Jeder Abschnitt eine Lüge
zu einem Artikel v. Philipp Gessler taz 2.7.2007
Ob eine Glaubensgemeinschaft auf dem Boden der Verfassung steht, ist zuerst aus ihrem Grundsatzdokument ersichtlich ? bei Schriftreligionen ist es deren ?heilige? Schrift. Und da gibt es zahlreiche Beweise in der Bibel, dass es bei Christens nicht so ist. Warum sollen danach noch immer z. B. Schwule und Lesben, widerspenstige Söhne usw. gesteinigt werden? Warum gibt der Christengott, so er denn existiert, dem Gläubigen ?..Macht über die Heiden. Er wird über sie herrschen mit eisernem Zepter und sie zerschlagen wie Tongeschirr?(Offb.) Warum halten die Christen an Psalm 14 fest, der den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt - angesichts der Tatsache, dass 30% der Gesellschaft mit einem Gottesglauben nichts zu tun haben wollen? Die praktische Relevanz dieser Ideologie hat uns 2003 der Katholik M. Hohmann in seiner berüchtigten Rede vorgeführt. ?Mit Fug und Recht aber kann man sagen, die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien sind das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts.? Das dramatische an dieser Rede war nicht die Meinung des Hohmann, sondern, dass er mit solchen Worten Stimmen für einen Gottesbezug in der EU-Verfassung gewinnen wollte ? also auf eine gewisse Zustimmung setzen konnte. Wenn nun die meisten Christen nach Jahrhunderten eines anderen Tuns heute sich als Demokraten betätigen, liegt das nicht am ?verbesserten? Christentum, sondern daran, dass die meisten Christen nur noch glauben, sie seien Christen ? glauben bis zu einem gewissen Punkt, und nicht weiter ? zu unser aller Glück! Aber macht es qualitativ tatsächlich einen Unterschied ob ein Imam wünscht, die Scharia möge über dem Grundgesetz stehen, oder ein Theologe verkündet, der Gläubige müsse Gott mehr folgen als den Menschen?
Die Identität der Kirche, die der Autor und studierte Theologe vorgibt, zu kennen, lässt sich auch zu Gleichberechtigung, Religionsfreiheit, Sexualmoral an der Bibel und im Alltag verfolgen. Der alte Herr Ratzinger in Rom ist da nur die Spitze eines Eisberges. Die Bemühungen von ( feministischen?) Protestanten, eine ?Bibel in gerechter Sprache? zu schaffen, beweist auch für die ev. Kirche, dass zwischen Kirchen und Kirchenvolk eine tiefe Kluft existiert. Oder man nehme die Tatsache, dass ein ev. Pfarrer strafversetzt wird, weil seine Ehe geschieden wird? Wenn also die Kirchen sich nun für humanistische Ziele stark machen, ohne sich in genau diesen Fragen reformieren zu wollen, muss der Verdacht aufkommen, dass es tatsächlich aus Eigennutz geschieht. Oder so: ?Was siehst du aber einen Splitter in deines Bruders Auge, und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt stille, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuvor den Balken aus deinem Auge und siehe dann zu, daß du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest!?(Luk.6.41,42)
Treue zum Grundgesetz: Ich habe den Verdacht, an keiner Stelle wird in Deutschland schon so lange das Grundgesetz mit Füßen getreten, wie im Bereich der Trennung von Kirche und Staat. Ob ich an das Hitlerkonkordat von 1933 denke, das damals nur durch Ausschaltung der Demokratie zustande kam und noch heute gültig ist, oder an das Finanzieren von kirchlichen Aktivitäten, wie Militärseelsorge, Anstaltsseelsorge, welche vom Grundgesetz wohl zuzulassen, nicht aber durch den Staat auch noch zu finanzieren sind. Dazu zählt ebenso die staatliche Subventionierung durch diverse Steuervergünstigungen. Soweit zu den für den Autor wohl eher unwichtigen Spielregeln dieser Gesellschaft, denn er vergaß, sie zu nennen.
Wer weiß, wie in Deutschland Kirchenmitgliedschaft entsteht, ist angehalten, an den Zahlen von Kirchenmitgliedern zu zweifeln. Noch dazu, wenn er die wenigen Prozent Gottesdienstbesucher sieht. So verwundert auch nicht eine Zahl von Emnid aus 1997: Nur 17,3 % sahen damals in einem Gott ein persönliches Gegenüber ? also das christliche Gottesbild.
Auch das Konstrukt des Ethikunterrichts als Wahl-Pflicht-Fach ist letztendlich eine Zwangsmaßnahme und nichts freiwilliges, wie uns der Autor weismachen will. Wer nicht in freiwilligen Religionsunterricht will, der muss in Ethik. Bei der Einführung dieser Regelung in der alten BRD nahmen daraufhin tatsächlich die Reli-Abmeldungen ab. Die Kinder, die während Reli frei hatten, mussten jetzt an einem ?Ersatz?-Unterricht teilnehmen. So ist auch der Aufschrei der Berliner Kirchen zu verstehen, als das Land vor kurzem seinen Werteunterricht für alle zur Pflicht machte und damit die Schüler wieder selbst entscheiden ließ: Religionsunterricht oder Freizeit. Stell dir vor, es ist Glaube ? und keiner geht hin.
Den Moslems verdanken wir übrigens, allerdings ohne ihr bewusstes Zutun, viel. Es wird wieder über Sinn und Unsinn von Religion öffentlich diskutiert. Aus den Debattierzirkeln der ?Gebildeten? hat die intellektuelle Auseinandersetzung mit Religion den Weg auf die Marktplätze gefunden. Die Deutungspraxis christlicher Theologen wird auf die Vernunftebene gezwungen. Wir sind wieder dort, wo wir vor rund 2000 Jahren aufgehört ?wurden?.
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