Debatte über Hitlers Hetzschrift: Nazi-Bibel bald ungeschützt
Die Urheberrechte für Hitlers "Mein Kampf" laufen ab, und Niedersachsen wirbt bereits für eine wissenschaftlich-kritische Edition.
HANNOVER taz | Niedersachsens grüne Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz plädiert dafür, die Veröffentlichung von Hitlers rassistischer Hetzschrift „Mein Kampf“ künftig auch in Deutschland zu tolerieren – wenn die Ausgabe mit einer kritischen, wissenschaftlich fundierten Kommentierung versehen ist. Bereits heute sei das Machwerk im Ausland und im Internet „praktisch an jeder Ecke zu kaufen“.
Deshalb sei es sinnvoll, gezielt die Veröffentlichung einer kommentierten Edition zu unterstützen, so Niewisch-Lennartz. Eine „eine aktive, kritische Auseinandersetzung“ mit der Propagandaschrift sei derzeit nicht möglich.
Hitler hatte „Mein Kampf“ 1924 in Haft zu Papier gebracht. In der Hetzschrift ist der mörderische Antisemitismus des Diktators ebenso angelegt wie der bereits als „Rassenkrieg“ bezeichnete Überfall auf die Sowjetunion, den die deutsche Wehrmacht ab Juni 1941 umsetzte.
Erschienen ist das Pamphlet im Zentralverlag der bis heute verbotenen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), dem Eher-Verlag in München. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm das Land Bayern dessen Rechtsnachfolge – und verhinderte jede Veröffentlichung der Hitler-Propaganda mit Hinweis auf die beim Freistaat liegenden Urheberrechte.
Geschrieben in Haft nach dem Hitler-Ludendorff-Putsch von 1923, enthält Hitlers "Mein Kampf" bereits alle mörderischen Elemente des Nationalsozialismus.
Der spätere Diktator schildert seinen Antisemitismus und Rassismus, seinen Hass auf Andersdenkende; Verschwörungstheorien beschreiben ein angebliches jüdisches Machtkartell.
Mit der Forderung nach "Lebensraum" propagiert Hitler im Buch bereits die Unterwerfung Osteuropas - Reichskanzler wurde er ein Jahrzehnt später trotzdem.
Doch die laufen 70 Jahre nach Hitlers Tod aus. Ab dem 1. Januar 2016 gilt das Machwerk als „gemeinfrei“ – rein urheberrechtlich betrachtet könnte dann jedeR versuchen, den braunen Müll des Diktators zu Geld zu machen.
Am heutigen Donnerstag diskutiert deshalb die auf Rügen tagende Justizministerkonferenz auf Antrag Bayerns über den weiteren Umgang mit dem Machwerk. „Wir sind es den Opfern des Holocausts und ihren Angehörigen schuldig, alles uns Mögliche zu tun, um eine Vervielfältigung und Verbreitung dieser ideologischen Hetzschrift zu verhindern“, tönt Bayerns Justizminister Winfried Bausback.
Seine Beamten glauben wie die Mitarbeiter des Bundesjustizministeriums, die Verbreitung von „Mein Kampf“ sei auch nach Ablauf des Urheberschutzes durch das Strafgesetzbuch verboten: Eine Veröffentlichung falle unter „Volksverhetzung“ und sei durch den „Tatbestand des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen“ strafbar, betonten Sprecherinnen der Ministerien in München und Berlin gegenüber der taz fast gleichlautend.
Allerdings arbeitet das renommierte Institut für Zeitgeschichte (IFZ) mit Sitz in München bereits seit 2009 an einer wissenschaftlich-kritischen Edition – mit Unterstützung der bayerischen Landesregierung. Der Freistaat hatte das Projekt des IFZ, das als eine der wichtigsten Forschungseinrichtungen zur Erforschung des Nationalsozialismus in Deutschland gilt, zunächst mit 500.000 Euro gefördert.
Erst nach einer der berüchtigten Kehrtwenden des bayerischen Regierungschefs Horst Seehofer (CSU) distanzierte sich dessen Staatskanzlei Ende 2013 von dem Forschungsvorhaben, das auch vom Hitler-Biografen Ian Kershaw, dem Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler und dem Ex-Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, unterstützt wird: Nach Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist Ende 2015 werde auf Nachdrucke mit einer Anzeige wegen Volksverhetzung reagiert, drohten Seehofers Beamte.
Der wissenschaftliche Leiter des IFZ-Projektes, Christian Hartmann, appelliert an die Justizminister, kommentierte Veröffentlichungen von „Mein Kampf“ zuzulassen. „Wir müssen uns fragen, welchen Eindruck wir als Deutsche machen, wenn das Buch unkommentiert in der Welt bleibt“, sagt Hartmann. Die wissenschaftliche Edition werde über 4.000 Anmerkungen enthalten: „Wir nehmen das Buch total auseinander“, verspricht Hartmann.
Seine Chancen stehen nicht schlecht: Neben Niedersachsens Justizministerin Niewisch-Lennartz macht sich der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands für die kritische IFZ-Edition stark. Selbst in Bayern zählt ein Machtwort Seehofers längst nicht mehr alles: Zwar sei auch Landesbildungsminister Ludwig Spaenle „nach zwei Israel-Reisen und Gesprächen mit Opfern des Nationalsozialismus“ zum Schluss gekommen, „kein bayerisches Label“ auf der IFZ-Edition haben zu wollen, so dessen Sprecher Ludwig Unger.
Die 500.000 Euro Fördergeld aber werden nicht zurückgefordert. „Pacta sunt servanda“, sagt Unger – und betont, in Bayern gelte selbstverständlich die „Freiheit der Wissenschaft“.
Über ein Verbot entscheiden werden künftig wohl Gerichte. Sie sollen „im Einzelfall prüfen“, ob eine Veröffentlichung des Hitler-Machwerks Volksverhetzung ist oder wissenschaftlichen Mehrwert bietet, heißt es aus dem Bundesjustizministerium.
Die Grüne Niewisch-Lennartz jedenfalls wirbt jetzt für kommentierte Editionen wie die der Münchener IFZ-Wissenschaftler: Die könnten dafür sorgen, dass Hitlers Hetzschrift unter Umständen sogar „präventive Wirkung“ entfalte.
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