piwik no script img

Deee-Lite

■ Bubbledancefloorsesamestreetgangparty

Die Frage, warum Diskothekenmusik in der BRD einen schlechten Ruf genossen hat, läßt sich leicht mit einem Verweis auf die Zeit um 1975 herum beantworten. Samstag, »Musikladen«-Zeit, irgendwo in einer Bremer Vorortholzverschlagscheunenabschlappdisco. Manfred Sexauer [Schon schön bezeichnend, wenn jemand mit solch einem Namen Karriere im TV macht. d.s.] grinst erfolgsdämelbreit, Uschi Nerke hängt hoffnungslos alten GoGo-Zeiten hinterher, Insterburg & Co. brillieren unterhalb der Gürtellinie, das Publikum erweist sich als doof im Dauertest.

Als letzte Lockung: Hupfdohlen auf der Showbühne. Billigimitate Chicagoer Ghettoprovenienz heiser, kieksen, keifen und hauchen miese Gesangslinien über verholperte Drecksrhythmen. Nichts stimmt. Dafür wacklen die Bühnenkatastrophen mit dem Arsch und/oder Titten, daß es eine Freude für die Besoffenen an den gedeckten Tischen ist. »Und die siegreiche Mannschaft vom SV Werder ist auch gekommen. Hallo, Jungs«, grient Sexauer. Alles freut sich über den Sieg, lacht und fordert nach mehr Arsch und/oder Titten. Abschalten.

So oder ähnlich ist wohl damals die in aller Welt blühende Tanzkultur den deutschn am Arsch vorbeigegangen. Doch der kelch trat wieder an sie heran. Seit vielleicht zwei zukunftsträchtigen Jahren scheint sich selbst der/die Deutsche an Körperkultur zu gewöhnen. Von zaghaften Jazztanzanfängeretagenkursen bis zur perfekt durchtanzten Ecstasy-Acid-House-Nacht war es nur ein kleiner Schritt.

Natürlich gibt es immer noch Totalausfälle. Das Enigma-DeSade-kann-man-tanzen-Gesabber ist ein einziger Schmerz unter der Schuhsohle. Aber gerade jetzt, hier und heute lebt: Clubland. Mit Deee-Lite hat das Volk im Quartier den kleinsten gemeinsamen Konsensschritt ins Glück zu vollziehen. Bubbledancefloorsesamestreetgangpartyfreudenwerdenwahrfantasyfummelsound für alle, die endgültig nicht mehr zu Hause bleiben wollen.

Weltkultur, »World Clique«: ein Russe, ein Japaner, eine Diva. Technoweirdness in Form eines existentialistischen tokyogetriggerten Sony-Klons trifft auf wodkagetränkte ukrainische Urgrooves, die selbst HipHop sehnsuchtsvoll gestalten, wenn DJ Dimitri alte Soulplatten daruntermischt. Kier Kirby heißt die Dame, frühstückt bei Tiffany, ist zwar nicht so schlank wie Miss Hepburn, tanzt und singt und überhauptet aber alles andere besser, schöner, schneller, daß es nur so gefällt.

Gell, das ist es: Rumbarassel, schikaschika, bumbum, Salsagurke, rikitiki, ein bißchen Basslauf hoch und runter, dann ratterratter und jetzt alle: »Groove Is In The Heart«. Das kennt jede/r, ob in Tanzschuppen oder MTV-Wohnwelten, es war schön. Heute kommt der Rest vom Tanzbüfett. Für eine bessere Welt. Tanz mal wieder. Harald Fricke

Um 21 Uhr im Quartier

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen