Debatte Weltwirtschaftsforum: Gegenwehr der Chefs
Beim Weltwirtschaftsforum versichern sich die Eliten ihrer selbst. Die wichtigste Frage dieses Jahr lautet: Welche Veränderungen sind nötig, damit alles beim Alten bleibt?
D ieses Jahr haben sich 2.500 TeilnehmerInnen beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos angemeldet - die Hälfte davon Unternehmenschefs aus 96 Ländern. Ebenfalls zugegen sind 41 Staatschefs, 30 hochrangige Vertreter von internationalen politischen Organisationen, Wissenschaftler und Vordenker aus Thinktanks sowie Gewerkschaftern, NGOs und media leaders.
Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Uni Wien. Er ist Mitherausgeber vom ABC der Alternativen (Hamburg 2007) und Mitglied bei Attac. Gerade erschien sein Band Postneoliberalism: A beginning debate (Uppsala 2009).
Seit 1971 treffen sich die ökonomischen, politischen und intellektuellen Eliten des bis 1987 sogenannten European Management Forum alljährlich Ende Januar. Das seither als Weltwirtschaftsforum firmierende Treffen wird von etwa eintausend der weltweit größten Unternehmen getragen - üblich sind 4 Milliarden Dollar Jahresumsatz als Voraussetzung für die Mitgliedschaft.
Seit um die Jahrhundertwende die Kritik an der neoliberalen und imperialen Globalisierung zunahm, dürfen auch NGOs wie Greenpeace und Amnesty International sowie Künstler wie Bono und Peter Gabriel in die Schweizer Berge kommen.
Die Macht des WEF liegt nicht darin, verbindliche Beschlüsse zu fassen. Es geht um "Vernetzung" - nach 9/11 unter großen Sicherheitsvorkehrungen, sodass das Plaudern etwas umständlicher wurde. Zentral ist in Davos die Ausarbeitung eines Konsens der globalen Eliten. Dieser muss immer wieder neu hergestellt werden; immerhin handelt es sich beim globalen Kapitalismus um ein unwirtliches Geschäft voller Konkurrenz und Krisen, mitunter Gewalt.
Das aktuelle Treffen hat einen besonderen Drive bekommen, denn die aktuelle Wirtschaftskrise hat "postneoliberale" Suchprozesse ausgelöst. Diese bedeuten nicht das Ende des Neoliberalismus, aber eine intensive Auseinandersetzung darüber, inwiefern und was verändert werden muss. Welche Rolle spielt der Staat? Bleibt es bei den aktuellen enormen Kriseninterventionen - samt der mittelfristigen Folgen der Staatsverschuldung, wenn "der Wirtschaftsmotor" nicht anspringt? Oder kommt es gar zu Regulierungen wie am Ende des Zweiten Weltkrieges?
Um Missverständnissen vorzubeugen: Das WEF ist kein prädestinierter Ort, um Konflikte auszutragen. Es geht eher darum, die feinen Differenzen zu diskutieren. Zum einen sind sich die Leute dort ihrer Schaufenstersituation bewusst. Zum anderen existiert ein weitreichender Krisenkonsens zwischen den globalen Eliten: nämlich ihre politische und ökonomische Macht und Fähigkeit zur Rendite nicht abzugeben, sondern in der Krise und - falls diese zu Ende gehen sollte - darüber hinaus zu erhalten. Auch hinkt die gern gezogene Analogie mit der regulierten Nachkriegszeit, denn damals gab es kein annähernd so gut organisiertes Finanzkapital wie heute. Und dieses wehrt sich nun kräftig gegen weitreichende Regulierungen.
Trotzdem war in der Vorbereitung des WSF der Ton bereits weniger forsch als bis 2007. Erarbeitet werden soll eine umfassende Agenda für die Krisenbearbeitung und die Zeit danach. Diese betrifft nicht nur die Finanzmärkte, sondern umfasst auch Fragen hinsichtlich der Reichweite von Konjunkturpaketen sowie die Energie- und Klimapolitik. Vielleicht wird es zu Vorschlägen einer graduellen Schließung von Steueroasen und der stärkeren Regulierung von Hedgefonds kommen. Aber schon bei Kapitalverkehrskontrollen und der Tobinsteuer dürfte der Widerstand zu groß ausfallen. Und schon gar nicht wird es eine Option hin zu Bretton Woods II im Sinne regulierter Kapitalmärkte und Währungsmärkte geben. Instabilität und vor allem Krisen mit dramatischen Folgen für schwächere Bevölkerungsschichten nimmt man heutzutage in Kauf.
Trotzdem wird - wie immer - die soziale Frage eine Rolle spielen. Gewöhnlich wird sie gemäß dem Top-down-Modell gestellt, das heißt als Verteilungsfrage - die grundlegenden Machtverhältnisse bleiben unangetastet. Auch der Kurs der weltweiten Wirtschaftsliberalisierung steht nicht zur Disposition - ebenso wenig wie Selbstkritik vorgesehen ist. Stattdessen bleibt die Symbolik ein wesentliches Moment. Die Botschaft lautet: Die politischen und ökonomischen World Leaders der vergangenen Jahre sind nach wie vor die einzigen, die wissen, wo es langgeht. Und sie sind sich der globalen Probleme bewusst und wollen sie ernsthaft angehen. Gerade heute - so das WEF - bestehe die Chance, dass endlich alle Stakeholder an der globalen Wirtschaftsintegration teilhaben.
Wirklich interessant wäre demgegenüber die Diskussion über einen möglichen "grünen New Deal". Hier scheinen sich die dramatischen Diagnosen der Umweltzerstörung und zu Ende gehender fossiler Energieträger mit der Suche nach einem neuen ökonomischen Wachstumsmodell zu überschneiden. Doch es zeichnen sich die Hindernisse bereits ab: Zum einen sind die auf fossilen Energieträgern basierenden Lebensweisen tief in den Gesellschaften verankert und scheinen sich innerhalb einer weltweiten Mittelklasse zu globalisieren. Daran wird gut verdient. Zweitens kann, trotz aller Konjunkturprogramme, eine neue Wachstumskonstellation nicht einfach geschaffen werden, sondern sie ist ein voraussetzungsvoller Prozess: von den notwendigen Technologien und Produktionsformen über staatliche Politiken bis hin zu den alltäglichen Lebensweisen der Menschen. Und schließlich: Auch ein grüner Kapitalismus kann angesichts der aktuellen Wachstumsmuster zu einer neuen Finanzblase werden. Etwa wenn das immer noch überakkumulierte Kapital dorthin fließt und die Renditeansprüche in absurde Höhen schraubt (die zeitweise exorbitanten Nahrungsmittelpreise im vergangenen Jahr gaben einen Vorgeschmack).
Entscheidend aber wird in der nächsten Zeit etwas sein, was in Davos keinerlei Chance hat, auch nur auf die Agenda zu kommen - den paar Quotengewerkschaftern zum Trotz. Nämlich eine Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse hin zu den Lohnabhängigen und ihren Interessenverbänden, zu sozialen Bewegungen und zu vielfältigen politischen Artikulationsmöglichkeiten des Unmuts, der sich in der Bevölkerung angestaut hat. Das wäre auch die Grundlage dafür, dass andere staatliche Politiken denkbar würden. Denn die jetzigen sind ja derart kapitalfreundlich, dass man schon fast wieder die Theorie des staatsmonopolitischen Kapitalismus auspacken könnte (Staat und Kapital sind weitgehend eins). Doch bei den Gewerkschaften - im Wettbewerbskorporatismus gefangen - wie auch beim Staat sieht es in Sachen Kritik mau aus. Aller keynesianischen Rhetorik zum Trotz.
Man sollte also nicht nach Davos schielen und hoffen, dass die Eliten einsichtig werden. Das hat historisch noch nie funktioniert. Die Bismarckschen Sozialreformen und der New Deal beziehungsweise die Erhardsche soziale Marktwirtschaft, beide werden immer wieder gern als Beispiele bemüht, waren auch Antworten auf eine starke Arbeiterbewegung.
Insofern bleiben die Gegenstücke zum Weltwirtschaftsform jene Orte, an denen sich emanzipatorische Kräfte austauschen, koordinieren und Alternativen schaffen. Wie etwa auf dem Weltsozialforum, das derzeit im brasilianischen Belém stattfindet. Dort sind die greisen Männer deutlich in der Unterzahl. Eine andere Welt wird nicht in Davos geschaffen, sondern zuvorderst aus der Vielfalt emanzipatorischer Anliegen und sozialer Bewegungen.
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