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DebatteEnde des Kuscheldialogs

Kommentar von Philipp Gessler

Die Privilegien der Kirchen müssten weg, war kürzlich hier zu lesen. Das ist nicht die Lösung: Der Islam muss sich ändern, um gleiche Rechte zu bekommen. Eine Gegenrede

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6 Kommentare

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  • GV
    Gereon Vogel-Sedlmayr

    Seit der Aufklärung gibt es zumindest in der deutschen evangelischen Kirche keinen Pfarrer mehr, der sich nicht im Rahmen seines Studiums sowohl mit allgemeiner Religionskritik als auch mit dem kritischen Umgang mit den eigenen Quellen befassen musste. Selbst wenn manche der angehenden Geistlichen das als eine lästige Pflichtübung oder sogar als Bedrohung für ihren persönlichen Glauben empfunden haben, hat das insgesamt den hiesigen Protestantismus geprägt. Schön, wenn wie in dem Kommentar die positiven Wirkungen dieser geistigen Tradition auch einmal gewürdigt werden.

  • R
    rom

    Guter geschriebener Artikel, nur verkennt der Verfasser, dass der Islam nicht einfach so veränderbar ist, wie zB das Christentum.Diese Polit-Religion besteht seit 1400 Jahren, und hat sich eigentlich wenig verändert, wenn man von einigen moderaten Abspaltungen einmal absieht.

    Um es auf den Punkt zu bringen, ein Islam der sich so weit ändern würde, dass er 100% verfassungs-und demokratiekonform wäre, wäre eben kein Islam mehr.

    Denn dann müsste er:

    1) andere Religionen akzeptieren;

    2) Frauen den Männern als gleichwertig ansehen;

    3)das Recht des Einzelnen nicht religiös oder schwul zu sein;

    4)die Trennung von Kirche und Staat akzeptieren; usw.

    Würde der Islam diese Dinge akzeptieren, wäre es alles nur nicht mehr das was Mohammed vor 1400 Jahren dekretierte.

    Es kann nur eine Lösung geben: die Einwanderungen von Muslimen strikt zu begrenzen! Eine andere sehe ich leider nicht!rom

  • EW
    Eberhard Wetzig

    Jeder Abschnitt eine Lüge

    zu einem Artikel v. Philipp Gessler taz 2.7.2007

     

     

    Ob eine Glaubensgemeinschaft auf dem Boden der Verfassung steht, ist zuerst aus ihrem Grundsatzdokument ersichtlich ? bei Schriftreligionen ist es deren ?heilige? Schrift. Und da gibt es zahlreiche Beweise in der Bibel, dass es bei Christens nicht so ist. Warum sollen danach noch immer z. B. Schwule und Lesben, widerspenstige Söhne usw. gesteinigt werden? Warum gibt der Christengott, so er denn existiert, dem Gläubigen ?..Macht über die Heiden. Er wird über sie herrschen mit eisernem Zepter und sie zerschlagen wie Tongeschirr?(Offb.) Warum halten die Christen an Psalm 14 fest, der den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt - angesichts der Tatsache, dass 30% der Gesellschaft mit einem Gottesglauben nichts zu tun haben wollen? Die praktische Relevanz dieser Ideologie hat uns 2003 der Katholik M. Hohmann in seiner berüchtigten Rede vorgeführt. ?Mit Fug und Recht aber kann man sagen, die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien sind das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts.? Das dramatische an dieser Rede war nicht die Meinung des Hohmann, sondern, dass er mit solchen Worten Stimmen für einen Gottesbezug in der EU-Verfassung gewinnen wollte ? also auf eine gewisse Zustimmung setzen konnte. Wenn nun die meisten Christen nach Jahrhunderten eines anderen Tuns heute sich als Demokraten betätigen, liegt das nicht am ?verbesserten? Christentum, sondern daran, dass die meisten Christen nur noch glauben, sie seien Christen ? glauben bis zu einem gewissen Punkt, und nicht weiter ? zu unser aller Glück! Aber macht es qualitativ tatsächlich einen Unterschied ob ein Imam wünscht, die Scharia möge über dem Grundgesetz stehen, oder ein Theologe verkündet, der Gläubige müsse Gott mehr folgen als den Menschen?

    Die Identität der Kirche, die der Autor und studierte Theologe vorgibt, zu kennen, lässt sich auch zu Gleichberechtigung, Religionsfreiheit, Sexualmoral an der Bibel und im Alltag verfolgen. Der alte Herr Ratzinger in Rom ist da nur die Spitze eines Eisberges. Die Bemühungen von ( feministischen?) Protestanten, eine ?Bibel in gerechter Sprache? zu schaffen, beweist auch für die ev. Kirche, dass zwischen Kirchen und Kirchenvolk eine tiefe Kluft existiert. Oder man nehme die Tatsache, dass ein ev. Pfarrer strafversetzt wird, weil seine Ehe geschieden wird? Wenn also die Kirchen sich nun für humanistische Ziele stark machen, ohne sich in genau diesen Fragen reformieren zu wollen, muss der Verdacht aufkommen, dass es tatsächlich aus Eigennutz geschieht. Oder so: ?Was siehst du aber einen Splitter in deines Bruders Auge, und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt stille, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuvor den Balken aus deinem Auge und siehe dann zu, daß du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest!?(Luk.6.41,42)

    Treue zum Grundgesetz: Ich habe den Verdacht, an keiner Stelle wird in Deutschland schon so lange das Grundgesetz mit Füßen getreten, wie im Bereich der Trennung von Kirche und Staat. Ob ich an das Hitlerkonkordat von 1933 denke, das damals nur durch Ausschaltung der Demokratie zustande kam und noch heute gültig ist, oder an das Finanzieren von kirchlichen Aktivitäten, wie Militärseelsorge, Anstaltsseelsorge, welche vom Grundgesetz wohl zuzulassen, nicht aber durch den Staat auch noch zu finanzieren sind. Dazu zählt ebenso die staatliche Subventionierung durch diverse Steuervergünstigungen. Soweit zu den für den Autor wohl eher unwichtigen Spielregeln dieser Gesellschaft, denn er vergaß, sie zu nennen.

     

    Wer weiß, wie in Deutschland Kirchenmitgliedschaft entsteht, ist angehalten, an den Zahlen von Kirchenmitgliedern zu zweifeln. Noch dazu, wenn er die wenigen Prozent Gottesdienstbesucher sieht. So verwundert auch nicht eine Zahl von Emnid aus 1997: Nur 17,3 % sahen damals in einem Gott ein persönliches Gegenüber ? also das christliche Gottesbild.

     

    Auch das Konstrukt des Ethikunterrichts als Wahl-Pflicht-Fach ist letztendlich eine Zwangsmaßnahme und nichts freiwilliges, wie uns der Autor weismachen will. Wer nicht in freiwilligen Religionsunterricht will, der muss in Ethik. Bei der Einführung dieser Regelung in der alten BRD nahmen daraufhin tatsächlich die Reli-Abmeldungen ab. Die Kinder, die während Reli frei hatten, mussten jetzt an einem ?Ersatz?-Unterricht teilnehmen. So ist auch der Aufschrei der Berliner Kirchen zu verstehen, als das Land vor kurzem seinen Werteunterricht für alle zur Pflicht machte und damit die Schüler wieder selbst entscheiden ließ: Religionsunterricht oder Freizeit. Stell dir vor, es ist Glaube ? und keiner geht hin.

     

    Den Moslems verdanken wir übrigens, allerdings ohne ihr bewusstes Zutun, viel. Es wird wieder über Sinn und Unsinn von Religion öffentlich diskutiert. Aus den Debattierzirkeln der ?Gebildeten? hat die intellektuelle Auseinandersetzung mit Religion den Weg auf die Marktplätze gefunden. Die Deutungspraxis christlicher Theologen wird auf die Vernunftebene gezwungen. Wir sind wieder dort, wo wir vor rund 2000 Jahren aufgehört ?wurden?.

  • B
    Bruno

    Sehr erfreulich, dass auch diese Ansicht zu einem unerfreulichen Thema bei der taz einmal zu lesen ist.

  • AZ
    Anke Zöckel

    Ich finde es schade, dass der Staat (wer immer das im Einzelnen auch sein mag) die Probleme, die er mit seinen Minderheiten hat, unter Verweis auf eine ?besondere Partnerschaft? zur Lösung an die ?großen Volkskirchen? delegiert. Denn nicht der Glaube ist das Problem, sondern allenfalls die Struktur, in die er gepresst wird. Ansonsten gilt: Nicht jeder, der Probleme verursacht, ist ein Moslem. Manch einer ist auch einfach nur dumm.

    Wenn sich Philipp Gessler in seltsamer Übereinstimmung mit Jörg Lau von der Zeit nicht mehr Freiheit von sondern mehr Freiheit in seiner großen alten Kirche wünscht, dann ist das sein ganz persönliches Problem. Er könnte, wie so viele andere vor ihm, dieses Problem ganz leicht dadurch lösen, dass er die Hoffnung auf eine Reformierbarkeit der Institution fahren lässt und austritt ? den Hals würde es schließlich nicht mehr kosten. Er tut es nicht. Denn gerade seine Kirche ist der Beweis dafür, dass Reformen möglich sind ? wenn auch nur in einem langen, mühsamen Prozess.

    Über viele Jahrzehnte hinweg hat die Forderung, die Privilegien der Kirchen müssten weg, disziplinierend gewirkt. Die Radikallösung war vermeidbar, weil eine geteilte Macht in den Augen Vieler noch immer besser ist, als eine verlorene. Mit Blick auf die deutschen Muslime allerdings muss die Forderung nach Disziplin vom Staat ausgehen, nicht von den Kirchen. Denn allein der Staat sollte über die Kriterien befinden dürfen, die ?besondere Partnerschaften? möglich werden lassen. Und zwar weniger mit Rücksicht auf vermeintliche oder tatsächliche ?historische Verdienste? der Religionen, als vielmehr mit Blick auf die aktuellen Aufgabenstellungen.

    Es geht nicht um den Unsinn von Religion an sich. Es geht um den Sinn von Religion in der Gesellschaft. Und es muss die Frage gestattet sein, wer diesen Sinn definiert. Die Kirchen können es wohl nicht sein, denn die sind allenfalls ein Teil des Ganzen. Wer also soll die Diskussion führen? Der Innenminister? Die Kanzlerin? Diese Lösung böte sich an, wäre das ?Problem Islam? tatsächlich eines, das eine Telefonnummer und eine Post- oder wenigstens eine E-Mailadresse hätte. Das ist nicht der Fall. Axel Ayyub Köhler jedenfalls kann jugendlichen Randalierern in deutschen Schulen genau so wenig Befehle erteilen, wie er tyrannischen Ehemännern und Schwimmunterricht torpedierenden Vätern Befehle erteilen kann. Diese Ehrlichkeit und diese Klarheit sollte Grundlage jedes Fortschritts in den Beziehungen zueinander sein.

    Dass ausgerechnet die Kirchen so vehement wie kaum eine andere Gruppe in der Gesellschaft das Grundgesetz, etwa die Gleichberechtigung von Frauen, Freiheit auch von Religion oder einfach nur Sportunterricht für Mädchen, verteidigen, spricht natürlich nicht gegen eine Führungsrolle der christlichen Religion im Einwanderer-Streit. Es spricht allerdings auch nicht für sie. Toleranz können andere auch. Und Gleichgültigkeit ist nichts, was einzelne Christen nicht auch beherrschen. Es mag ja Feld und Aufgabe der Kirchen sein, sich in gesellschaftliche Fragen einzumischen. Es ist jedoch nicht ihr Privileg. Und wenn die Aufforderung Papst Benedikts an seine Katholiken, den un- oder fehlgläubigen Rest der Menschheit nach besten Kräften zu missionieren, nicht auch in Zukunft auf Unverständnis und Ablehnung stoßen soll, dann tut die Kirche gut daran, das nicht zu vergessen. Sonst könnte mancher auf die Idee kommen, der jahrzehntelange Lernprozess der christlichen Kirchen in Europa sei reversibel.

    Traurig sähe dieses Land aus, gäbe es nicht das vielfältige Engagement der Volkskirchen und einfacher Christen. Nicht viel besser allerdings wäre Deutschland dran, würden sich plötzlich und unerwartet alle Menschen muslimischen Glaubens aus der Gesellschaft zurückziehen, die Tag für Tag mit der Bewältigung der großen und kleinen Probleme ihrer Nachbarn, Freunde und meinetwegen auch Glaubensbrüder befasst sind. Diesen engagierten Muslimen jeden Einfluss in der Gesellschaft mit der Begründung vorzuenthalten, sie wären muslimischen Glaubens oder Ausländer oder beides, ist alles andere als recht und billig. Von ihnen zu verlangen, dass sie sich zunächst hierarchisch organisieren und anschließend basisdemokratisch reformieren, damit die Hierarchien deutscher Institutionen einzelne Ansprachpartner mit Weisungsbefugnis finden, ist eine glatte Unverschämtheit.

    Ach ja: und was den Religionsunterricht angeht: Man kann ihn abwählen. Das Problem ist bloß, dass man es tun muss, wenn man an einer staatlichen Schule nicht dazu verdonnert werden will. Das, denke ich, ist auch ein Zwang. Einer, dem man nicht ausgesetzt wäre, hätten die christlichen Kirchen in Deutschland die selben Rechte (nicht), die auch alle anderen haben. Auf das ?Privileg? der staatlichen Überwachung, denke ich, könnte eine Kirche, die Transparenz, Freiheit und die Grundwerte unserer Gesellschaft nicht nur propagiert, sondern aus sich heraus lebt, gut und gerne verzichten.

  • BP
    Bernd Palme

    Sollte die TAZ sich mit diesem Kommentat auf das unsichere Gebiet von Logik und Rationalität wagen oder bleibt es bei der einen "Schwalbe"? Ich bin gelernter DDR-Bürger und habe in den Jahren seit der Wende die Freiheitlich Demokratische Grundordnung schätzen gelernt. Die christlichen Kirchen lassen mich leben, wie ich will. Sie versuchen nicht die Grundrechte zu beschneiden. Selbst bei Verhohnepiepelung Gottes, Jesus oder des Papstes in Bild oder Wort, ruft die Kirche nicht zum Mord an den Spöttern auf. Keine Christen versammeln sich nach den Sonntagsgottesdiensten, um kollektiv die Botschaften anderer Länder oder Puppen von Staatsführern zu verbrennen. Kein Bischof fordert eine Positivberichterstatterquote. Kein Pfarrer verheisst den Eintritt ins Paradies wenn nur genug Muslime ermordet werden. Das ist der Unterschied zwischen den Religionen und ich hoffe, den Redakteuren der TAZ ist klar, dass es unter islamischer Herrschaft aus wäre, mit der TAZ.