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Debatte um BrennelementesteuerMerkel spielt auf Zeit

Bundeskanzlerin Merkel reagiert auf Angriffe aus der Wirtschaft wegen der Brennelementesteuer. Solange es keinen anderen Vorschlag gebe, bleibe es bei der Steuer.

Brennelemente-Lagerbecken im Atomkraftwerk Krümmel. Bild: dpa

BERLIN taz | Nach dem direkten Angriff von mehr als 40 Spitzenmanagern, Wirtschaftslobbyisten und Wissenschaftlern spielt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Streit um die künftige Energie- und Atompolitik auf Zeit. Mit Blick auf die geplante Brennelementesteuer, die Teile der Wirtschaft am Samstag in ganzseitigen Zeitungsanzeigen vehement ablehnten, sagte Merkel am Sonntag im ZDF: "Solange kein anderer Vorschlag auf dem Tisch ist, bleibt es bei der Steuer." Sie sei zu Gesprächen bereit, sehe aber im Augenblick noch keine anderen Lösungsvorschläge. Bis Ende September werde eine Entscheidung gefällt. Dazu müssten alle Szenarien auf dem Tisch liegen, sagte die Bundeskanzlerin.

In einer in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellosen Zeitungsanzeige hatten führende Vertreter der deutschen Wirtschaft Merkel und ihre energiepolitischen Pläne am Samstag scharf angegriffen. "Eine Politik, die darauf setzt, den Haushalt mit neuen Energiesteuern zu sanieren, blockiert notwendige Investitionen in die Zukunft", hieß es in der Anzeige. Und: "Die geplante Brennelementesteuer oder eine weiter steigenden Ökosteuer dürfen in ihrer Konsequenz Zukunftsinvestitionen nicht verhindern." Bis auf Weiteres könne Deutschland nicht auf kostenünstige Kohle und Kernenergie verzichten. Ein vorzeitiger Ausstieg aus der Atomenergie würde Kapital in Milliardenhöhe vernichten.

Zu den Unterzeichnern der Anzeige gehören die Chefs großer deutscher Unternehmen, darunter die Energiekonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall. Beteiligt sind außerdem die Deutsche Bank, die Bahn, Bayer, BASF, Metro, Bertelsmann, Thyssenkrupp sowie der Fußballfunktionär Oliver Bierhoff, dessen Vater Rolf Bierhoff mehrere Jahre RWE-Vorstandsmitglied war. Zudem unterzeichneten zwei Männer, die Minister im rot-grünen Kabinett von Altkanzler Gerhard Schröder waren: Ex-Innenminister Otto Schily und Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. Interessant ist auch, wer nicht unterzeichnete: Dazu zählen etwa die Deutsche Post und die Autokonzerne; auch Technologiekonzerne wie Deutsche Telekom und Siemens machten nicht mit.

Eine Panne war den Organisatoren der Anzeige - die Initiative dafür ging von den vier großen Energiekonzernen aus - bei der versuchten Beteiligung des Gewerkschaftslagers unterlaufen. In einigen gedruckten Anzeigen firmiert der Chef der traditionell atomfreundlichen IG Chemie, Bergbau, Energie, Michael Vassiliadis, als Unterzeichner der Annonce. Dies sei schlicht falsch, teilte die Gewerkschaft auf ihrer Internetseite mit. Vassiliadis habe das Papier nicht unterschrieben. Dieser Entscheidung sei eine Abstimmung innerhalb des Gewerkschaftslagers vorausgegangen, sich an der Aktion nicht zu beteiligen.

An ihrem Ziel, die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke zu verlängern, hielt Bundeskanzlerin Merkel trotz des Affronts fest. Grundsätzlich gelte es, verlängerte Laufzeiten so hinzubekommen, dass sie rechtssicher seien, so Merkel.

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4 Kommentare

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  • RM
    Regine Metes

    Wer hier nicht unterzeichnet, zeigt eben, wer auf Merkels Seite steht: die Autoindustrie, Siemens, die Deutsche Post.

    Der Grund: sie versprechen sich Profite durch Merkels Außenpolitik, z.B. Sicherung der eigenen Interessen an ausländischen Ressourcen, z.B. Öl, sie unterstützen die "Golf"-Politik Merkels. Sie sind am Status Quo der Engeriepolitik intressiert, sprich im Inland AKW's, im Ausland Öl.

  • RM
    Regine Metes

    Frau Merkel unterstreicht einmal mehr, daß sie ausschließlich ihr kurzsichtiges Denken beherrscht:

    wie und wo der Staat Steuern abpressen kann.

    Sie denkt nicht im Sinne vernünftiger Staatsführung, dies würde bedeuten: wie gehe ich heute mit Geldern um, damit die Zukunft gesichert ist. Hier: indem die Einnahmen der AKW's in Innovationen und Alternativen investiert werden: damit könnte die Laufzeit verkürzt werden. Das interessiert sie nicht, sondern nur das schnelle Geld, und wie sie Langlaufzeiten absichern kann. Also: möglichst lang Geld für den Staat aus der Brennelementesteuer.

  • B
    bürger

    "merkel spielt auf zeit"

    fällt irgendjemandem ein beispiel aus den letzten 5 jahren ein, wo merkel mal die führung einer diskussion übernommen hätte? sie läßt doch immer alle diskutieren und springt zum schluß auf den fahrenden (sieger)zug auf. eigene positionen? habe ich bis jetzt noch nicht erkennen können…

     

    abgesehen davon, dass noch niemand weiß, ob diese koalition überhaupt vier jahre bestand hat - eines ist sicher, falls sie so weitermachen, werden sie abgelöst. die nächste koalition wird dann halt den ausstieg vom ausstieg vom ausstieg beschließen.

     

    und wenn man in die zukunft schaut:

    als nachfolgerin der positionslosen merkel gilt die ewige lügnerin von der leyen…diese aussicht ist unterirdisch leyenhaft.

  • K
    Kretschmann

    Merkel weiß was sie tut und doch auch nicht.

     

    Sie ist und war Atombefürworterin ob als Umweltministerin in der Verantwortung für die skandalöse Weiternutzung des ostdeutschen Endlagers bei Morsleben als gesamtdeutsches oder ihre Weigerung der wissenschaftliche Kritik und Vertuschung der wahren Zustände in der ASSE II nachzugehen und das Ganze dort vor Jahren zu beenden und jetzt als Kanzlerin den Atomkonzernen klare Kante zu zeigen. Sie will den Ausstieg aus dem Ausstieg, sie will die Verlängerung der Laufzeiten und sie ist in dieser Hinsicht nicht argumentativ sachlich oder durch derzeitigen Protest zu beeinflussen.

     

    Insbesondere diese beharliche Weigerung gegenüber inhaltlicher Argumente und der Protestbewegung wird Ihr und der Regierung spätestens im Herbst diesen Jahres unsanft auf die Füße fallen.

    Beim Castortransport in Wendland riskiert Merkel und co. einen Großprotest, den die Republik in seiner Entschlossenheit und Vielfalt seit Jahrzehnten nicht erlebt hat. Das wird der Sargnagel für diese Regierung, auch wenn andere soziale Themen eigentlich schon genug Grund und Anlass für die Beendigung von schwarz-gelb geben.