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■ Dejan Janča, serbischer Professor für Völkerrecht, über den Vance-Owen-Plan für Bosnien und die Risiken für SerbienIn der Tradition von Danzig und Triest

Als Völkerrechtler beschäftigt sich Dejan Janča vor allem mit Fragen der Menschen- und Minderheitenrechte. Er lehrt an der Universität in Novi Sad, der Hauptstadt der Wojwodina, einer Region im Norden Serbiens, die – wie der vorwiegend albanisch besiedelte Kosovo im Süden – im alten Jugoslawien weitgehend autonom war, bis sie 1989 von Milošević gleichgeschaltet wurde. In der Wojwodina leben über ein Dutzend Völkerschaften: neben der serbischen Mehrheit, eine starke ungarische Minderheit, aber auch viele Kroaten, Slowaken, Rumänen, Ruthenen (Ukrainer) und Roma. Janča selbst ist Serbe, versteht sich aber eher als Jugoslawe, der sich nicht weiter zuordnen mag. Er ist Mitglied der oppositionellen Reformistischen Demokratischen Partei der Wojwodina und des „Belgrader Kreises“, einer Gruppierung oppositioneller Intellektueller.

taz: Der Zagreber Philosoph Žarko Puhovski ...

Dejan Janča: ... Ich kenne ihn, wir haben zusammen ja einen oppositionellen Kreis gegründet, die „Demokratische Initiative Jugoslawiens“, noch bevor es gestattet war, in Jugoslawien oppositionelle Parteien zu gründen.

Puhovski hat in einem taz-Streitgespräch (siehe taz vom 20.2.93) gesagt, der Vance-Owen- Plan für Bosnien-Herzegowina, der die Aufteilung der Republik in zehn weitgehend autonome Provinzen vorsieht, drei serbische, drei kroatische, drei muslimische und eine gemischte um Sarajevo, bedeute, daß man statt eines Bosnien zehn Bosnien haben werde, eine Lösung des Konflikts also noch schwieriger werde. Stimmen Sie dieser These zu, oder halten Sie den Vance-Owen-Plan für einen Schritt in die richtige Richtung?

Nein, da bin ich anderer Ansicht als mein Freund Puhovski. Ich halte den Vance-Owen-Plan für ziemlich gut. Schon bevor es ihn gab, habe ich für eine internationale Verwaltung in den vom Krieg betroffenen Gebieten plädiert.

... wie Puhovski ja auch.

Ja, in diesem Punkt sind wir uns einig. Nur dies ermöglicht eine Rückkehr der Flüchtlinge, das Zusammenleben der verschiedenen Völker und schließlich den Aufbau einer normalen Gesellschaft. Diese internationale Verwaltung, eine neutrale Macht also, müßte für 10 bis 15 Jahre eingesetzt werden. Es gibt im übrigen ja auch historische Vorläufer, was eine internationale Verwaltung betrifft: Saargebiet, Danzig, Triest. Der Vance-Owen-Plan sieht ja einen starken internationalen Einfluß vor, dem Staatspräsidium selbst sollen zwei UNO-Kommissare angehören.

Aber der Vance-Owen-Plan bedeutet auch Abschied von der Idee einer multikonfessionellen Dreivölkerrepublik, Entwicklung hin zu einem Staat, der nach „ethnischen“ Kriterien aufgebaut ist.

Es wird keine ethnisch reinen Gebiete geben.

Aber eben doch serbische, kroatische und muslimische Provinzen.

Das ethnische Kriterium ist nur eines unter anderen.

Aber offenbar das entscheidende. Sonst gäbe es ja nicht die Konflikte um die Grenzziehung. Sonst wäre der Vance-Owen-Plan doch längst unterzeichnet.

Wenn die Flüchtlinge wieder zurückkehren, wird sich dieser ethnische Charakter der Provinzen wieder etwas auflösen. Eine Rückkehr setzt allerdings eine Verwaltung unter internationaler Kontrolle und einen internationalen Einfluß voraus.

Wie soll – nach all dem, was geschehen ist – eine muslimische Familie in ihren Ort in Nordbosnien zurück, der dann in einer serbischen Provinz liegt. Oder sollen die kroatischen Flüchtlinge in kroatischen Provinzen, die Muslime in muslimischen und die Serben in serbischen angesiedelt werden?

Nein, die Flüchtlinge haben ein Recht, in ihre angestammten Orte zurückzukehren. Um ihre Sicherheit zu garantieren, brauchen wir eine internationale Verwaltung. Nehmen wir das Beispiel Triest. Da wurde der Gouverneur vom UN-Sicherheitsrat ernannt. Er konnte alle Maßnahmen, die dem Statut des Freistaats zuwiderliefen, verbieten. Da hatte also in einem Gebiet, das zwischen Italien und Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg umstritten war, der UN- Sicherheitsrat große Befugnisse. In Bosnien-Herzegowina müßte morgen in Polizei, Justiz und Verwaltung UNO-Beamte mitwirken. Die UNO müßte da überall – möglicherweise auch im Parlament – ein Teil des staatlichen Organismus sein. Auch im Staatspräsidium sollen ja neben drei Muslimen, drei Serben und drei Kroaten dann zwei UNO-Kommissare quasi als Schiedsrichter sitzen.

In der Krajina, einem zum großen Teil serbisch besiedelten Gebiet Kroatiens, sind UNO-Truppen seit einem Jahr stationiert. Doch die serbischen Freischärler wurden dort nicht entwaffnet, und die vertriebenen Kroaten sind nicht in ihre Dörfer zurückgekehrt.

Die UNO kennt das peace-keeping, Operationen also, die den Frieden bewahren, und das peace- making, Operationen, die den Frieden herbeiführen. Die UNO hat also die Möglichkeit. Es muß in Bosnien-Herzegowina zur Entwaffnung und zur Demilitarisierung kommen und zur Einführung einer normalen Verwaltung.

Aber der Vance-Owen-Plan sieht ja Streitkräfte als Organe der autonomen Provinzen gerade vor.

Das sollen Polizeitruppen zur Herstellung von Ordnung und Sicherheit sein, keine konventionellen Militäreinheiten. Aber da muß der Plan auf jeden Fall noch nachgebessert werden und die internationale Kontrolle sichergestellt werden.

Wer soll eigentlich verhindern, daß die weitgehend autonomen serbischen und kroatischen Provinzen sich – unter Bruch der künftigen Verfassung – über den Weg von Volksreferenden den Mutterländern Serbien und Kroatien anschließen?

Nach einer längeren Übergangsperiode einer internationalen Verwaltung wird sich der Wunsch nach Anschluß wahrscheinlich abschwächen. Im übrigen ist ja Bosnien-Herzegowina ein international anerkannter Staat. Die Vereinten Nationen werden ein Interesse haben, daß er nicht auseinanderbricht.

Das hatten sie vor zwei Jahren im Fall des jugoslawischen Staatsverbandes auch.

Es gibt sicherlich besondere Situationen, in denen eine Nation ihr Selbstbestimmungsrecht durch eine Sezession realisiert. Doch ist das nicht der normale Weg in einer Zeit, wo die Nationalstaaten an Bedeutung verlieren, die Grenzen offener werden. In Bosnien-Herzegowina haben die drei Völker sehr lange gut zusammengelebt.

Die UNO-Charta spricht ja vom Selbstbestimmungsrecht der Völker. Wer hat denn im konkreten Fall dieses Recht: die Einwohner Bosnien-Herzegowinas? Die bosnischen Serben? Die herzegowinischen Kroaten, die den Anschluß an Kroatien möchten?

Faktisch haben im jugoslawischen Fall die einzelnen Republiken, Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina usw., über Referenden dieses Selbstbestimmungsrecht ausgeübt. Das Recht auf Selbstbestimmung wird aber oft verkürzt als Recht auf Sezession interpretiert. Es ist aber zunächst vor allem das Recht der Einwohner eines Gebietes zu entscheiden, in welcher Art sie ihr Zusammenleben organisieren, auf welche Weise der politische Wille der Bürger seinen Ausdruck finden soll, wie die Minderheit sich als Teil dieser Gemeinschaft verstehen kann. Sezession kann nur die Ausnahme sein, und sie muß friedlich geregelt werden.

Wäre Kosovo vielleicht eine solche Ausnahme? Dort leben 90 Prozent Albaner, und aufgrund der harten Repression wollen sie aus Serbien aussteigen?

Wir müssen mit den Kosovo-Albanern Gespräche führen, und im äußersten Fall müßte man ihnen einen eigenen Staat zugestehen. Ich würde eine Autonomie für den Kosovo einführen.

Die gab es ja, bis Milošević die Provinz gleichgeschaltet hat.

Ich gebe zu: Solange es diese Repression gibt, gibt es keinen Ausweg. Serbien muß ein demokratischer Staat werden. In einem totalitären System gibt es keine Lösung für die Probleme der Minderheiten, und auch nicht für die der Mehrheit.

Soll die internationale Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina militärisch intervenieren? Soll sie das Embargo verschärfen?

Eine begrenzte Intervention, nicht um den Konflikt zu lösen, sondern mit einem ganz praktischen Ziel, etwa einer belagerten Stadt wie Sarajevo zu versorgen, könnte vernünftig sein. Intervention und eine Verschärfung der Sanktionen stärken aber immer auch die antidemokratischen Parteien in Serbien. Das Volk erlebt sich als Opfer der Welt und orientiert sich dann hin zu autoritären Parteien wie der Radikalen Partei von Šešelj (rechtsradikal, inzwischen zweitstärkste Partei und an der Regierung in Belgrad beteiligt). Was ein Ende des Krieges in Bosnien-Herzegowina herbeiführen kann, erhöht so gleichzeitig das Risiko eines Bürgerkriegs in Serbien.

Soll man das Risiko eingehen?

Ja, das wichtigste ist, den Krieg zu beenden. Interview: Thomas Schmid

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