Debatte um Jugendgewalt: Der böse Bube heißt Roland
Das finden jedenfalls fast 1.000 Forscher, Anwälte und Richter und werten seine Vorschläge für schärferes Jugendstrafrecht als Angriff auf die unabhängige Justiz. Nach Kritik aus der CDU rudert Koch zurück.
BERLIN ap/dpa/taz Kriminologen, Strafverteidiger und Staatsanwälte haben eine von der Union geforderte Verschärfung des Jugendstrafrechts als unwirksam abgelehnt. Die Vorschläge "sind ein Höhepunkt der Ignoranz gegenüber dem bestehenden Fachwissen", sagte Natalie von Wistinghausen von der Vereinigung Berliner Strafverteidiger am Montag in Berlin. Oberstaatsanwalt Klaus Pförtner aus Frankfurt am Main warf Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) einen Angriff auf die Justiz als dritte Gewalt vor. Im Jugendstrafrecht müsse die Strafe auf dem Fuße folgen. Dies gewährleiste die Politik nicht. "Es muss Geld in die Hand genommen werden für die Jugendlichen."
In ihrer Stellungnahme, die von fast 1.000 HochschullehrerInnen und PraktikerInnen der Jugendstrafrechtspflege unterstützt wird, kritisieren sie, dass mit einer tough on crime-Politik nicht nur falsche Erwartungen hinsichtlich der Senkung von Kriminalitätsraten erweckt würden, es würde mit ihr auch der richtige Ansatz systematisch verfehlt. Die Forschungen würden zeigen, dass die negativen Entwicklungsdynamiken krimineller Karrieren gebrochen werden können, aber nicht durch strafrechtliche Intervention, sondern durch "Verbesserung der Chancen der Jugendlichen auf soziale Teilhabe" (http://www.dvjj.de/artikel.php?artikel=989).
Unterdessen hat Hessens Ministerpräsident Roland Koch seine Forderungen relativiert. "Aus meiner Sicht kann man da sehr pragmatisch diskutieren, und da gibt es keine verbindliche Festlegung von mir", sagte Koch am Montag in Berlin. Der CDU-Politiker hatte zuvor vor allem für seinen Vorschlag, das Jugendstrafrecht in Einzelfällen auch auf Täter unter 14 Jahren anzuwenden, Kritik aus seiner eigenen Partei und von der SPD erhalten.
So sprach sich der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) gegen Kochs Vorschlag aus. Er verwies auf den einstimmigen Beschluss der Innen- und Justizminister, dass die Strafmündigkeit nicht verändert werden solle. "Kinder sind Kinder, und da stellt sich die Frage vor allem nach den Eltern", sagte der stellvertretende Parteichef vor einer CDU-Präsidiumssitzung in Berlin. "Die Strafmündigkeit zu verändern, halte ich für falsch."
"Es geht uns nicht um die Absenkung der Strafmündigkeit", bekräftigte auch CDU- Generalsekretär Ronald Pofalla am Montag in Berlin. Auch Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) zeigte sich skeptisch.
SPD-Chef Kurt Beck forderte ein Eingreifen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): "Kinder in Gefängnisse - das ist nicht Politik der Koalition", kritisierte Beck am Montag in Frankfurt/Main vor einem Treffen des SPD-Präsidiums mit der Spitze der IG Metall.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, kritisierte den Vorstoß Kochs scharf. "Wir brauchen doch keine Kinderknäste", sagte Freiberg laut Passauer Neue Presse. "Der Vorschlag ist populistisch und unseriös.
Auch der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, lehnte den Vorschlag Kochs ab. "Das macht keinen Sinn", wird er in der Zeitung zitiert. "Je jünger Menschen hinter Gitter kommen, umso höher ist ihre Rückfallquote." Für die Intensivtäter unter den Kindern hält Kriminologe Pfeiffer andere Maßnahmen für geeigneter als eine Anwendung des Jugendstrafrechts. "Gefährdete Kinder sollten viel häufiger in Pflegefamilien untergebracht werden", fordert er. Auch geschlossene Heime seien zur vorübergehenden Unterbringung nötig.
Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz hatte den Koch-Vorstoß zuvor mit scharfen Worten zurückgewiesen. "Dieser Mensch dreht nun völlig durch", wurde Wiefelspütz von der Thüringer Allgemeinen zitiert. Die FDP, möglicher Koalitionspartner für Koch, nannte den Vorschlag grotesk. Für Kinder unter 14 Jahren müssten vielmehr die Instrumente der Kinder- und Jugendhilfe genutzt und notfalls Kinder in geschlossene Heime eingewiesen werden, erklärte Generalsekretär Dirk Niebel.
Dagegen gab Unions-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen Koch Rückendeckung. Offenbar drückten dessen Vorschläge eine soziale Realität aus, ansonsten würde darüber nicht so intensiv diskutiert." Präsidiumsmitglied Friedbert Pflüger zeigte sich ebnfalls offen für Kochs Vorschläge. "Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, das Thema der Jugendgewalt auf die politische Tagesordnung zu setzen", sagte der CDU-Politiker. Koch habe endlich "das Tabu Jugendgewalt" angesprochen. Gerade in Berlin merke man, "dass viele Menschen Angst haben, in die U-Bahn zu gehen".
Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger hielt es "in ganz wenigen Ausnahmefällen" für möglich, auch schon 13-Jährige nach Jugendstrafrecht zu bestrafen. Dies gelte aber nur, wenn dieser Jugendliche das entsprechende Bewusstsein habe und gegebenenfalls "Teil eines Netzwerkes" sei. Dann halte er "eine Strafbarkeit im Sinne des Jugendstrafrechts, das heißt Erziehung, Strenge, Besserung, für denkbar", sagte Oettinger.
Koch selbst erklärte, er glaube nicht, dass jemand ein Interesse daran habe, nach dem Ende der Landtagswahl "zu sagen, alles ist vergeben und vergessen. Ich glaube trotzdem, die große Koalition hat nach wie vor die volle Kraft, das vereinbarte Programm abzuarbeiten." Dabei dürfe dem Wähler jedoch nicht vorgegaukelt werden, dass dies nach der Bundestagswahl 2009 so weitergehe. Wulff sagte, wenn die Wahlen vorbei seien, könne man endlich wieder zur Sacharbeit zurückkehren.
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