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Debatte palästinensische FlüchtlingeZahlen statt Kalkül

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Eine Lösung des palästinensischen Flüchtlingsproblems ist möglich - wenn sich beide Seiten auf die realpolitische Dimension konzentrieren.

I m November 1947 beschloss die UNO-Generalversammlung die Gründung zweier Staaten auf dem Territorium des bisherigen britischen Mandatsgebiets Palästina: eines israelischen und eines palästinensischen. Im Zuge der nachfolgenden israelisch-palästinensisch/arabischen Gewaltauseinandersetzungen wurden bis Mitte 1948 rund 720.000 Palästinenser aus ihren Heimatorten im künftigen Staat Israel vertrieben. Die Frage der Rückkehr dieser Flüchtlinge gilt gemeinhin als das bei Weitem schwierigste Problem aller Detailprobleme des Nahostkonflikts.

Nicht wenige Beobachter halten eine befriedigende Lösung der Rückkehrfrage sogar für unvorstellbar. Und deshalb, so lautet eine weitverbreitete resignierte Schlussfolgerung, könne es auch keine umfassende Friedensvereinbarung zwischen Israelis und Palästinensern geben. Doch diese Einschätzung ist falsch. Sie konnte nur entstehen, weil mit Blick auf die Flüchtlingsfrage seit vielen Jahren mit falschen und irreführenden Informationen, Zahlen und Behauptungen operiert wird.

Kalkül auf beiden Seiten

Bild: Kristin Flory
ANDREAS ZUMACH

ist Uno-Korrespondent der taz mit Sitz in Genf.

Das gilt für die politischen Positionen und Forderungen der Konfliktparteien genauso wie für die Völkerrechtslage und die realpolitische Größenordnung des zu bewältigenden Problems. Zum Teil - etwa bei der israelischen Regierung von Premier Benjamin Netanjahu oder der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas - geschieht das mit voller Absicht. Kalkül ist, eine Lösung der Flüchtlingsfrage - und damit eine umfassende Friedensvereinbarung zwischen Israel und Palästina - zu verhindern.

In einer Rede vor der UNO-Generalversammlung begründete Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Ende September seinen Antrag auf Anerkennung des Staates Palästina und dessen Aufnahme in die UNO. In einem Kommentar zu der Abbas-Rede schrieb taz-Kollege Klaus Hillenbrand: "Es kommt endlich auf realpolitische Schritte zum Frieden an. Und sowenig der Ausbau jüdischer Siedlungen im Westjordanland dazu passt, so wenig hilft das von palästinensischer Seite propagierte Recht auf eine ,Rückkehr' aller Vertriebenen nach Israel."

Doch Abbas hatte die Worte "Recht" und "Rückkehr" in seiner Rede überhaupt nicht benutzt. Zum Thema Flüchtlingsrückkehr erklärte der Präsident lediglich: "Wir wollen eine gerechte und für beide Seiten vertretbare Lösung der Frage der palästinensischen Flüchtlinge in Übereinstimmung mit der UNO-Resolution."

Kein bedingungsloses Recht

Mit der Resolution 194 beschloss die UNO-Generalversammlung im Dezember 1948 keineswegs ein bedingungsloses Recht auf Rückkehr aller Vertriebenen. Sie verfügte lediglich, "dass diejenigen Flüchtlinge, die in ihre Heimat zurückkehren und in Frieden mit ihren Nachbarn leben möchten, die Erlaubnis erhalten sollten, dies zum frühesten durchführbaren Zeitpunkt zu tun, und dass für das Eigentum derjenigen, die beschließen, nicht zurückzukehren, eine Entschädigung gezahlt werden sollte, ebenso wie für den Verlust von oder den Schaden an Eigentum, welcher gemäß den Grundsätzen des Völkerrechtes oder des Billigkeitsrechtes von den verantwortlichen Regierungen oder Behörden ersetzt werden sollte".

Auf die Resolution 194 stützt sich auch die Ende 2002 von Saudi-Arabien vorgelegte Friedensinitiative der Arabischen Liga. Und bereits bei den von den USA vermittelten Verhandlungen von Camp David im Jahre 2000 sowie den israelisch-palästinensischen Direktgesprächen der Jahre 2007/8 legte Abbas bzw. sein Vorgänger Jassir Arafat konkrete Zahlen vor für eine begrenzte, über mindestens zehn Jahre erfolgende Rückkehr von maximal 500.000 Flüchtlingen.

Das wären nur knapp 10 Prozent der nach dem Völkerrecht Rückkehrberechtigten. Denn laut der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist das Rückkehrrecht ein Individualrecht. Es kann weder von einer Regierung noch durch einen Friedensvertrag oder andere zwischenstaatliche Vereinbarungen aufgehoben werden.

Dieses Individualrecht auf Rückkehr haben alle noch lebenden Palästinenser, die 1947/48 vom Territorium Israels vertrieben wurden - und auch ihre Kinder und Kindeskinder. Das sind inzwischen insgesamt rund 5,1 Millionen Menschen. Davon leben rund 4 Millionen im von Israel besetzten Westjordanland sowie in Jordanien, Libanon und weiteren arabischen Staaten. Der Rest ist nach Nordamerika, Europa, Australien und in andere Weltregionen ausgewandert.

Zehn Prozent wollen zurück

Trotzdem hören alle konstruktiven Diskussionen über eine Lösung des Nahostkonflikts spätestens dann auf, wenn die Zahl "5,1 Millionen" Rückkehrberechtigte in den Raum gestellt wird. Denn eine Ansiedlung derartig vieler Palästinenser auf dem kleinen Territorium Israels können sich - aus demografischen Gründen genauso wie aufgrund der begrenzten Ressourcen - selbst die friedens- und kompromissbereitesten Vertreter aller Seiten nicht vorstellen.

Doch das ist auch gar nicht erforderlich. Denn tatsächlich nach Israel zurückkehren wollen nach allen hierzu vorliegenden Untersuchungen maximal 10 Prozent der Berechtigten.

Nach einer groß angelegten Untersuchung, die das palästinensische Umfrage-Forschungsinstitut in Ramallah gemeinsam mit der Hebräischen Universität in Jerusalem bereits 2003 unter den 3,7 Millionen palästinensischen Flüchtlingen in Jordanien, Libanon und dem Westjordanland durchführten, würden von dort lediglich etwa 370.000 Menschen nach Israel zurückkehren wollen. Erhebungen unter den Flüchtlingen in anderen arabischen Staaten ergaben ebenfalls eine Quote von rund 10 Prozent Rückkehrwilligen nach Israel.

Auf diese realpolitische Dimension des Rückkehrproblems sollte sich konzentrieren, wer tatsächlich an einer gerechten und für beide Seiten vertretbaren Lösung interessiert ist. Ein konkretes, bis in letzte Detail ausgearbeitetes Modell für eine solche Lösung enthält die von friedensbereiten Israelis und Palästinensern ausgehandelte und bereits im Dezember 2.003 veröffentlichte "Genfer Initiative".

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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3 Kommentare

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  • J
    Julius

    In seinem Buch „Der Ewige Sündenbock“ zitiert Tilman Tarach eine Rede von Yassir Arafat, wie dieser sich am 10. Mai 1994 in einer Moschee in Johannesburg über die Oslo-Verträge geäußert hat. Arafat sagte:

     

    Zitat aus dem o.g. Buch:

     

    „Dieses Abkommen, für mich hat es nicht mehr Bedeutung als das Abkommen, das zwischen unserem Propheten Mohammed und dem Stamm der Koreischiten unterzeichnet wurde. Ihr erinnert Euch: Kalif Omar hatte dieses Abkommen abgelehnt, er bezeichnete es als solha donia (verachtenswerter Waffenstillstand) In der gleichen Weise aber, wie Mohammed es danach akzeptiert hatte, akzeptieren wir heute dieses Friedensabkommen, um unseren Weg nach Jerusalem freizusetzen“.

     

    Zitat Ende

     

    Unter dieser Internetadresse kann man im 11. Absatz die englischen Originalversion des Auszugs der Arafat-Rede nachlesen:http://www.israelnationalnews.com/Articles/Article.aspx/2567

     

    Eine Schilderung der Historischen Zusammenhänge des Nahostkonflikts gibt das Buch von Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers:

    “Halbmond und Hakenkreuz – Das Dritte Reich, die Araber und Palästina”.

     

    Hier ein Zitat aus dem Buch:

     

    “Beim arabischen Proteststreik gegen die jüdische Einwanderung im Oktober 1933 war auf Flugblättern und an den Mauern häufig das Hakenkreuz zu sehen. “Efforts to organize Nazi Associations have been revived”, berichtet die britische Polizei im Sommer 1934 und beobachtet im Herbst des Jahres eine anhaltende NS-Propaganda in der arabischen Presse. In der palästinensischen Literatur wurden die Juden als geldgierig, verschlagen und skrupellos beschrieben, als Feiglinge, “neue Shylocks” und Söne des klingenden Goldes”. Und es fand sich dort Lyrik wie diese: “Tretet den Juden auf die Köpfe./um Buraq und Haram zu befreien,/Ihr jungen Männer, schließt die Reihen,/greift sie zu tausenden an./ O Gott, wie schön ist der Tod/zur Befreiung von Haram und Buraq”

    Zitat Ende aus dem o.g. Buch. Seite 49-50.

     

    Wohl gemerkt, das war 1933 und NICHT etwa 1948, nach der Gründung des Staates Israel. Es war in einer Zeit, in der jüdische Flüchtlinge durch Migration nach Palästina nicht weniger als Ihr nacktes Leben retten wollten. Die Nazis hatten in Deutschland die Macht ergriffen und fingen an das große Morden, das in Auschwitz mündete, vorzubereiten. In Deutschland will man uns immer wieder weiß machen, dass der Hass gegen Juden in der Region erst mit der Staatsgründung Israels begonnen habe. Das o.g. Buch räumt mit dieser Behauptung auf. Es beschreibt die Beziehungen zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und dem arabischen Nahen Osten.

     

    "Die Palästinensische Nationalcharta vom 17. Juli 1968" kann übrigens leicht im Internet nachgelesen werden. Wohlgemerkt, ich meine nicht die Charta der Hamas sondern die Palästinensische Nationalcharta vom 17. Juli 1968. Inwieweit diese Schrift Spielraum für eine Versöhnung der beiden Seiten lässt, mag jeder für sich beurteilen.

     

    Das wirkliche Leid der Palästinenser wird ganz wo anders als in Israel Produziert. Dazu hat T.Tarach In einem Vortrag im Karl Liebknecht Haus das folgende erläutert:

    „Der Libanon behandelt die Palästinenser wie ausgestoßene. Diese werden dort seit 60 Jahren in Flüchtlingslagern gehalten. Den Palästinensern wird im Libanon die Staatsbürgerschaft und alle damit verbundenen Rechte verweigert. Die Palästinenser dürfen im Libanon kein Land, keine Wohnungen oder Grundbesitz erwerben. Sie haben nicht das Recht die allgemein öffentlichen Schulen zu besuchen. Mehr als die Hälfte von Ihnen lebt unter der Armutsgrenze. Es ist zwar jüngst ein Gesetz erlassen worden, nachdem die berufliche Diskriminierung ein wenig zurück genommen wurde, aber nach wie vor dürfen die Palästinenser im Libanon nicht Arzt, Anwalt, Professor, Lehrer oder Ingenieur werden. Große Teile der Bevölkerung des Libanon verachten die Palästinenser zutiefst. Immer wieder schickt die Regierung des Landes das Militär in diese Lager, das dann brutal gegen die Palästinenser vorgeht. Vor 3 Jahren wurde ein Flüchtlingslager im Norden des Landes dem Erdboden gleich gemacht. Mehrere hundert wurden getötet. Die Medien in Europa insbes. in Deutschland berichten über diese Menschenrechtsverletzungen so gut wie nicht.“

    Aber das von Tilman Tarach geschilderte tatsächliche Elend des palästinensischen Volkes ist in Deutschland kaum bekannt, weil sich in unserem Lande niemand dafür interessiert. Und übrigens auch die Medien dafür nicht interessieren.

     

    Hier zu hören: http://tilmantarach.blogspot.com/2011/03/mitschnitt.html

  • A
    Addib

    Lieber Herr Zumach,

    als Uno-Korrespondent in Genf kommen Sie doch sicherlich leicht an die Ausführungen der Genfer Flüchtlingskonvention heran, die da besagen, dass ein Flüchtlingsstatus vererbbar ist.

    Ist er das doch bisher weltweit nur bei palästinensischen Arabern.

    Frau Steinbach würde sich über die Auskunft auch ganz doll freuen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Addib

  • A
    A.Bundy

    "Im November 1947 beschloss die UNO-Generalversammlung die Gründung zweier Staaten auf dem Territorium des bisherigen britischen Mandatsgebiets Palästina: eines israelischen und eines palästinensischen."

    Der erste Satz und schon zwei Fehler.

    1. 1947 war das bisherige britische Mandatsgebiet Palästina auf 22% zusammengeschrumpft, da 78% bereits 1923 von den Briten herausgelöst und als Cisjordanien der haschemitischen Königsfamilie übereignet wurde.

    Um das zu verschleiern, wird heute gerne vom "historischen Palästina" gesprochen, wenn besagte 22% gemeint sind.

    2. Zum damaligen Zeitpunkt gab es noch keine sog. "Palästinenser", es wurde immer von palästinischen Arabern gesprochen.

     

    "Dieses Individualrecht auf Rückkehr haben alle noch lebenden Palästinenser, die 1947/48 vom Territorium Israels vertrieben wurden - und auch ihre Kinder und Kindeskinder. Das sind inzwischen insgesamt rund 5,1 Millionen Menschen."

    Hier wäre es doch zumindest mal angebracht zu erwähnen, dass diese riesige Anzahl nur deswegen entstand, weil die sog. "Palästinenser", im Gegensatz zu allen anderen Flüchtlingen, ihren Flüchtlingsstatus bis zum St. Nimmerleinstag vererben dürfen.

    Von daher ist es eine ziemliche Dreistigkeit, wenn Andreas Zumach hier locker-flockig von "nur 10%" schwatzt.