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Debatte um MindestlohnKein Weg aus der Armut

Auch mit sieben Euro brutto in der Stunde besteht unter Umständen noch Anspruch auf Hartz IV. Und am Ende droht weiterhin Altersarmut.

Kellnern: Kein Zuckerschlecken und dann auch noch ein karger Lohn. Bild: imago / blickwinkel

BERLIN taz | Auf die Großzügigkeit der Kunden sind die Pizzaboten angewiesen. Wer mit einem Moped des Pizzaservice durch die Gegend düst, bekommt in Berlin 4,50 brutto die Stunde vom Arbeitgeber - plus Trinkgeld vom Kunden, wenn man Glück hat.

Wer sich als Hilfskellnerin verdingt, fängt auch mit 6 Euro in der Stunde an. Wer morgens in aller Frühe Windeln und Gurkengläser in Supermarktregale packt und dafür bei einem Subunternehmen angestellt ist, verdient mitunter sogar weniger. VerkäuferInnen in Billigläden arbeiten gleichfalls zum Niedriglohn.Trinkgeld gibt es hier nicht.

Der Betrag von 7 Euro brutto Stundenlohn wird derzeit in der Politik als Lohnuntergrenze diskutiert - doch wem würde das was bringen? Immerhin 10 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland bekommen für ihre Ackerei weniger als 7 Euro in der Stunde, so die neuesten Zahlen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für das Jahr 2010. Das sind 3,3 Millionen Menschen, davon leben 2,2 Millionen im Westen. Von den Vollzeitbeschäftigten ackert aber nur jeder 20. für einen Lohn von weniger als 7 Euro. In der Mehrzahl sind die Niedriglöhner Teilzeitkräfte und MinijobberInnen, darunter überproportional viele Frauen und viele jüngere ArbeitnehmerInnen.

Viele dieser Billigkräfte verlassen sich auf das Einkommen des Ehepartners - doch nicht wenige leben auch allein. Das sieht man am Beispiel der sogenannten atypischen Beschäftigten in der Dienstleistungsbranche, wozu Teilzeitkräfte, MinijobberInnen, befristet Angestellte und Leiharbeiter zählen. In gut einem Drittel dieser Haushalte leben keine weiteren Erwerbstätigen, "die Absicherung im Haushaltskontext ist weniger umfassend als oftmals unterstellt", resümieren die Sozialforscher Gerhard Bosch und Claudia Weinkopf in den WSI-Mitteilungen (9/2011).

Oft abgeschlossene Berufsausbildung

Viele der BilligjobberInnen bekommen aufstockende Hilfe vom Staat: Allein 1,4 Millionen Erwerbstätige beziehen in Deutschland ergänzende Leistungen nach den Hartz-IV-Gesetzen. Dabei haben die NiedriglöhnerInnen sehr oft eine Berufsausbildung. Setzt man eine Niedriglohnschwelle von 9,50 Euro im Westen und 6,87 Euro im Osten an, dann hat von den Beschäftigten unterhalb dieser Marke nur jeder fünfte keine Berufsausbildung.

"Der Anteil von Niedriglohnbeschäftigten mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung hat sich deutlich erhöht", schrieben Thorsten Kalina und Weinkopf in einem Report des IAQ-Instituts der Universität Duisburg-Essen. Wobei sich der Niedriglohnsektor selbst in Deutschland aber "seit 2006 prozentual nicht ausgeweitet hat", erklärt Sozialforscher Karl Brenke vom DIW-Institut im Gespräch mit der taz.

Was würde ein verbindlicher Mindestlohn von 7 Euro brutto in der Stunde, wie er gerade in der Politik diskutiert wird, nun aber ändern am Armutsrisiko vor allem der Frauen? Würde sich dadurch der Anteil jener, die alleine von ihrem Verdienst leben, die unabhängig sind von Ehemann, Scheidungsrisiken und Hartz IV, erhöhen?

Bei einer 40-Stunden-Woche käme für eine Alleinstehende ein Bruttoverdienst von 1.204 Euro (netto: 909 Euro) im Monat zusammen. Mit diesem Einkommen hätte ein Single sogar noch Anspruch auf ergänzende Leistungen nach den Hartz-IV-Gesetzen, sofern er nicht über nennenswertes eigenes Vermögen verfügt.

Mit diesem Nettoeinkommen würde ein Single auch nicht über die durch die EU definierte statistische Schwelle für "Armutsgefährdung" klettern, die in Deutschland 935 Euro beträgt. Und was die Alterssicherung beträgt, ist auch ein Mindestlohn von 7 Euro brutto eine Rutschbahn in die Altersarmut. Um über die Rente einen Anspruch zu erarbeiten, der höher liegt als die heutige Grundsicherung im Alter, also die "Sozialhilfe", müsste man 45 Jahre lang in Vollzeit mehr als 9,30 Euro brutto die Stunde verdienen, rechnet Markus Grabka vor, Verteilungsforscher am DIW. Von solchen Entgelten sind alle Mindestlohndebatten meilenweit entfernt.

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10 Kommentare

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  • H
    hitti

    Sehr schön dargestellt!

     

    Ich hoffe sehr, dass diese "Minijobberei" in absehbarer Zeit ein Ende findet. Ich vermute stark, dass das "unseren" Staat mehr kostet als es nutzt: Armut, Armut, Armut von einfach nur über die Runden kommen bis Altersarmut, obwohl doch genau diese Personen arbeiten.

    Erinnert mich ein bisschen an eine Zeit mit Mägden und Knechten. Diese arbeiteten hart, aber angesehen waren sie nicht, zudem gab es kaum Chancen dem Status zu entkommen.

    Das gängige Bild aktueller deutscher "Mägde und Knechte" (genannt "Minijobber"): Sie saufen nur und lassen ihre Kinder, von denen sie viel zu viele haben, vor dem großen Plasmafernseher verhungern. Und bei der Arbeit werden sie - neben der schlechten Bezahlung - doof angemacht, weil sie ja nur "Minijobber" sind und keine "richtige" Arbeit haben...

     

    Und Urlaub benötigen diese Menschen nach der Meinung vieler Arbeitgeber doch auch nicht, denn sie arbeiten ja nicht richtig. Und wenn sie krank werden: Pech gehabt, "Der nächste bitte". Widerspricht zwar alles dem Arbeitsrecht, aber wo kein Kläger, da kein Richter.

  • V
    vic

    Angesichts der Reaktion des "Wirtschaftsflügels" der CDU und Arbietgeberpräsi Hundt, könnte man glauben, die Mindestlohn Kampagne der Kanzlerin wäre ernst gemeint.

    Am Ende wird HUndt obsiegen, jede Wette.

    Noch`n Gag; Die Märkte sind heftig erschrocken über den Beschluss einer Volksabstimmung in Griechenland.

    Die Ärmsten; wer wird sie beruhigen...?

    Ich ahne wer.

  • S
    Silvia

    he,he...wer jetzt auf den crash gewettet hat,ist seine Geldsorgen los...die MÄRKTE REAGIEREN AUF DEN griechischen Volksentscheid-wenn die Griechen selbst gewettet haben,haben die sich wieder freigekauft:)))direkte demokratie gepaart mit tiefstem Kapitalismus...ob da wohl jemand soooooooooo abgezockt war?na warten wir es ab....

  • H
    Harald

    Sehr guter Artikel und da kann ich nur sagen:

    Hartz-IV, Aufstockungen und Jobcenter (ARGE) schaffen Armut, keine Beschäftigung. Und die Leute, die tatsächlich im Niedriglohnsegment arbeiten, werden wahrscheinlich immer arm bleiben. Man sollte jedes einzelne Unternehmen, dass solche Verhältnisse fördert, sprich weniger als 9,50 EURO bezahlt, öffentlich anprangern. Als Steuerzahler weiß ich sowieso nicht, warum ich Unternehmen subventionieren soll, die sich weigern normale Gehälter oder Stundenlöhne zu zahlen.

  • EM
    Eric Manneschmidt

    Gesetzliche Mindestlöhne sind schon deswegen sinnlos, weil sie per se Menschen, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen, gar nicht helfen. Staatliche Maßnahmen zur Existenzsicherung aber auf Erwerbsarbeiter zu beschränken widerspricht letztlich den Grundrechten und auch durchaus dem gesellschaftlichen Interesse z.B. an Kindererziehung/Familienarbeit und dem an sich unbezahlten und unbezahlbaren politischen, sozialen und bürgerschaftlichen Engagement.

    Außerdem ist es ein Unsinn, Unternehmen - die sich dann wieder über Subventionen oder andere Privilegien am Steuerzahler gütlich halten - überhaupt zwischenzuschalten, wenn der Staat etwas für die Existenzsicherung der Bürger tun möchte.

     

    Dass es im Ausland sehr oft gesetzliche Mindestlöhne gibt, ist sicherlich das dümmste Argument, das FÜR eine solche Regelung in Deutschland vorgebracht wird. Denn es ist ja evident, dass diese Maßnahme keine wirklichen Vorteile mit sich bringt.

    Interessanterweise wird immer nur die Frage diskutiert, ob ein Mindestlohn "Arbeitsplätze kostet". Die scheinbare Entkräftung dieses Einwands wird dann als Pro-Argument gedreht, obwohl man eben maximal ein Gegenargument widerlegt hat.

    Die wenigen wirklichen Argumente pro Mindestlohn, nämlich die Menschen in unteren Einkommensbereich besser zu stellen und damit auch letztlich über die Stärkung der Binnennachfrage der Konjunktur und der wirtschaftlichen Stabilität etwas gutes zu tun, mögen zwar eingeschränkt durchaus zutreffen.

    Da könnte man aber mit einem bedingungslosen Grundeinkommen - für ALLE - wesentlich mehr erreichen.

     

    Die Regierung verabreicht jetzt das Placebo "Mindestlohn" um der anstehenden Frage nach dem Grundeinkommen weiter ausweichen zu können. Genau wie im Rest Europas.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Armut beseitigen

    Armut ist kein Phänomen,sondern harte Wirklichkeit für viele Menschen.Armut muss sich lohnen und einen finanziellen Reiz haben,dass mit der erzielten Arbeit auch der Lebensunterhalt bestritten werden kann.Das monatliche Salär sollte über 928 Euro liegen um nicht zu der Klientel Arme zu gehören.Ein Stundenlohn von 9Euro sollte erreicht werden um nicht zusätzliche Sozialtransferleistungen in Anspruch nehmen zu müssen.

  • B
    Branko

    Ein Kernproblem der deutschen Wirtschaft ist die Fokussierung

     

    auf die Exportwirtschaft.

    Auch wenn D ein Exportspitzenreiter ist, ist das Grundfundament der deutschen Wirtschaft die Binnenwirtschaft.

    So kommt dann auch die geradezu zynische Paradoxie zustande, daß

     

    sich die Regierung 'Wachstum' auf die Fahne schreibt, während

     

    ein Großteil der deutschen Bevölkerung immer weniger in der

     

    Tasche hat.

     

    Ein Indiz für die Ergebnisse dieser ausschließlich der

     

    Exportwirtschaft hörigen Politik sieht man deutlich, wenn man

     

    mal versucht im ländlichen Raum essen gehen zu wollen - keine

     

    Chance.

    Die Gaststätten und Restaurants sind größtenteils geschlossen,

     

    verrammelt, dicht gemacht und stehen z.T. sogar zum

     

    Verkauf/Pacht, und ein Großteil der Verbliebenen verramscht mangels Konkurrenz billigen Fraß.

    Weil kaum noch jemand das Geld übrig hat, mal essen zu gehen.

    Seit Jahrzehnten wird Lohndumping betrieben, "um mit dem

     

    Ausland konkurrenzfähig zu werden".

    Wo wollen die hin?

    Um gegen China konkurrenzfähige Löhne zu haben braucht's

     

    Stundenlöhne von 5 Cent oder weniger.

     

    Gegenbeispiel: Die Schweiz

    Auch ein vom Export abhängiges Land.

    Hier ist man sich aber bewußt, daß die KMU das Grundfundament

     

    der Wirtschaft darstellen, und labert nicht nur davon.

    Die Löhne und Preise sind in der CH deutlich höher, als in D.

     

    Auch sieht man wesentlich mehr Personal in Supermärkten, und

     

    standardmäßig geht man in der CH mittags auswärts essen.

    Ergbnis hier:

    Ein deutlich höherer Lebensstandard für alle.

    Und die Millionäre jammern hier sicher auch nicht so laut, wie

     

    in D.

     

    Anderes Beispiel: China

    China entwickelt sich derzeit gerade wegen seines Exports. Aber den Chinesen ist deswegen ihr Binnenmarkt nicht egal. Im Gegenteil. Die chinesische Binnenwirtschaft wird weitaus mehr gefördert, als die Exportwirschaft.

    Ergebnis:

    In China steigt der Wohlstand,

    während er in Deutschland dank der "wirtschaftsverständigen" Politik von CDU/CSU, SPD und FDP konsequent immer weiter gesenkt wird.

  • B
    Branko

    Das Kernproblem der deutschen Wirtschaft ist die Fokussierung auf die Exportwirtschaft.

    Auch wenn D Exportspitzenreiter ist, ist das Grundfundament der deutschen Wirtschaft die Binnenwirtschaft.

    So kommt dann auch die gerade zynische Paradoxie zustande, daß sich die Regierung 'Wachstum' auf die Fahne schreibt, während ein Großteil der deutschen Bevölkerung immer weniger in der Tasche hat.

     

    Ein Indiz für die Ergebnisse dieser ausschließlich der Exportwirtschaft hörigen Politik sieht man deutlich, wenn man mal versucht im ländlichen Raum essen gehen zu wollen - keine Chance.

    Die Gaststätten und Restaurants sind größtenteils geschlossen, verrammelt, dicht gemacht und stehen z.T. sogar zum Verkauf/Pacht.

    Warum?

    Weil kaum noch jemand das Geld übrig hat, mal essen zu gehen.

    Seit Jahrzehnten wird Lohndumping betrieben, "um mit dem Ausland konkurrenzfähig zu werden".

    Wo wollen die hin?

    Um gegen China konkurrenzfähige Löhne zu haben braucht's Stundenlöhne von 5 Cent oder weniger.

     

    Gutes Gegenbeispiel: Die Schweiz

    Auch ein vom exportabhängies Land.

    Hier ist man sich aber bewußt, daß die KMU das Grundfundament der Wirtschaft darstellen, und labert nicht nur davon.

    Die Löhne und Preise sind in der CH deutliche höher, als in D. Auch sieht man wesentlich mehr Personal in Supermärkten, und standardmäßig geht man in der CH mittags essen.

    Ergbnis hier:

    Ein deutlich höherer Lebensstandard für alle.

    Und die Millionäre jammern hier sicher auch nicht so laut, wie in D.

  • A
    aurorua

    Wozu ein Weg aus der Armut in einem Land in dem seit dreissig Jahren ein neoliberales mediales "Trommelfeuer" in die Köpfe der Bürger gehämmert wird.

    Die Umverteilung von unten nach oben hat doch bisher tadellos, mit tatkräftiger Unterstützung von demokratisch gewählten Lobbyistenknechten (Politiker) jeglicher couler, funktioniert. Wofür man hierzulande peu a peu dreissig Jahre benötigt hat, das wird nun in Griechenland innert drei jahren übers Knie gebrochen. Wer aufmuckt bekommt den Beamtenknüppel in die Fresse. In den siebziger Jahren haben Bosse und Manager etwa das vierzigfache ihrer Mitarbeiter verdient, mittlerweile ist es in vielen Fällen das vierhundertfache. Glaubt denn irgendjemand ernsthaft die Reichen und Superreichen lassen sich das wieder weg nehmen.

    Megageile "DEMOKRATIE"!

  • A
    aleister

    Pizzabote, Einräumer im Supermarkt, angestellt bei einem Subunternehmer, Hilfskellnerin, VerkäuferIn in Billigläden...liebe Barbara Dribbusch, fragen Sie doch mal einen Verkäufer in einem ganz normalen kleinen Bioladen, wieviel er verdient, wahrscheinlich wird er sich mit seinem Einkommen nicht mal einen größeren Einkauf im eigenen Laden leisten können. Das ist nämlich kein Billigladen, aber verdient wird dort genauso mies. Aber Hauptsache, die heile Welt der "ganzheitlichen" Kunden stimmt.