vor den Augen“ lesen. „Tour de Lose“ wird einer der Höhepunkte des Konzerts. Kohlschmidt singt ihn im Duett mit dem Schauspieler Alexander Scheer: Er spielt auf „Im Feuer“ den Sandow-Sänger unter dem Alias Hendrik Kostschak. Auf der Bühne gibt Scheer Derwischvarianten von Iggy Pop. Kohlschmidt hingegen verabschiedet sich nach mehreren Zugaben, darunter Sandows missverständliches Spottlied „Born in the G.D.R.“, mit den Worten „Mehr weiß ich nicht“ und stolpert. Er hat den ganzen Abend Mineralwasser getrunken.

ROBERT MIESSNER

■ Sandow feat. Alexander Scheer: „Im Feuer“. Hörspiel (Major Label/Broken Silence), 78 Min.