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DebatteAuferstehen aus Ruinen

Was tun gegen die AfD? Verbieten? Für ernstgemeinten Antifaschismus gebe es Wichtigeres zu tun, als Forderungen an jene Regierung zu formulieren, auf deren Mist der braune Mob gewachsen ist, meint unser Autor, Fotograf und Aktivist. Ein Kommentar.

Demonstrierende am 20. Januar in Stuttgart: Auf der Straße hat die AfD gerade wenig Anhänger:innen. Foto: Joachim E. Röttgers

Von Chris Grodotzki

Wieder einmal ist Deutschland „bunt statt braun“ und voller Lichterketten. Journalist:innen der Rechercheplattform „Correctiv“ hatten am 10. Januar ein Geheimtreffen aufgedeckt, auf dem Vertreter:innen der AfD und der CDU sich mit führenden Neonazis und Unternehmern trafen. Ihr Thema: Ein „Masterplan“, um Menschen nicht-deutscher Herkunft nach ihrer Machtergreifung „endlich im großen Stil abzuschieben“. Neonazi Martin Sellner schwadronierte auf dem Geheimtreffen davon, „die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“ und meint damit auch noch die, die deutsche Pässe haben.

„Ich bin echt überrascht, dass Menschen in Deutschland überrascht sind, dass Faschisten faschistische Dinge planen“, wundert sich Tareq Alaows, der aus Syrien geflohene flüchtlingspolitische Sprecher von ProAsyl, der am Sonntag auch die Großdemonstration in Berlin moderierte. Und in der Tat hätte es keine Investigativ-Recherche gebraucht, um die Inhalte dieses Treffens ans Tageslicht zu fördern: Bereits in einem 2018 erschienenen Gesprächsband hatte AfD-Führer Björn Höcke ein „großangelegtes Remigrationsprojekt“ unter Zuhilfenahme „wohltemperierter Grausamkeit“ herbeifantasiert. Überraschend ist aber nicht nur die Empörung, sondern auch die Zusammensetzung der Proteste: Bereits am Montag nach der Veröffentlichung gab sich ausgerechnet Abschiebekanzler Olaf Scholz auf der Großdemonstration des Bündnisses „Potsdam bekennt Farbe“ die Ehre. Begleitet wurde er von Annalena Baerbock, die zuletzt die migrationsfeindliche Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) gegen ihre eigene Basis durchregiert hatte, und von Jan Redmann, dem Fraktionschef der CDU Brandenburg, der noch kurz zuvor einen Vizeposten für die AfD im Präsidium des Bundestages gefordert hatte.

Keine Einheitsfront gegen rechts

(Post-)Migrantische Gesichter und Organisationen sind indes auf den Demos spärlich gesät. Vielleicht, weil es sich zwischen SPD und Grünen derzeit nicht gut demonstrieren lässt, nur wenige Tage nachdem diese ein weiteres Gesetz „zur Verbesserung der Rückführung“ unerwünschter Ausländer:innen beschlossen haben. Vielleicht, weil sich die Rhetorik der jüngsten Protest-Aufrufe mehr um unsere Demokratie zu Sorgen scheint als um die Menschen, die konkret vom „Masterplan“ der Faschist:innen betroffen wären. Meine arabisch-deutschen Freund:innen fühlen sich jedenfalls nicht erst seit dem 10. Januar – und nicht nur von der AfD – in ihren Grundrechten und Freiheiten bedroht.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Massenproteste sind richtig und wichtig. Und auch das auf der Reichstagswiese allgegenwärtig geforderte AfD-Verbot hat seinen Charme. Doch es wird mehr brauchen als Lichterketten und Verbotsforderungen an die Regierung, um den rechten Durchmarsch aufzuhalten. Bereits 2018 hatten im Rahmen von „Unteilbar“, Seebrücke und „Wir sind mehr!“ Hunderttausende gegen den europäischen Rechtsruck protestiert. Damals war die AfD gerade mit 12,6 Prozent in den Bundestag eingezogen. Noch etwas früher, im Januar 2017, war das zweite Verbotsverfahren gegen die (mittlerweile in Irrelevanz versunkene) NPD vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. „Der bürgerliche Staat und seine Institutionen, an welche wir mit einem Verbotsverfahren zwangsläufig appellieren, ist Komplize – mindestens in der Verschleierung des rechten Terrors“, kritisiert der Berliner Linkspartei-Abgeordnete Ferat Koçak, der selbst Anfang 2018 zum Opfer eines rechtsradikalen Brandanschlages geworden war, weil die Behörden ihn und seine Familie nicht gewarnt hatten. Darüber hinaus sei die soziale Ungleichheit, als Produkt der neoliberalen Politik der bürgerlichen Parteien, der fruchtbare Nährboden des Rechtsrucks, so Koçak. „Diese Ursachen werden nun mal nicht einfach mitverboten.“

Und es stimmt: Jahrzehntelang haben CDU, FDP, SPD und Grüne gemeinsam eine Politik der neoliberalen Alternativlosigkeit durchgesetzt, auf der die Alternative für Deutschland erst gedeihen konnte. Nun füttern sie den rechten Migrationsdiskurs und wundern sich, dass dieser sich mit jedem Rückführungsverbesserungsgesetz gleichzeitig weiter normalisiert und radikalisiert. „Um den Faschismus zu bekämpfen, brauchen wir keine gemeinsame Front mit bürgerlichen Parteien, die den größten Abschiebeknast Europas bauen“, konstatiert daher auch die Politikwissenschaftlerin und Migrantifa-Aktivistin Simin Jawabreh. „Was wir brauchen, ist eine Einheitsfront unter Linken [...] und zwar als Kontrahentin zum Staat und den regierenden Parteien – nicht zusammen mit ihnen.“

Seit meiner frühesten Jugend musste ich mich mit Nazis auseinandersetzen. Aufgrund meiner bunten Klamotten und meines punkigen Haarschnitts belagerten mich die Haus- und Hof-Glatzen unserer schwäbischen Arbeiter:innen-Siedlung bereits auf dem Schulweg. Als Antwort wählte ich als meine erste politische Tätigkeit das Blockieren von Naziaufmärschen. Jahre später, als Sprecher einer zivilen Seenotrettungsorganisation, durfte ich Kapitän:innen und Crew der Sea-Watch 3 in der Öffentlichkeit gegen die Anfeindungen eines faschistischen italienischen Innenministers verteidigen, während meine Kolleg:innen Girlanden aus rechten Hass-Postkarten bastelten. (Auch Masterplaner Martin Sellner war zwischenzeitlich auf dem Mittelmeer unterwegs, um uns Seenotretter:innen zu blockieren.) Die gesellschaftliche Rechte ist in all den Jahren stärker und radikaler geworden. Die Mitte war nie ein geeignetes Bollwerk gegen den Faschismus, denn die Mitte ist keine feste Position. Sie ist die vermeintliche Äquidistanz zwischen zwei Polen. Rückt das politische Spektrum nach rechts, rückt die Mitte mit. Was also fehlt, ist ein linkes Gegengewicht: eine Alternative zur „Alternative“, die den wahnhaften Kulturkämpfen der Rechten ein radikal-realistisches Programm sozialer Gerechtigkeit entgegenstellt.

Sich organisieren gegen den Rechtsruck

Einer der ersten Schritte zur Rekonstruktion dieser Gegenmacht muss sein, die Linkspartei wieder aufzubauen. Ich kann als jahrzehntelanger außerparlamentarischer Aktivist und Parteienkritiker selbst noch nicht so recht glauben, dass ich das sage. Doch mit dem Abgang des Wagenknecht-Lagers tut sich eine historische Chance auf, die einzige Partei zu retten, die den Abgehängten und Enttäuschten ein Angebot zu machen hat. Nicht erst seit den jüngsten Ampel-Entscheidungen zur Verschärfung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und zur „Verbesserung der Rückführung“ ist Die Linke außerdem die einzige Partei im Bundestag, die noch glaubhaft für sich beanspruchen kann, unsere Mitmenschen mit Migrationsgeschichte zu verteidigen. Nicht zuletzt deshalb bin ich im November mit über 400 Aktiven aus verschiedensten sozialen Bewegungen in die Partei eingetreten. Die Zeit, sich die Hände nicht schmutzig zu machen, ist vorbei, sagte mir damals eine Freundin, die schon einmal in ihrem Leben aus einem Land fliehen musste. Dieser Tage sind wir zusammen in Brandenburg unterwegs und bringen Aktivist:innen aus der Stadt mit ländlichen Wohnprojekten und solidarischen Landwirtschaftsbetrieben sowie lokalen Linkspartei-Strukturen zusammen.

Einer von 6.000 Demonstrierenden am 21. Januar in Herrenberg. Foto: Kontext

Denn die große Gegenmacht fängt ganz klein an: mit Menschen, die sich kennenlernen und gemeinsam überlegen, wie man der Hegemonie der AfD auf den Dörfern in den anstehenden Wahlkämpfen zumindest ein anderes Plakat entgegensetzen kann. In vielen Landkreisen Sachsens und Brandenburgs wird schon lange nicht mehr um Inhalte gerungen. Die bürgerlichen Parteien haben die Peripherie abgeschrieben, viele Mitglieder linker Ortsverbände sind zu alt, um überhaupt noch auf Leitern zu steigen. So bleibt die AfD, wie uns überall berichtet wird, oft die einzige Partei, die im Wahlkampf überhaupt vor Ort präsent ist. Wo es keine sichtbare Alternative gibt und die Abwesenheit des demokratischen Spektrums das Gefühl des Abgehängtseins dick und blau unterstreicht, da ist „wählt nicht rechts“ leicht gesagt. Von diesem Tiefpunkt bis zum radikal-realistischen Programm sozialer Gerechtigkeit ist noch einiges an Aufbauarbeit zu leisten. Auferstehen aus Ruinen, sozusagen. Hoffnungsfroher als das rechtslastige „Weiter so!“ der Regierungsparteien ist es aber allemal.

Ergänzende Strategien – wir haben nicht den Luxus, uns auf eine verlassen zu können – lägen in der Unterstützung gewerkschaftlicher Auseinandersetzungen und ihrer Verflechtung mit Kämpfen um Klimagerechtigkeit. In Kooperationen wie #WirFahrenZusammen von Fridays for Future und ver.di im Kampf um den öffentlichen Nahverkehr liegt das Potenzial, eigene Themen zu setzen: Es gibt in diesem Land gesellschaftliche Mehrheiten für Klimaschutz, für die Besteuerung von Reichen, ja, sogar für die Enteignung großer Konzerne im Sinne des Allgemeinwohls. Wo diese – wirklich wichtigen und im Kern linken – Themen diskutiert oder sogar umgesetzt werden, da nehmen sie den Kulturkämpfern der AfD den Wind aus den Segeln.

Fest steht: Es wird Zeit, sich zu organisieren. Der Rechtsruck hält sich nicht von alleine auf. Großdemos und selbst ein AfD-Verbot werden die Faschisierung der Gesellschaft bestenfalls verlangsamen – solange es kein dezidiert linkes Gegenprojekt gibt.

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